Joana Mallwitz © Simon Pauly
Ein Konzert mit klassischer Musik zu besuchen, zumal unter der Woche, verlangt Kondition. Man kämpft gegen die Müdigkeit und denkt an das Miststück von Wecker, das morgen Früh wieder keine Gnade kennt.
Das Konzerthaus Berlin hat dieses grundlegende Problem des Musik-liebenden Arbeitnehmers erkannt und lädt ein zur FEIERABEND-KLASSIK.
Claude Debussy
Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns
(„Prélude à l’après-midi d’un faune“)
Béla Bartók
Konzert für Orchester
Szőllősy-Verzeichnis (Sz) 116
Konzerthausorchester Berlin
Joana Mallwitz, Dirigentin
Konzerthaus Berlin, Großer Saal, 19. September 2024
von Ralf Krüger
Die Auflösung des Rätsels kommt prompt. Sicherlich nur mit erheblichen Grundkenntnissen der französischen Sprache kann man den Titel dieses Musikstückes von Debussy verstehen, geschweige denn aussprechen. Aber auch die deutsche Übersetzung klingt sperrig. Und da fragt man sich also, was ist ein Faun?
Ein Fabelwesen, sagt Joana Mallwitz, das nach einem Mittagsschläfchen voller erotischer Träume und Phantasien den Nachmittag beginnt. Das Programmheft ergänzt noch um Ort und Wetterbericht: Es ist die „sizilianische Mittagshitze“.
Der Italienfreund in mir erinnert sich noch gut an diese Tageszeit, vor Jahren in Taormina. In diesen Stunden sollte man nicht shoppen und nicht wandern. Nur ruhen und eben träumen, seinen eigenen Gedanken nachgehen und sich verführen lassen von dem so einzigartigen Flötenthema, das diese 10-minütige Musik wie ein roter Faden durchstreift. Hier sind sich Faun und Hörer sehr nah.
Joana Mallwitz spricht von den Besonderheiten des Werkes, von der Suche nach der Tonart, die in den ersten Taktfolgen noch nicht erkennbar ist und von E-Dur, auf das es schließlich hinausläuft.
Das Prélude empfinde ich an diesem Tag auch als Abschied unseres Sommers. Der warme, angenehme Sound mit seinen hübschen Überraschungen wird zu einem Leckerli, das aber, wie bei Naschereien und Jahreszeiten gängig, bald verschwunden sein wird. Schon verbeugt sich die Dirigentin und bittet den ersten Mann an der Flöte, den Beifall für sich entgegen zu nehmen.
Um 17 Uhr öffnete das Konzerthaus seine Pforten. Wer sein Ticket online bestellt hatte, bekam per Mail eine Skizze des Ortes geschickt, um zwischen all den Bauzäunen, rund um den Gendarmenmarkt, die Zugänge zum Konzerthaus zu finden. Der Zeitplan des Veranstalters war üppig aufgestellt. Es gab erste Getränke und um 17:30 Uhr begann im Großen Saal die Konzerteinführung.
Eine fast intime Runde fand sich zusammen, denn die Türen wurden geschlossen und nur knapp die Hälfte des Publikums war zu diesem Zeitpunkt schon im Haus. Frau Mallwitz begrüßte uns in schwarzem Sweatshirt und schwarzer Hose am Konzertflügel und plauderte 40 Minuten lang in ihrer freundlich-verbindenden Art über Debussy und Bartók, gab Klangbeispiele zum Besten und machte neugierig auf die Konzertstunde, die dann titelgemäß um 8ZEHN30 beginnen sollte.
Béla Bartók – er hat sein bestes Werk in einer Phase seines Lebens geschaffen, das, nach dem Exil, von Krankheit und Depression überschattet war. So erfahren wir es hier und lesen es in den Biografien. Aber was wir dann hören, ist doch der pure Wahnsinn! Das Konzerthausorchester erzeugt zum Teil Töne, die derart krass und schräg sind, dass ich mich frage, ob wir hier Rock in der Klassik erleben? Da setzt für den Moment sogar das „Schubladen“-Denken zwischen E- und U-Musik aus.
Die Blechbläser haben gewaltig zu tun, die zwei Herren an den Pauken und dem großen Gong sowieso und die Streicher betten das alles in einen unsagbar-emotionalen Klangteppich ein.
Da ist die Müdigkeit des Tages verschwunden. Da freue ich mich, dass ich dabei bin, beginne mit einem Fuß zu wippen, meine Schultern bewegen sich im Takte und der Rhythmus der Musik reißt mich mit. Béla Bartók, mein Gott, was haben Sie für Musik erschaffen!!!
Es gab viel Beifall, aber in den Gesichtern meiner Nachbarn im 1. Rang konnte ich kaum Begeisterung erkennen.
Wir alle verließen das Konzerthaus um kurz nach halb 8. Der Feierabendverkehr war durch, ich war in einer knappen Stunde in Köpenick. Durch den frühen Beginn war noch Zeit für den eigenen Feierabend. Mit Béla Bartóks Musik im Kopf, brauchte ich lange um einzuschlafen.
Ralf Krüger, 20. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die Reihe 8ZEHN30 – Kurzkonzerte wird in der Saison 2024/2025 noch zu 5 weiteren Terminen fortgesetzt. Der nächste ist am 28. November 2024, um 18:30 Uhr, im Konzerthaus Berlin.
Benjamin Britten, War Requiem Konzerthaus Berlin, 29. März 2024
Erster Abend der Hommage an Elisabeth Leonskaja Konzerthaus Berlin, 23. Februar 2024