William Desbiens (Kilian), Andrzej Dobber (Ottokar), Clemens Sienknecht (Samiel), Johan Reuter (Caspar), Maximilian Schmitt (Max), Julia Kleiter (Agathe), Alina Wunderlin (Ännchen), Han Kim (Ein Eremit), Hubert Kowalczyk (Kuno) (Foto: RW)
Wenn es der Wunsch des Regisseurs Andreas Kriegenburg war, den Zuschauer mit der Komplexität der Figuren und ihrer Psychologie zu überraschen und uns die Tragödie dieser jungen Menschen zu Gemüte zu führen, so hat er solches mittels seiner szenischen Interpretation ebenfalls nicht erreicht.
Der Freischütz
Romantische Oper in drei Aufzügen
Text von Johann Friedrich Kind
Musik von Carl Maria von Weber
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
musikalische Leitung Yoel Gamzou
Inszenierung: Andreas Kriegenburg
Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Andrea Schraad
Staatsoper Hamburg, Premiere am 17. November 2024
von Dr. Ralf Wegner
Webers Freischütz spielt nach dem 30jährigen Krieg. Die Försterstochter Agathe will den Jägerburschen Max heiraten, der dafür aber sein
Schützenglück unter Beweis stellen muss. Sein Schützengenosse Caspar, der ebenfalls ein Auge auf Agathe (und damit die Försterei) geworfen hat, legt ihn mit in der Wolfsschlucht neu gegossenen Freikugeln und der Hilfe des teuflischen Samiel herein. Nur der Eremit ist in der Lage, die von Samiel für Agathe vorgesehene Schützenkugel abzulenken. Caspar stirbt und Max und Agathe können sich vereinen.
Webers Freischütz besticht mit einer Fülle ohrengängiger Melodien, angefangen von Kilians Lied Schau der Herr mich an als König über Max’ Arie Durch die Wälder, durch die Auen und Caspars nachfolgendes Lied Hier im ird’schen Jammertal sowie seiner Arie Schweig, schweig, damit dich niemand warnt, Ännchens Ariette Kommt ein schlanker Bursch gegangen, Agathens große Arie im zweiten Aufzug Leise, leise, fromme Weise, schwing dich auf zum Sternenkreise und ihre etwas kürzere Kavatine im dritten Aufzug Und ob die Wolke sie verhülle. Auch Ännchen hat im dritten Aufzug beginnend mit Einst träumte meiner sel’gen Base noch Arioses zu Gehör zu bringen. Daneben beeindrucken musikalisch die Ouvertüre, Szenen in der Wolfsschlucht sowie der Einsatz der Brautjungfern mit Wir winden dir den Jungfernkranz und dem Jägerchor mit Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen. Am Schluss kommt noch der Eremit zu Wort: Wer legt auf ihn so strengen Bann?
Gute gesangliche Leistung von Julia Kleiter als Agathe und von Alina Wunderlin als Ännchen
Der gesangliche Höhepunkt jeder Freischützaufführung ist für mich nach wie vor Agathens erste Arie mit dem Anschwellen und Halten der Stimme auf dem zweigestrichenen fis bei der ersten Silbe (schö) (Welch schö – – ne Nacht!) und dem kaskadengleichen Abschwellen auf die zweite Silbe (ne) nach Öffnen der Tür der Försterei. Unübertroffen sang das Gundula Janowitz, die ich mehrfach mit dieser Partie erleben durfte.
Julia Kleiter war jetzt als Premieren-Agathe besetzt. Mit dem goldgelbenen Klang ihres kaum Vibrato-getrübten Soprans beseelte sie die Kavatine im dritten Aufzug und gab auch der großen Arie im zweiten Aufzug genügend Ausdruck. An die unvergleichliche Agatheninterpretation von Gundula Janowitz reichte sie allerdings nicht heran.
Wie auch in anderen Aufführungen gewinnt die Sängerin des Ännchen fast immer die Gunst des Publikums. So auch hier die in Frankfurt am Main geborene Koloratursopranistin Alina Wunderlin. Mit viel Gefühl, Koloraturgeläufigkeit und imponierend glanzvoller Spitze in der Ariette setzte sich ihre Stimme vom Klang her auch genügend von jener der Agathe ab.
Kein durchgehend gutes Casting bei der Besetzung der männlichen Partien
Es gab aber Sänger, die nicht über eine stimmlich angemessene Form verfügten. Angefangen von dem schwach, fast tonlos in der 20. Parkettreihe zu hörenden Han Kim als Eremit. Dass Han Kim nicht das Format von sonoren, stimmgewaltigen Vorgängern in dieser Partie wie Hans Sotin oder Martti Talvela hat, mag noch angehen. Wenn er aber selbst neben dem gut hörbaren Bass von Hubert Kowalczyk (Kuno) untergeht, muss etwas mit dem Casting der Partie nicht in Ordnung sein. Hat sich das niemand vom hinteren Parkett aus angehört? In dieser Form hat man dem jungen Hamburger Ensemblemitglied mit der zwar kurzen, aber schon sehr fordernden Partie keinen Gefallen getan. Dabei ist der Eremit mit der von ihm verantworteten Wendung der Handlung hin in eine positive Zukunft von noch größerer Bedeutung als jene von Andrzej Dobber interpretierte Rolle des böhmischen Fürsten Ottokar.
Auch der Tenor Maximilian Schmitt entsprach für mein Empfinden nicht den hohen Anforderungen an die Partie des Max. Sein eher uncharismatischer Stimmklang wurde von einem stets vorhandenen Vibrato immer wieder getrübt. Vor allem gelang es Schmitt nicht, die Seelenqualen und die Verzweiflung des jungen Jägerburschen gesanglich zu vermitteln, ganz anders als sein zuletzt hier gehörter Vorgänger Daniel Behle. Das ist aber auch schon länger her (2016).
Dabei hatte die Aufführung mit William Desbiens, einem Mitglied des Hamburger Opernstudios, so eindrücklich begonnen. Mit schönem Klang und kräftiger Stimme intonierte der junge franko-kanadische Bariton Kilians Auftritt zu Beginn des ersten Aufzugs. Der international bekannte dänische Bariton Johan Reuter sang einen ordentlichen Caspar, zumindest schaffte er es, im Gegensatz zu seinem Jägerbruder, innere Spannung zu vermitteln.
Kasperletheater bei der Regie von Andreas Kriegenburg
Von der Regie her waren u.a. Ännchen einige Mätzchen, u.a. fast slapstikartig gezirkelt wirkende Bewegungen auferlegt worden. Das galt auch für die Damen und Herren des Chores, die zu Beginn der Oper ein nicht zu identifizierendes Kauderwelsch von sich gaben. Das setzte sich bei anderen Beteiligten fort. Wenn der Regisseur damit eine romantische Anmutung beim Publikum brechen wollte, so hat er dieses erreicht; ohne jedoch überzeugenden Ersatz zu vermitteln. Meine Frau empfand es als eine Art Kasperletheater, geeignet für Aufführungen vor Grundschulklassen. Wenn es der Wunsch des Regisseurs Andreas Kriegenburg war, wie er im Programmheft verlauten ließ, den Zuschauer mit der Komplexität der Figuren und ihrer Psychologie zu überraschen und uns die Tragödie dieser jungen Menschen zu Gemüte zu führen, so gelang ihm dieses mittels seiner szenischen Interpretation jedenfalls nicht.
Das Bühnenbild ging in Ordnung
Das Bühnenbild ging in Ordnung. Hohe Holzlattenwände schlossen den Bühnenraum für den ersten Aufzug seitlich und hinten ab. Für den zweiten Aufzug fuhr die Rückwand zurück, drehte sich und gab den Blick auf Agathens Schlafzimmer frei. Der Raum fuhr nach vorn, so dass die Sängerinnen, von den Seitenwänden und der Deckelung akustisch unterstützt, gut über das Orchester hinweg singen konnten. Für die Wolfsschlucht ließen sich die Lattenwände hin- und herfahren und von hinten verschiedenfarbig anstrahlen. Das erreichte jedoch nicht die Wirkmächtigkeit der Weber’schen Komposition. Vielleicht sind wir filmisch auch schon zu überreizt, um uns von einer operngeeigneten Wolfsschluchtszenerie noch überraschen zu lassen.
Unterschiedliche Reaktionen zur musikalischen Leitung durch Yoel Gamzou
Die orchestrale Seite der Aufführung wurde unterschiedlich aufgenommen. Es gab am Ende für Yoel Gamzou viel Jubel, aber auch etliche Buhrufe. Ich würde mich ersterer Reaktion anschließen. Das Dirigat entsprach zwar nicht einer klassischen Interpretation wie früher von Eugen Jochum, Horst Stein oder Christof Prick: Gamzou betonte Piani und nachfolgend dynamische Steigerungen. Er setzte kurze Kunstpausen. Die danach wie leicht gehetzt wirkenden Einsätze gaben dem ganzen einen neuen Anstrich.
Auch den Jägerchor habe ich so bisher noch nicht gehört. Kurz vor dem Einsatz und immer wieder zwischendurch hatte ich den Eindruck einer verballhornenden Abwandlung der Weber’schen Vorgaben. Bei dem nächsten Besuch der Aufführung werde ich genauer darauf achten.
Zu guter Letzt
Bevor ich es vergesse, Samiel trat auch auf. Clemens Sienknecht sprach die vorgesehen Passagen und erzählte zusätzlich noch die Legende vom Probeschuss. Schwarz gewandet wie ein Oberkellner standen ihm 10 weitere Gehilfen zur Seite. Das hatte Vorteile, sie konnten im ersten Aufzug als Tischabräumer dienen oder während der Wolfsschluchtszene, passend zur Musik, immer wieder mit kleinen Lämpchen ins Publikum leuchten. Auch hoben sie die runde Scheibe empor, die Caspar zum Kugelgießen nutzte. Samiel zwickte derweil ab und an Max. Auch sonst beobachtete Samiel die Abläufe auf der Bühne. Unheimlich oder gar gefährlich wirkte er allerdings nicht.
Dr. Ralf Wegner, 18. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD/Blu-ray Besprechung: Carl Maria von Weber, Der Freischütz klassik-begeistert.de, 5. Oktober 2024
Klein beleuchtet kurz 41: Webers Freischütz klassik-begeistert.de, 24. Juli 2024
Stimme Ihnen bei Han Kim (Eremit) voll zu, so einen schwachen Sänger habe ich noch nie gehört, saß in der Generalprobe im Parkett 6. Reihe. Außerdem frage ich mich, warum man nach der tollen Konwitschny-Inszenierung eine neue brauchte. Es gibt Opern, die in Hamburg schon ewig nicht gespielt wurden! Selbst die zeitgleich mit Köln 1919 uraufgeführte „Tote Stadt“ schaffte es erst vor einigen Jahren wieder hierher, Lübeck z.B. war da schneller!
Hartmut Funke
Lieber Ralf, ich teile Deine Kritik des Freischütz in weiten Teilen. Wieder einmal war ich privat in einer Staatsopernpremiere und entsetzt von der Qualität, die man dem Publikum bot. So, ich musste mich zu Hause erstmal fassen – wieder eine Staatsopernpremiere, die unterstreicht, dass dieses Haus am Ende ist. Musikalisch war das bestenfalls Mittelmaß. Das Orchester kannte nur 2 Modi: rasend schnell oder gähnend langsam; keine Entwicklung von Spannung aus der Musik heraus. Zudem muss man sich fragen, wer an diesem Premierenabend das Horn geblasen hat. Die meisten Töne zu Beginn waren falsch bzw. verkiekst… Sich einblasen während der Premiere, das geht wohl nur beim Staatsorchester. Der Gesang, ich wiederhole, insgesamt nur Mittelmaß. Der Chor war ordentlich und die drei Solodamen kauften so mancher Solistin den Rang ab. Beim Schlussapplaus erntete die Sprecherrolle des Samiel mit den größten Beifall – mehr muss man nicht sagen, und ich möchte auch keinem Solisten zu nahe treten. Die Regie unstetig, einige gute Einfälle wie z.B. die Wolfsschluchtszene, aber auch etliche langatmige oder albern wirkende Sequenzen. Das Castingbüro hat wieder einmal Bestleistung vollbracht. Wenig Applaus bis auf ein paar jugendliche Claqueure aus den oberen Rängen und viele Buhs für das Orchester, den Dirigenten, die Regie und einige Sänger – in einem nicht ausverkauften Haus ist das einfach nur peinlich… Nebenbei: Ein Premierenticket kostet etwa 200 Euro, dazu kommen noch einmal 200 Euro von der Stadt. Das sind dann 400 Euro pro Person. Für ein Haus dieser Dimension ist das ein Armutszeugnis.
Premieren sind generell komplett überbewertet. Medial werden sie halt aufgebauscht. Die großen Tageszeitungen sind vertreten – zumindest in Wien. Dafür sind Tickets teurer. Musikalisch sind sie aber selten mehr als befriedigend. Alle sind nervös, meistens benötig es Nachadjustierung. Spricht im Grunde alles gegen eine Premiere.
Es gibt nur zwei Gründe, dabei zu sein:
1) Man muss halt dabei sein, um dabei gewesen zu sein und darüber zu berichten. That’s all! Klick-Zahlen sind tendenziell sicher höher. Die Leser möchten einfach darüber Bescheid wissen.
2) Um der Regie eine auf den Deckel zu hauen, wenn sie Unfug getrieben hat. Denen gilt im Vorfeld (leider) auch fast die gesamte mediale Aufmerksamkeit. Deshalb haben sie es auch verdient, wenn sie den Unmut lautstark an den Kopf geworfen bekommen. Das Dilemma: Das scheint schon Programm. Buh dürfte die neue Währung sein, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Ansonsten sind Folgeaufführungen in der Regel zu bevorzugen!
Jürgen Pathy
Lieber Kollege,
dem kann ich grundsätzlich zustimmen. In diesem Falle sind es weniger Tagesform und Unausgeprobtheit, sondern musikalisches Konzept und Castingresultate. Das Ergebnis in der dritten oder x-ten Aufführung dürfte nicht wesentlich anders sein… und die hohen Preise im Vergleich zur erbrachten Leistung sind unwesentlich günstiger.
Beste Grüße, Patrik Klein