Leonskaja Elisabeth © Marco Borggreve
Zoltán Kodály, Tänze aus Galánta
Edvard Grieg, Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 16
Antonín Dvořák, Die Mittagshexe
Zoltán Kodály, Suite aus der Musik zu dem Singspiel „Háry János“
Konzerthausorchester Berlin
Joana Mallwitz, Dirigentin
Elisabeth Leonskaja, Klavier
Erster Abend der Hommage an Elisabeth Leonskaja,
Konzerthaus Berlin, 23. Februar 2024
von Sandra Grohmann
Es ist schon bitter: Da sitzt man im Konzerthaus, lauscht dem zarten Anschlag der Leonskaja in Griegs Klavierkonzert und hört – ja, was hört man: rechts hinten Husten im Wechsel mit dem Knistern von Bonbonpapier. Und links hinten Hände, die immer wieder über die Satinhose streichen. Ich kann nicht anders als mich umzudrehen, was an der Geräuschkulisse nichts ändert. Alles, was ich davon habe, sind absurde Gedanken über Alters-ADHS und über unkultivierte Sitznachbarn. Meine Konzentration aufs Konzert ist erstmal futsch.
Ich beuge mich also nach vorn und wünschte, ich könnte meine Löffel aufstellen wie ein Feldhase, um auf diese Weise nur die mir genehmen Töne einzufangen. Es gelingt mir nicht. Bin ja auch kein Hase.
Es mag also an den beiden Banausen hinter mir liegen, dass Grieg heute erst spät zündet. Dabei ist das bekanntlich ein Feuerwerk zum Mitsingen: TAA, ta-ta-TAA, ta-ta-TAA, herrlich. Und es hat auch etwas Bezauberndes, dass Elisabeth Leonskaja das nicht so strahlend, so glitzerklar und nordisch-kühl spielt wie es andere manches Mal, vielleicht sogar meistens tun. Bei aller dynamischen Bandbreite passieren ihr harte, auftrumpfende Töne nie.
Eher nimmt sie in Kauf, dass ein Bogen mal verebbt, bevor er zu Ende geführt ist. Auch – das wiederum finde ich etwas schade –, dass die Linke neben der Kantilene in wenig differenziertem Watteklang verschwindet. Zu viel Pedal ist es nicht, eher die butterweich ineinander verlaufenden Anklänge. Erst im letzten Satz lässt die große Dame des russischen Klavierspiels es auch mal glitzern. Und ja, ich mag dieses Stück dann doch ganz gern etwas knuspriger.
Joana Mallwitz am Pult begleitet zärtlich, hinhörend, auf ihre Solistin achtend, mit fast verklärtem Gesicht und ganz kleinen Gesten. Die ersten Takte noch etwas zu hart klingend, gelingt dem Konzerthausorchester gleich darauf wieder einmal jenes durchsichtige Klanggewebe, das alles erkennen lässt, ohne es preiszugeben. Eine Art Klang-Organza. Und obwohl der Flügel im Rücken der Dirigentin steht, hält sie Klavier und Orchester meist äußerst präzise zusammen – ein einziger kleiner verwackelter Abschluss lässt Leonskaja leise auflachen.
Macht nichts, das passiert, dafür hört man ein Konzert live. Lebendig eben. Aber die Unterordnung des Orchesters unter das ganz weiche Klavier hat den Preis, dass die Rhythmik eben nicht so knackig herausgearbeitet ist, wie wir es sonst von Mallwitz schon gewohnt sind. Geschmackssache, ähnlich wie bei Brötchen vielleicht: Manche mögen’s knusprig, manche lieber weich.
Das Publikum applaudiert begeistert eine Zugabe herbei – dazu mag auch beitragen, dass der Abend im Rahmen der Hommage an Elisabeth Leonskaja stattfindet und man die Pianistin gern ausgiebig feiern möchte. Angesagt wird aber nichts, und meine Bildung hat geendet, bevor das Stück drankam, sorry.
Zu Beginn des Konzerts, vor dem Grieg, gab es Zoltán Kodálys Tänze aus Galánta. Am Anfang noch etwas schwerfällig und von Mallwitz mit sehr großem Gestus geleitet, wirken sie etwas gezirkelt. Das gibt sich mit der Zeit, doch der Höhepunkt des Abends kommt für mich erst nach der Pause.
Zunächst noch Dvořáks Mittagshexe – ein grausames, aber eindrucksvoll vertontes Märchen, in dem die aus Erziehungsgründen angedrohte böse Hexe tatsächlich erscheint und das Kind raubt, das dann tot in den Armen der ohnmächtigen Mutter gefunden wird. Spätromantik, was soll man machen.
Dann aber wieder Kodály, nun mit der Háry-János-Suite. Und einer Zimbalistin, die ihrem Instrument so schmeichlerische, witzige und mitreißende Töne entlockt, dass es einfach eine Freude ist. Inzwischen höre ich auch, was von der Bühne her erklingt. Vor diesem letzten Stück habe ich mir nämlich ein Herz gefasst und die ADHS-Dame mit dem Drang zum Hosenstreicheln gebeten, damit aufzuhören. Zwar posaunt sie, kaum habe ich mich wieder gesetzt, aus unbekanntem Grund noch ein „Meine Fresse“ in die Gegend, aber dann ist Ruhe. Manche Leute beschreiben sich einfach selbst am besten.
Und nun kann ich der leider namenlos gebliebenen Zimbalistin lauschen. Und zuschauen. Ein Ohren- und Augenschmaus! Ihr Instrument wird übrigens auch Hackbrett genannt. Warum, hat sich mir noch nie erschlossen. Die Bezeichnung ist ungefähr so kultiviert wie mitten im zartesten leonskajischen Grieg-Adagio Hustenbonbons auszuwickeln. So gesehen, passt alles zusammen.
Liebe Frau Grohmann, danke.
Ich habe mir angewöhnt nur noch in der ersten Reihe zu sitzen, um möglichst wenig hustendes, raschelndes (ich hatte auch schon mal einen Schnarcher und ein O2-Konzentrator) Publikum zwischen meinen Ohren und der Musik zu haben.
Herzliche Grüße,
C. S.