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„Natürlich kann man digitale Festivals starten und alte Aufnahmen im Internet streamen. Aber dieses Gefühl, wenn Walhall aufersteht und sich alle Anwesenden mit ihm erhoben fühlen, das kriegt man nicht über Videoschalte.“
Deutsche Oper Berlin, 22. August 2020
„Das Rheingold“ von Richard Wagner
von Gabriel Pech
Es ist nur Familie da. Man kennt sich. Alles Menschen, die gemeinsam einen schönen Abend genießen wollen, sowohl auf der Bühne als auch davor. Es ist ein Privileg, bei dieser Veranstaltung dabei sein zu dürfen, das fühlt man. Die wenigen Karten für das Rheingold auf dem Parkdeck der Deutschen Oper waren in Sekundenschnelle ausverkauft.
Pandemiebedingt muss es fast leer bleiben. Die „Abstandsstühle“ sind weiß eingewickelt wie Leichensäcke. Genau so ist auch die Bühne eingerichtet, alles ist mit weißen Leinentüchern eingeschnürt. Es hat einen provisorischen Charakter, so als müsse man entweder bald wieder gehen oder als wäre man noch nicht richtig angekommen. Denn, obwohl es auf dem Parkdeck ganz hübsch ist und die Akustik überraschend gut: Hier bleiben will niemand. Das „Walhall“ des Abends ist die Opernbühne, drinnen. Dahin strebt die Inszenierung, dahin bricht auch das Ensemble am Ende auf.
Neil Barry Moss hat aus der Not eine Tugend gemacht und die Inszenierung in kürzester Zeit so umgemodelt, dass alles wie für diesen Moment, für diese immer noch so andersartige Situation gemacht scheint. Das macht den Abend erfrischend ehrlich.
Alle ziehen an einem Strang, alle machen grade dasselbe durch. Das Ensemble wirkt dadurch durchweg bei der Sache und nahbar. Man ist auch als Publikum ganz nah dran, sodass man jederzeit aufstehen und anfassen könnte – aber das darf man ja nun grade wirklich nicht. Man muss es aber auch gar nicht, die Freude am Spiel überträgt sich auch so von der Bühne in den Zuschauerraum.
Denn das Spielen ist auch für die Leute auf der Bühne zum Privileg geworden. Endlich darf man wieder spielen, singen, darstellen. An die neuen Verordnungen hat man sich dabei schon fast gewöhnt. Maske auf beim Ein- und Ausgang sind so normal, dass es nur passend erscheint, dass selbst die Wagnerbüste auf der Bühne einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Hauptsache singen, Hauptsache darstellen.
Diese Echtheit, diese Unmittelbarkeit im Spiel sieht man allen voran bei Thomas Blondelle. Als Loge besticht er mit Witz und Charme und sein Tenor klingt aus der Nähe noch mal brillanter, farbenreicher, wandelbarer. Auch beim Schlussapplaus ist er der Publikumsliebling.
Auch Philipp Jekal wohnt diese Echtheit inne, wenn er sich als böser Zwerg Alberich kurzerhand selbst auf den Regiestuhl setzt und zu seinen Gunsten lenken will. Der Bariton ist präsent und kernig.
Toll auch die drei Rheintöchter Elena Tsallagova, Irene Roberts und Karis Tucker. Die schauspielerische Dynamik der drei Frauen funktioniert gut. Ihre Stimmen harmonieren perfekt und lassen den Rhein über das Parkdeck fließen.
Natürlich aber ersteht der Rhein bereits ganz zu Beginn, mit den ersten Tönen der Overtüre, vor dem Publikum. Wenn Donald Runnicles am Pult sitzt, vergisst man, dass das Orchester nur mit 22 Instrumenten besetzt ist. Man darf in den Wellen mit wiegen, die sein Dirigat vorgibt.
Am Schluss klingt auch das Publikum nicht nach 175 Menschen, sondern nach einem richtigen klatschfähigen Saal. Es ist eine große Familie, die hier zusammenkommt. Denn natürlich kann man digitale Festivals starten und alte Aufnahmen im Internet streamen. Aber dieses Gefühl, wenn Walhall aufersteht und sich alle Anwesenden mit ihm erhoben fühlen, das kriegt man nicht über Videoschalte.
Gabriel Pech, 22. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Weinviertler Festspiele, 14. August 2020
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Konzept, Szenische Einrichtung, Kostüme: Neil Barry Moss
Bühne: Lili Avar
Wotan: Noel Bouley
Donner: Padraic Rowan
Loge: Thomas Blondelle
Alberich: Philipp Jekal
Fasolt: Albert Pesendorfer
Fafner: Patrick Guetti
Fricka: Annika Schlicht
Freia: Flurina Stucki
Erda: Judit Kutasi
Woglinde: Elena Tsallagova
Wellgunde: Irene Roberts
Flosshilde: Karis Tucker
Orchester der Deutschen Oper Berlin