Quelle: Lebenserinnerungen einer Komponistin, Bildzitat; https://blog.muenchner-stadtbibliothek.de/luise-adolpha-le-beau-muenchner-schule-femaleheritage
Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.
von Daniel Janz
Nachdem zuletzt der Fokus auf Frauen aus Frankreich lag, die in ihren Leben große Musik schufen, von der modernen Kunst- und Konzertwelt aber unverdienter Weise missachtet werden, soll der Blick heute einmal in unser eigenes Land fallen. Denn auch hier gab es Frauen, die komponierten und beeindruckende Werke schufen. Frauen, die teilweise sogar zu großem Ansehen kamen und dennoch mittlerweile komplett vergessen sind. Dieser Artikel ist deshalb einer dieser Frauen mit einem ihrer beeindruckenden Werke gewidmet, die in unseren Konzertsälen eigentlich nicht fehlen dürften: Luise Adolpha Le Beau und ihr „Konzert für Klavier mit Orchesterbegleitung“, opus 37 in d-Moll.
Luise Adolpha Le Beau, 1850 in Rastatt geboren und 1927 in Baden-Baden gestorben, hätte man auch gut als so etwas wie einen hell leuchtenden Stern der klassischen Musik bezeichnet können. Während andere Beispiele dieser Kolumne unter sexuell bedingter Diskriminierung litten, scheint ihr Leben davon weniger stark getrübt gewesen zu sein. Schon früh erhielt die Tochter einer Generalmajors-Familie neben privatem Unterricht auch musikalische Bildung. Es folgte ihr Konzertdebüt mit Repertoirewerken von Beethoven und Mendelssohn Bartholdy im Alter von nur 18 Jahren. Dazu pflegte sie Kontakte zu berühmten Musikern ihrer Zeit, darunter Hermann Levis, Clara Schumann, Hans von Bülow, Franz Liszt, Eduard Hanslick und Johannes Brahms, wie sie auch in ihren „Lebenserinnerungen“ schildert.
Ihre mit berühmten Namen und Engagements gespickte Vita wird noch durch ihr Geschick als Komponistin überboten. Denn nicht nur scheint sie ihre Zeitzeugen am Instrument begeistert zu haben. Auch ihre Werke führten zu Ruhm, wie beispielsweise ihre preisgekrönte Cellosonate op. 17, ihr Oratorium „Hadumoth“, ihre einzige Oper „Der verzauberte Kalif“ oder ihre Sinfonie für großes Orchester.
Gemein haben viele ihrer Stücke vor allem ihre Liebe zum Klavier, die sie in ihrer kompositorisch ertragreichen Zeit bis 1902 besonders pflegte. Immer wieder fällt auf, dass sie diesem Instrument eine besondere Rolle zuweist. Zu den Besten ihrer Werke gehören damit auch diejenigen, die das Klavier besonders betonen. Es erscheint deshalb nur konsequent, bei der Vorstellung dieser schillernden Persönlichkeit besonderes Augenmerk auf ihr Klavierkonzert zu legen, das mit zu den schönsten gehört, die ich kenne.
Den Beginn macht ihr Werk mit einem sehr symphonischen Motiv, das auch die thematische Entwicklung des ersten Satzes bestimmt. Wie aus einer natürlichen Quelle entspringt aus diesem motivischen Einstieg auch der Part des Klaviers, dessen wärmenden Klang sie in vollen Registern über die ganze Klaviatur ausnutzt. Ein Spiel der klirrenden Pianoklänge gegen die zarten Passagen der Holzbläser und Hörner oder der marmorierende Fluss der Tasten mit der belebenden Begleitung der Streicher zeichnen diesen als „Allegro maestoso“ überschriebenen Satz aus. Besonders schillernd auch das Nebenmotiv, das in einem schon fast lieblichen Fluss den Satz erstrahlen lässt, da es immer wieder ins Dur durchbricht.
Dass ihr in diesen wundervollen Passagen der Fokus nicht entgleitet, liegt besonders an der Rückbesinnung aufs Eingangsmotiv, das sich regelmäßig fanfarenartig dazwischenschiebt und so den roten Faden aufrechterhält. Dieses Thema markiert auch die stete Rückkehr zum symphonischen Charakter des Werks, wird variiert und in neue Klangfarben getaucht. Wie ein kraftgeladener Ausbruch, der schließlich sogar im Klavier selbst erklingt, das bis zur Reprise hauptsächlich die Nebenthemen bediente. Hätte ich diesen Satz komponiert, hätte ich ihn auch in diesem Motiv enden lassen. Luise Adolpha Le Beau überlässt diese Ehre stattdessen dem lyrischen Nebenmotiv, das den Ausklang des Satzes damit sogar noch erstrahlen lässt.
Spannend ist auch, wie sie die Stimmführung über das Orchester verteilt. Obwohl dies explizit ein Klavierkonzert ist, erhält doch jedes Instrument eine Sonderstellung. Nie entsteht der Eindruck, dass das Orchester nur schnödes Beiwerk zu einem eigentlich nur für Klavier geschriebenen Stück wäre, wie es bei so vielen anderen Solowerken der Fall ist. Die Folge: Es bleibt durchgehend spannend und unterhält. Wenn man abgedroschene Floskeln, wie die „Demokratisierung des Orchesters“ anwenden wollte, dann wäre diese Komposition sicher ein gutes Beispiel dafür.
Solocharakter und gleichzeitig auch Liebe zum Instrument brechen im zweiten Satz, dem verträumten „Poco adagio“, durch. Wie eine der späten Beethoven’schen Klaviersonaten tritt er in einen Fluss aus empfindsamem Schmachten ein. Zunächst nur als Solopart des Klaviers, dann begleitet vom Orchester, das das neue Hauptthema baladenartig in volle Fülle und Tiefe überführt. Selten habe ich ein so ergreifendes Adagio gehört; oft empfinde ich die langsamen Sätze in Kompositionen als träge oder leer. Dass Luise Adolpha Le Beau ausgerechnet hier in nur 5 Minuten ein Glanzstück schafft, das locker auch viermal so lang hätte sein dürften und trotzdem noch bewegt hätte, ist für mich Zeichen höchster Komponistenraffinesse.
Den Kontrast zu diesem Fluss voller Leidenschaft schafft sie im für meinen Geschmack etwas zu braven Finale. Das „Allegro vivo“ hätte sie hier gerne noch kräftiger zur Schau stellen können, um eine Apotheose aus dem vollen ersten und dem traumhaft schönen zweiten Satz zu schaffen.
Stattdessen steigt sie in ein zunächst tänzerisches, dann vor allem durch Holzbläser- und Streicherbegleitung geprägtes Paradewerk für Klavier ein, das durch Virtuosität beeindruckt. Für jeden Solisten dürfte dieser Satz eine (schwer zu lernende) Kür sein. Man merkt, dass die Komponistin eine gute Pianistin gewesen sein muss. Denn wie sie vorschreibt, hier über die Tastatur zu rasen und dabei immer wieder klar hörbar ein Hauptthema zu identifizieren, ist schon große Klangkunst. Genial auch der Kniff, hier kurz vor Schluss wieder das Hauptthema aus dem ersten Satz zu zitieren, als wäre dieser Finalsatz die Antwort auf die Frage des ersten Satzes. Insgesamt ein großartiges Werk, auch wenn sie für meinen Geschmack am Ende gerne buchstäblich noch einmal „auf die Pauke“ hätte hauen sollen.
Die Bedeutung dieses Konzerts kann für den Orchesterbetrieb gar nicht genug betont werden. Erstens, weil Werke von Frauen bis heute kategorisch unterrepräsentiert sind. Und zweitens, weil gerade auch die Gattung der Solokonzerte (ganz besonders am Klavier) von einigen wenigen Werken regelrecht bestimmt wird. Man muss schon von Glück sprechen, wenn mal statt Mozart, Beethoven, Schumann, Tschaikowsky oder Rachmaninow mal eine (meist wenig beeindruckende) Uraufführung erwischt. Warum man aber nicht im Repertoire selbst stöbert und fantastische Werke, wie dieses von Luise Adolpha Le Beau zurückbringt, ist mir schleierhaft.
In meinen Augen wäre es ein sehr guter Ansatz, der inzwischen halbtot im Koma liegenden Gattung des Solokonzerts mal wieder etwas Leben einzuhauchen. Denn Leben hat diese Gattung dringend nötig, wenn sie auch in Zukunft noch relevant sein und Publikum anlocken will. Deshalb, liebe Orchester und Solisten: Seid doch mal mutig! Spielt anstatt der ständig alten Kamellen doch mal diese vergessenen Juwelen, wie von Luise Adolpha Le Beau, und wagt den Sprung in den endlosen Ozean der vergessenen Meisterwerke. Denn sowohl für euch als auch uns Zuhörer lohnt es sich!
Daniel Janz, 2. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker, Komponist, Stipendiat, studiert Musikwissenschaft im Master:
Orchestermusik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich zunächst für ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zur Verbindung von Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für klassik-begeistert. 2020 erregte er zusätzliches Aufsehen durch seine Kolumne „Daniels Anti-Klassiker“. Mit Fokus auf den Raum Köln/Düsseldorf kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend geht er der Frage nach, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
Alle zwei Wochen: „Daniels vergessene Klassiker“