Der fliegende Holländer © Toni Suter
Wieder ein Holländer, wieder kein Segel in Sicht. Andreas Homokis ausdrucksstarke, bewegende Interpretation dieses Wagner’schen Frühwerks wurde dennoch zum Highlight des furios applaudierten Abends und holte ein atemberaubendes, gesellschafts- und kolonialismuskritisches Kunstwerk auf die Bühne. Auch musikalisch war dieser furiose Züricher Wagner-Abend ein glorreicher Triumphzug!
Der fliegende Holländer, WWV 63
Musik und Libretto Richard Wagner
Opernhaus Zürich, 30. November 2024
von Johannes Karl Fischer
Ich bin ehrlich gesagt kein Holländer-Fan, aber dieser Abend – Regie, Gesang und Orchester inklusive – hat dem manchmal sich einfach wild austobenden, überaus lautem Wagner-Werk einen neuen Sinn gegeben. Vor den mächtigen, mit kolonialistischen Landkarten Afrikas behängten Raumwänden toben die betrunkenen, in schwarzweißen Anzügen uniformierten Matrosen umher wie die Fluten der stürmischen Weltmeere, ein mit schwerem Mantel gekleideter Holländer führt die Handlung wie von Geisterhand über die Bühne. Als würde hier gleich das Bühnenbild und mit ihm die ganze Welt zusammenkrachen… ist ja bei den aktuellen Verhältnissen auch nicht ganz aus dem Hut gezaubert.
An der Spitze eines durchwegs herausragenden Gesangsensembles stand Tomasz Koniecznys Titelpartie, der die Hammerrolle mit kräftiger, trotziger Stimme erledigte. „Ewige Verdammis, nimm mich auf“ resonierte lang und mächtig im Saal wie der donnernde Befehl eines allmächigen Göttervaters. Einer der triumphalsten Holländer der heutigen Zeit war in diesem Haus unweit von Wagners langjährigem Wesendonck-Asyl zu Gast. Auch im Liebesduett mit seiner Senta schwebten ihm die Melodien aus den dunklen, baritonalen Tiefen innig und sanft in die Luft.
Dieser wohl rührendste Moment des heutigen Opernabends ging auch mächtig auf Camilla Nylunds (Senta) Konto, die sich als souverän besetzte Senta erwies. Im Gegensatz zu ihrer die Balladen-Noten oftmals von der Bühne stemmenden Konkurrenz – sorry, das ist leider nicht erst seit gestern der neueste Trend im Wagner-Sopran-Fach – strahlt die brennende Intensität ihrer Stimme klar doch fesselnd über den Graben, umso stärker wirkt der Charakter dieser selbstsicheren Daland-Tochter. Noch nie habe ich eine solch passioniert verliebte Senta gehört, der Anblick ihres Holländers scheint ihr regelrecht das Fürchten vor der großen Liebe zu lehren und das Publikum in den Bann ihrer Emotionen zu fesseln!
Für eine ganz dicke Überraschung sorgten die beiden Tenöre des Abends, Marco Jentzsch (Erik) und Omer Kobiljaks Steuermann. Im burschenschaftigen Trachtenkostüm herumpolternd schmetterte Herr Jentzsch die eher kleine, charakterlich manchmal etwas hilflos wirkende Partie von Sentas unglücklichem Verlobten mit kämpferischer Jägerstimme herunter. Ehrlich gesagt auch wahrscheinlich der erste Erik, dem man mehr Interesse an Senta als seinem Jagdgewehr abnimmt. Auch Herr Kobiljak sang die wohl kleinste Partie des Abends klar und souverän, als würde er freudestrahlend an der Spitze des Schiffsmasts die Handlung vorgeschriebene Müdigkeit über Bord singen.
Nicht mithalten mit dem haushohen sängerischen Niveau konnte leider Dimitry Ivashchenkos Daland. Zwar sang er seine tiefe Bass-Partie ordentlich und gut hörbar, murmelte den einen oder anderen Vokal aber etwas vor sich hin und schliff vor allem am Anfang der Oper ein wenig zwischen einigen Noten umher. In Ordnung, ja, die Durchschalgskraft eines Seemannskapitäns hatte er nicht wirklich.
Erstaunlich gut gefordert mit dem Werk schien auch die Philharmonia Zürich unter Gianandrea Nosedas nicht immer sehr klarem Dirigat. Falsche Noten kamen nicht allzu viele aus dem Graben, Koordinationsprobleme waren auch kaum vorhanden. Vor allem an den technisch anspruchsvollsten Stellen schienen mir die Musiker aber mehr mit ihren Einzelstimmen als mit einem die Weltmeere malenden Orchesterklang beschäftigt. Oder auch mit den ausgeprägten und nicht immer Sinn ergebenden Temposchwankungen, auf eine furiose Ouvertüre folgten einige fast schon schleppende Senta-Stellen. Dafür leistete sich der Chor eine absolute Vorzeigeleistung, stürmisch bei Sache singend füllten sie den Saal mit feurigen Hallojo-Rufen!
Trotz einiger minimalen musikalischen Abstriche im Bass und Graben: Das war einer der packendsten, bewegendsten Holländer-Vorstellungen der jüngeren Operngeschichte. Zürich etabliert sich mal wieder als ein Wagner-Leuchtturm der Opernwelt!
Johannes Karl Fischer, 1. Dezember 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Messa da Requiem Opernhaus Zürich, 1. April 2024, Wiederaufnahme