Fotoprobe „Der Freischütz“, Bregenzer Festspiele © anja koehler
Elisabeth Sobotka hat sich vor ihrem Wechsel als Intendantin an die Berliner Staatsoper mit einer heiklen Produktion verabschiedet, die dem experimentellen Regietheater auf der Seebühne mehr Raum gibt denn je. Bislang war das Festspielhaus mit kleineren Produktionen dafür der geeignete Ort. Ob ihre finnische Nachfolgerin Lilli Paasikivi gut beraten sein wird, in diese Richtung weiterzuwirken, bleibt abzuwarten. Der Beifall zur Premiere fiel jedenfalls freundlich, aber doch weitaus bescheidener aus als in den Vorjahren.
Carl Maria von Weber Der Freischütz
Romantische Oper
Libretto von Friedrich Kind nach der Erzählung von Johann August Apel
Wired Aerial Theatre, Statisterie der Bregenzer Festspiele
Bregenzer Festspielchor/Prager Philharmonischer Chor
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Wiener Symphoniker
Seebühne Bregenz, 17. Juli 2024 (Première)
von Kirsten Liese
Ein verschneites, winterliches Dorf dominiert die Bregenzer Seebühne. Der dreißigjährige Krieg hat seine Spuren hinterlassen. Der Kirchturm ist im Wasser abgesoffen, die Häuser sind krumm und schief, die Bäume kahl. Und auch die Menschen an diesem Ort sind rau geworden, Max und Kilian tragen ihre Rivalität um die Gunst der schönen Agathe mit Waffen aus.
Keine Frage: Einen großen Schauwert bietet diese Landschaft, die an Gemälde von Pieter Breughel oder Hieronymus Bosch erinnert, allemal, auch wenn man sie nicht unweigerlich mit der deutschesten aller romantischen Opern in Verbindung bringen würde als weit eher mit einem Bergfilm von Joseph Vilsmaier.
Philipp Stölzl, der erstmals Carl Maria von Webers Freischütz am Bodensee inszeniert, ist schließlich nicht nur Opernregisseur, sondern auch Filmemacher, einer mit viel, viel Fantasie.
Sein Bregenzer Rigoletto mit dem unheimlichen Clownskopf zählte zum Besten, was ich an diesem Ort je gesehen habe, vor allem auch deshalb, weil Stölzl das Gespenstische in Verdis düsterem Stück so stark herausstellte.
Im Freischütz nun hat Stölzls Fantasie leider überhandgenommen, so dass von Carl Maria von Webers Oper wenig übrig bleibt.
Es beginnt mit einem verzweifelten Max, der mit Hilfe der teuflischen Freikugeln seine eigene Braut erschossen hat und nun selbst von den Dörflern an einem Pfahl aufgeknöpft wird. Dann geht es per Rückblende an den Anfang der Oper.
Von da an fegt Stölzl zunehmend rigoroser durch Partitur und Libretto. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Theatermacher Jan Dvořák hat er viele gesprochene Texte hinzugedichtet, untermalt mit einem musikalischen Soundtrack für Cembalo, Akkordeon und Kontrabass.
Über diese Neuschöpfungen avanciert Samiel als eine Art Faustischer Mephisto, der Geschehen ironisch kommentiert, wo er nicht gerade als handelnde Figur in Erscheinung tritt, zur zentralen Figur. Stölzl und Dvořák haben aber nicht nur neue Texte dazu erfunden, sie haben auch die bekannten stark abgewandelt, wenn sie etwa das Ännchen „Männer sind mir böse Gäste“ singen lassen (im Original „Grillen sind mir böse Gäste“).
Damit nicht genug: Einige Verse aus ihren Arien müssen Nikola Hillebrand als Agathe und Christof Fischesser als Kaspar dem Schauspieler-Teufel überlassen, der in Gestalt von Moritz von Treuenfels zwar starke Auftritte voller Sarkasmus und Hohn beschert, die an Gustav Gründgens’ legendären Mephisto in Goethes Faust erinnern, der Musik aber schaden. Zumal diese Produktion durch die zahlreichen ironischen Brechungen und satirischen Kommentare unweigerlich zur Persiflage wird.
Dabei bieten die aufwendige ausgestattete Bühne, Gesine Völlms ansprechende biedermeierliche Kostüme und die durchaus virtuose Textdichtung mit gereimten Versen durchaus ein unterhaltsames, gruselig-komisches, spannendes Schauermärchen. Nur hätte man diese Produktion ehrlicher verpacken müssen: als Uraufführung eines vom Freischütz inspirierten Stücks von Philipp Stölzl mit Musik von Carl Maria von Weber.
Dann wäre einem sicherlich auch nicht so mancher Kitsch unangenehm aufgestoßen, der sich hier und da in die Szene einschleicht, als wolle man den Komponisten vorführen, wenn zum Beispiel Ännchens Arie „Kommt ein schlanker Bursch gegangen“ ein Ballett von Wassernixen und Mitsumm-Chor begleiten. Oder wenn am Ende der Eremit vor dem Lamm Gottes postiert, in lila pinkfarbenes Licht getaucht.
Ein humorvolles Augenzwinkern begleitet freilich auch die Szene in der Wolfsschlucht, in der ebenfalls Musical- und Showästhetik zum Einsatz kommen samt einer feuerspeienden Riesenschlange, einem auf dem Wasser brennenden Zauberkreis und einer imposanten Tonkulisse mit allerhand Donnergrollen und Vogelgekreisch (Ton: Alwin Bösch, Clemens Wannemacher).
Musikalisch gelingt ein weitgehend solider Abend, bei dem es zeitweise zwischen Bühne und Orchester wackelt, was auf das Konto des die Premiere dirigierenden Enrique Mazzolas geht.
Nikola Hillebrand, die ich weiland in Dresden schon als eine wunderbare Zdenka in Strauss’ Arabella erleben durfte, singt ihre beiden Arien mit lyrischer Schönheit, soweit ihr die bearbeiteten Neufassungen Gelegenheit dazu geben. Das „Leise, leise fromme Weise“ hätte freilich noch leiser daher kommen dürfen, aber dazu hätte ihre Agathe als die besorgte, zerbrechliche junge Frau erscheinen müssen dürfen, als die sie Weber und sein Librettist gezeichnet haben. In Stölzls Inszenierung geht ihr so mancher Satz recht lakonisch von den Lippen.
Das resolute Ännchen von Katharina Ruckgaber korrespondiert, wenngleich trefflich gesungen, von allen Figuren wohl am wenigsten mit dem aus dem Original-Libretto. Mit uncharmanten Äußerungen über den Geliebten ihrer Freundin tritt sie auf, die sie weniger tröstet, als dass sie ihr ihren Max auszureden versucht. In einem Moment wird ihre Ablehnung des anderen Geschlechts dann auch handfest, wenn sie die bereits schwangere Agathe auf den Mund küsst und in der Schwebe bleibt, ob die beiden Frauen vielleicht zusammen die Flucht ergreifen, sollte Max sein entscheidender Probeschuss misslingen.
Mauro Peter macht eine gute Figur als dieser Max, singt seine Szenen und Arien mit profunder Stimme und meistert die ihm auferlegten großen schauspielerischen Herausforderungen überwiegend im Wasser. Christof Fischesser gibt glaubwürdig den raubeinigen Kaspar, sein Bass hätte gleichwohl gefährlicher tönen dürfen. Franz Hawlata als Erbförster Kuno und Liviu Holender als Fürst Ottokar geben überzeugend die knorrigen Alten.
Elisabeth Sobotka hat sich vor ihrem Wechsel als Intendantin an die Berliner Staatsoper mit einer heiklen Produktion verabschiedet, die dem experimentellen Regietheater auf der Seebühne mehr Raum gibt denn je. Bislang war das Festspielhaus mit kleineren Produktionen dafür der geeignete Ort. Ob ihre finnische Nachfolgerin Lilli Paasikivi gut beraten sein wird, in diese Richtung weiterzuwirken, bleibt abzuwarten. Der Beifall zur Premiere fiel jedenfalls freundlich, aber doch weitaus bescheidener aus als in den Vorjahren.
Kirsten Liese, 18. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Inszenierung/Bühne: Philipp Stölzl
Kostüme: Gesine Völlm
Licht: Philipp Stölzl, Florian Schmitt
Samiel: Moritz von Treuenfels
Agathe: Nikola Hillebrand
Ännchen: Katharina Ruckgaber
Max: Mauro Peter
Kaspar: Christoph Fischesser
Kilian: Maximilian Krummen
Ein Eremit: Andreas Wolf
Ottokar: Liviu Holender
Brautjungfern: Theresa Gauß, Sarah Kling