Frisch weht der Wind dem Rheingold zu: An der Deutschen Oper Berlin gelingt auch der Ring-Auftakt dieser Wagner-lastigen Spielzeit

Das Rheingold, Musik und Libretto von Richard Wagner  Deutsche Oper Berlin, 11. Mai 2024

DAS RHEINGOLD, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 12.6.2021 © Bernd Uhlig

Alle 10 Bayreuth-Werke in einer Spielzeit: Mit dieser Ankündigung sorgte die Deutsche Oper Berlin schon bei der Saisonvorschau letzten März für flammende Euphorie in den Kennerkreisen. Die entsprechende Vorfreude auf den Ring-Auftakt war mehr denn berechtigt: Vor allem mit einem durchwegs souveränen Gesangsensemble zementierte sich die Bismarckstraße auf den Spitzenplätzen der Wagner-Welt. 


Das Rheingold

Musik und Libretto von Richard Wagner

Deutsche Oper Berlin, 11. Mai 2024


von Johannes Karl Fischer

Zweifelsohne gehört der Ring des Nibelungen zu den Highlights dieses ambitionierten Wagner-Megaprojekts… gleich dreimal ist das Mammutwerk in seiner 15-Stündigen und über vier Abende ausdehnenden Gesamtlänge an der Deutschen Oper Berlin zu erleben. Die Wagner-Welt fiebert mal wieder dem Programm in der Bismarckstraße entgegen. Und, wie war’s nun?

Musikalisch auf jeden Fall fantastisch! Schon die Rheintöchter – Lea-Ann Dunbar, Arianna Manganello und Karis Tucker – sorgten mit faszinierendem stimmlichen wie szenischen Auftritt für einen fulminanten Start in den Abend. Ich habe mittlerweile doch einige Rheingolde gesehen und noch nie eine einzige Rheintochter mit solch kräftiger, allumschlingender Stimme gehört, geschweige denn drei auf einmal. Als stünden gleich drei Top-Brünnhildes, Sieglindes und Frickas auf der Bühne.

Da spielte ihnen Stefan Herheims hier besonders amüsante Regie bestens in die Hände. Ein ganzes Volk steht mit Alberich auf der Bühne. Alle wollen die Rheintöchter – nicht nur der Zwerg begehrt sie – und je weiter Alberichs Spiel mit den drei Damen lustvoll fortschreitet, desto mehr dominiert eine freizügige Knutsch- und Kuschelstimmung das Geschehen. Da hat sich mal jemand mit Richard Wagners Gesellschaftspolitik auseinander gesetzt… oder sich einfach Tannhäuser angeguckt.

In der genannten Rolle des Zwergs und Ring-Hauptantagonisten Alberichs sorgte Jordan Shanahan für den zweiten musikalischen Volltreffer des Abends. Sein Schauspiel wie auch seine wunderbar wandelbare Stimme verkörperte alle Facetten dieses Charakters. Frech und keck war sein Spiel mit den Rheintöchtern, als Nibelungen-Diktator geriet seine Stimme in tyrannisches, kraftvolles Röhren. Und am Ende spürte man seine ganze Wut, die er als überlisteter Herrscher mit voller Wucht als Fluch des Rings in den Raum schmetterte.

DAS RHEINGOLD, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 12.6.2021 © Bernd Uhlig

Ebenfalls herausragend war Thomas Blondelles Loge. Mit spielerisch-spaßigem Tenor spielte er die einzig wirklich witzige Partie dieser Oper bestens, hüpfte federleicht durch die Noten und über die Bühne. Ob Wotan oder gar die ganze Welt vor dem Untergang steht, dieser Charaktertenor lässt mit seiner listigen Laune stets locker. Iain Paterson sang einen  mächtigen Wotan und beherrschte die wohl schwerste Bariton-Partie der Opernwelt mit Bravour. Spätestens als er das Schwert aus dem Boden zog und die Burg wie ein Weltherrscher grüßte, standen die stimmlichen Machtansprüche des Göttervaters klar in Stein gemeißelt.

Fast noch herrschender als Wotan selbst sang Annika Schlicht dessen Ehefrau, Fricka. Diese Mezzosopranistin spielte weit mehr als eine bangende Frau, rollentreu hielt sie mit voluminöser und mahnender Stimme ihren Ehegemahl mächtig im Schach. Nicht ganz unähnlich seines künstlerischen Schöpfers existieren für Wotan Verträge maximal auf Papier, seine Burgen lässt er bauen, ohne ein Konzept zu haben, wie er diese denn bezahlen könne. Und seine Ehefrau lag ihm stets auf den Fersen, wenn sie die Grenzen seiner Stimme wie Machtansprüche auf die Probe stellte und sich mächtig für die Regeln der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft einsetzte.

Freia, hier mit goldenen Brüsten in etwas unkonventionell erotischer Weise gestaltet, war mit Flurina Stucki ebenfalls ideal besetzt. Ihr Sopran segelte selbstsicher und schwärmerisch durch den Saal, da war es auch keine große Überraschung, dass sie Fasolts Tod scheinbar sehr tief berührte. Als hätte sie die Liebe des Riesens gar ein wenig erwidert.

DAS RHEINGOLD, Regie: Stefan Herheim, Premiere: 12.6.2021 © Bernd Uhlig

Albert Pesendorfer und Tobias Kehrer sangen Fasolt und Fafner jeweils mit voluminösen und äußerst stimmstarken Bässen. Zwei kräftige Riesenstimmen für zwei Burg bauende und Steine schleppende Riesen! Unter den restlichen Nebenrollen fiel vor allem Ya-Chung Huangs Mime sehr positiv auf: Sein emotionaler und präsenter Tenor ließ ahnen, dass der hier noch im Schatten seines tyrannischen Bruders stehende Schmied auch seine Machtambitionen hat. Auch Lauren Deckers Erda war sehr gut, hätte ein ganz klein bisschen weniger Dauervibrato allerdings auch gut vertragen. Insgesamt eine durchwegs souveräne Gesangsbesetzung.

Szenisch ging es nach einem äußerst vielversprechenden Auftakt leider nicht gerade aufwärts. Herheim präsentiert viele interessante Einfälle – wie ein in der Rheingold-Partitur vergrabender Wotan – und leider ebenso viele schwer verständliche Fragezeichen. Da wäre vor allem ein stets im Bühnenzentrum stehender Flügel, an dem alle spielen… kann mit mal einer sagen, was der da soll? Je länger die Oper voranschreitet, desto mysteriöser die Rolle dieses ominösen Klaviers… hoffentlich klärt sich das noch in den restlichen drei Bühnenabenden. Aber im Großen und Ganzen erzählt Herheim eine Geschichte mit klar verständlichen Eckpunkten. Da braucht man kein einziges bisschen Lektüre zu lesen, um den zentralen Konflikt dieser Tetralogie zu erkennen, wenn Alberich an allen Ecken der Geschichte Wotan hinterher schleicht…

Das Orchester unter der Leitung von Nicolas Carter schuf viele solide Grundlagen und legte die Motive glasklar in den Raum. Leider schienen mir die Streicher mit einem eher runden, edlen Klang gegen das Bläser-Machtwerk teils nur schwer durchzukommen… als ob der Wagner-Sound dieses Hauses spätestens beim Walhall-Einzug an seine Grenzen geraten würde. Die richtigen Orchester-Herausforderungen im Ring kommen natürlich noch, mein Orchester-Urteil verschiebe ich erstmal.

So, das war ein mächtig gelungener Ring-Auftakt in der Bismarckstraße. Da werden sich Ricarda Merbeth und Co. in der morgigen Walküre warm anziehen müssen!

Johannes Karl Fischer, 12. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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