Starke Stimmen. Starkes Orchester. Starke Klangsprache. Die Geschichte? Schwamm drüber

Sergej Prokofjew, Der Spieler  Felsenreitschule, Salzburg, 17. August 2024

Der Spieler 2024 © SF Ruth Walz

Die Sängerriege Sean Panikkar, Asmik Grigorian, Peixin Chen und Violeta Urmana überzeugt vollumfänglich. Orchestermusikalisch ist Der Spieler von Prokofjew eine reizvolle klangfarbenreiche Entdeckung für mich. Und doch kein großer Abend, denn das Libretto ist so ein Stückwerk, dass meine Aufmerksamkeit taumelt, ich mich nicht voll auf Stimmen und Musik einlassen kann.

Der Spieler
Komposition von Sergej Prokofjew

Libretto von Sergej Prokofjew nach dem Roman von Fjodor Dostojewski

Musikalische Leitung Timur Zangiev
Regie Peter Sellars

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker

Felsenreitschule, Salzburg, 17. August 2024

von Frank Heublein

In der Felsenreitschule in Salzburg wird an diesem Abend Der Spieler von Sergej Prokofjew aufgeführt. Die zwischen 1915 und 1928 entstandene Oper wurde 1929 uraufgeführt.

Angelpunkt, meistens auf der Bühne, meistens emotional aufgewühlt singend, ist Alexej Iwanowitsch. Tenor Sean Panikkar meistert diese extreme Rolle des Hauslehrers des Generals beeindruckend. Niemals presst er. Klar, kraftvoll, dynamisch singt er die Rolle mit Bravour. Das verzweifelt Spielsüchtige darf er sich zu meinem Bedauern nicht ersingen. Das Libretto lässt seine Spielsucht in der Rouletteszene den Chor der anderen Gäste im Casino erzählen. Einer der vielen Punkte, die librettistisch aus meiner Sicht besser organisiert hätte sein können.

Der Spieler 2024 © F Ruth Walz

Die Person, um die sich eigentlich alles dreht, ist Polina. Alle wollen was von ihr. Der General klaut ihre Mitgift, Mr. Astley nimmt sich Sex. Der Marquis spielt sadistische Spiele mit ihr. Und Alexej? Schnallt nicht, dass Polina seine Liebe will und nicht sein Geld. Das er wie ihres gleich mit verspielt. Sopranistin Asmik Grigorian kann große Gefühle wahr und nachvollziehbar singen. Sie reißt mich gesanglich mit. Ihre volle Stimme, wow! Die Rolle enthält viel Verzweiflung, der sie sich stimmlich wie damit auch in der Rolle hart strahlend stellt. Da gibt es viele „Lösungen“, auf die sie nicht stolz ist. Dummerweise verknallt sie sich in den semi-idealistischen Spielsüchtigen Alexej. Sie schickt ihn erst am Ende der Oper in die Wüste, aber muss sich deshalb in die Arme des Mr. Astley begeben. Mieses Schicksal! Dank Asmik Grigorian kommt das in mir an.

Chen Peixin © Simon Pauly

Den General a.D. gibt Bass Peixin Chen. Eigentlich ist er nur Oberst a.D. Großspurig also, Schulden machen, keinen Plan haben, außer andere Menschen versuchen abzuziehen. Dieses Einwickelnde entnehme ich seiner Stimme. Souverän sonor singt er, nur scheinbar Herr der Situation.

Der Spieler 2024 © SF Ruth Walz

Der erste Hingebungssturm im Schlussapplaus vor den drei Vorgenannten gehört der Großmutter Babulenka, gesungen von Mezzo Violeta Urmana. Was für eine stimmliche Bühnenpräsenz. Forsch, im Gegensatz zur in der Rolle vorgegebenen körperlichen Gebrechlichkeit voller stimmlicher Energie und Wut, ein stimmlich wohltimbrierter Strahl. Der das Kartenhaus des Generals mit einem Stimmstrich zusammenfallen lässt. Der General bekommt volle Kanne sein Fett ab, der sich ihr Ableben erwünscht und nicht müde wird, ihren baldigen Tod zu verkünden, auf dass er erbe. Er erbt keinen Groschen, verkündigt Violeta Urmana als Babulenka wutentschlossen.

Dirigent Timur Zangiev erzeugt mit den Wiener Philharmoniker eine hundertdreißig Minuten andauernde Dichte und Intensität. Die Musik provoziert in mir das Gefühl des Ständig-gehetzt-Seins. Das erfühle ich als komponiertes Suchtgefühl. Brillant. Prokofjew komponiert einen großartigen klangfarblichen Reichtum, den das Orchester wunderbar zum Leuchten bringt.

Der Spieler 2024 © SF Ruth Walz

Mein erster Gedanke zur Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor in Der Spieler: sportlich sportlich. Denn der Chor muss mehrfach im Laufschritt die Bühne kreuzen. Dass sie meine Seele und Bauch bestürmen und einnehmen können, zeigen sie mir an diesem Abend in der Rouletteszene. Gute Regieidee: der Chor rückt dem Publikum auf die Pelle. Kommen in den Gang zwischen erster Publikumsreihe und Orchestergraben nasennah an die erste Reihe ran. Ich stelle mir vor wie die Damen und Herren den heißen Atem spüren und vibriere innerlich.

Wird Sergej Prokofjew auf seiner Wolke jetzt auf mich so sauer sein wie auf die Kritiker der Uraufführung in Brüssel? Denn: so toll drängend bedrückend ich seine Musik finde, sein Libretto ist ein assoziativ wild zusammengewürfeltes. So richtig klar ist mir zu keinem Zeitpunkt, warum was jetzt genau gerade passiert. Warum wer gerade was macht. Das ist ein Wirkungstreffer, wie man im Boxen sagt. Meine Aufmerksamkeit fängt dadurch an zu taumeln.

Die Roulettetische, die mal auf der Bühne stehen, mal über der Bühne hochgezogen werden, sehen aus wie die Raumschiffe der Flash Gordon Serie aus 1936, natürlich bunter. Natürlich haben die leuchtenden Objekte ihren choreografischen Sinn. Habe ich natürlich gesagt? Nö, nicht natürlich, sondern Peter Sellars. Mit seiner Erfahrung und Einfallskraft schafft er, dass die breite Bühne der Felsenreitschule nie leer wirkt oder zu weit. Oder irgendwas deplatziert bei der sprunghaften Handlung. Das Irgendwas lässt er gekonnt weg. Er tut damit alles, um die Geschichte zusammenzuhalten.

Starke Stimmen. Starkes Orchester. Starke Klangsprache. Die Geschichte? Schwamm drüber. Zu meinem eigenen Bedauern gelingt mir nicht, dieses Gesamtbild in mir als eindeutig positiv zu verankern.

Frank Heublein, 18. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm

Der Spieler

Oper in vier Akten op. 24 (1915—1917 / 1927—28, uraufgeführt 1929)
Komposition Sergej Prokofjew (1891 – 1953)
Libretto von Sergej Prokofjew nach dem Roman von Fjodor Dostojewski

 Besetzung

Musikalische Leitung   Timur Zangiev
Regie   Peter Sellars
Bühne   George Tsypin
Kostüme   Camille Assaf
Licht   James F. Ingalls
Choreinstudierung   Pawel Markowicz
Dramaturgie   Antonio Cuenca Ruiz

Der General a.D.   Peixin Chen
Polina, Stieftochter des Generals   Asmik Grigorian
Alexej Iwanowitsch, Hauslehrer der Kinder des Generals   Sean Panikkar
Antonida Wassiljewna Tarassewitschewa, genannt Babulenka   Violeta Urmana
Der Marquis   Juan Francisco Gatell
Mr. Astley, ein reicher Engländer   Michael Arivony
Blanche, eine Halbweltdame   Nicole Chirka
Fürst Nilski   Zhengyi Bai
Baron Wurmerhelm  Ilia Kazakov
Potapytsch, Babulenkas Haushofmeister   Joseph Parrish
Direktor des Casinos   Armand Rabot
Erster Croupier    Samuel Stopford
Zweiter Croupier   Michael Dimovski
Dicker Engländer   Jasurbek Khaydarov
Langer Engländer   Vladyslav Buialskyi
Bunte Dame   Elizaveta Kulagina
Blasse Dame   Lilit Davtyan
Eine Dame comme ci comme ça   Seray Pinar
Verehrungswürdige Dame   Cassandra Doyle
Verdächtige Alte   Zoie Reams
Hitziger Spieler    Santiago Sánchez
Kränklicher Spieler   Tae Hwan Yun
Buckeliger Spieler   Aaron-Casey Gould
Erfolgloser Spieler   Navasard Hakobyan
Alter Spieler   Amin Ahangaran

Sechs Spieler
Slaven Abazovic, Konrad Huber, Juraj Kuchar, Jaroslav Pehal, Wataru Sano, Oleg Zalytskiy

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert