Grandiose Live-Aufführung in Köln schlittert haarscharf an Eklat vorbei

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Robin Ticciati, Leif Ove Andsnes, Klavier,  Kölner Philharmonie, 7. Februar 2022

 

Foto:  © Helge Hansen_Sony Music Entertainment


Kölner Philharmonie,
7. Februar 2022

Wolfgang Amadeus Mozart – Ouvertüre aus: La clemenza di Tito KV 621
Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchestre d-Moll KV 466
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 1 D-Dur “Titan”

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Robin Ticciati, Dirigent

Leif Ove Andsnes, Klavier

Von Daniel Janz

Die Meisterkonzerte Köln – eine Reihe, die internationale Orchester zum Besuch in der Domstadt einlädt und dabei nicht nur einen frischen Wind sondern auch stets neue Eindrücke verspricht. Nachdem im vergangenen Jahr eine große Anzahl dieser Konzerte pandemiebedingt entfallen musste, freut es daher umso mehr, heute mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin auch wieder Gäste auf höchstem Niveau begrüßen zu dürfen, die mit Mozart und Mahler obendrein auch noch zwei sehr bekannte Namen im Repertoire mitgebracht haben. Garanten für das Gelingen dieser Aufführung sollen neben dem namenhaften Orchester besonders sein britischer Dirigent Robin Ticciati (38) und der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes (51) sein.

Als Einstieg haben die Gäste eine Komposition gewählt, die getrost als eine der beeindruckenderen Musiken Mozarts zählen darf. Das Komponistentalent der Wiener Klassik brachte die Opera seria „La clemenza di Tito“ im September 1791 in Prag zur Uraufführung – derselbe Monat, in dem später auch seine weltbekannte Zauberflöte ihre Uraufführung erlebte. Aus dem in Rom spielenden Zweiakter über Verrat, Reue und Gnade ertönt heute jedoch nur die thematisch nicht im Zusammenhang stehende Ouvertüre. Eine Wahl, die sich aufgrund des eröffnenden Charakters dieses Ausschnitts anbietet.

Tatsächlich gelingt den Gästen aus Berlin hier ein erstes, starkes Statement. Die Mischung aus feierlichem Einstieg und lyrisch verspielt vorgetragenem Seitenthema weiß zu überzeugen. Besonders die Einwürfe der Naturtrompeten kommen unterstützt zu den Schlägen der Pauken sehr klar und sind eine Freude anzuhören. Selbst der Rezensent, der ansonsten nicht unbedingt zu den Mozart-Freunden gehört, erkennt in dieser Aufführung viel Temperament und eine gelungene Akzentuierung dieses Orchesters unter seinen Dirigenten Ticciati. Das ist schon beeindruckend.

(c) Gregor Hohenberg

Beeindrucken kann im zweiten Werk des Abends dann auch der im Norwegischen Bergen lebende Pianist Leif Ove Andsnes. Der für seinen „unaufgeregten“ Stil bekannte, mehrfach ausgezeichnete Künstler ist neben zahlreichen Einspielungen momentan besonders für seine Auseinandersetzung mit Mozart im Gespräch. Entsprechend routiniert wirkt sein Spiel in dessen Klavierkonzert. Wie es für Mozarts Stil typisch ist, erscheint die Musik eher seicht und durch viele Wiederholungen charakterisiert. Das kann auch schnell mal langweilig werden. Leif Ove Andsnes löst diesen Umstand aber durch seine beeindruckend klare Vortragsweise und immer wieder sehr bewusste Akzente, die die Spannung aufrecht erhalten.

© Kai Bienert

Nicht außer Acht zu lassen ist aber auch die Unterstützung, die ihm Ticciati und das Orchester dabei geben. Besonders in den ständigen Blickwechseln zwischen Ticciati und Andsnes ist eine tadellose Zusammenarbeit erkennbar. Das sich daraus ergebende Zusammenspiel zwischen Orchester und Solist wirkt dadurch regelrecht organisch, als wären sie alle ein und derselbe Musiker. Das ist – gekrönt durch Andsnes bemerkenswerte Virtuosität – schon große Kunst! Kein Wunder also, dass ihnen im Anschluss ein regelrechter Sturm an Applaus entgegenschlägt, für den Andsnes sich mit einer kleinen Zugabe (ebenfalls von Mozart) bedankt. Und auch das Rondo in d-Dur inklusive Zitaten aus „Eine kleine Nachtmusik“ wirkt leichtgängig und sehr unterhaltend. Was Mozart betrifft: Besser kann eine Interpretation nicht sein.

In Erwartung des Hauptwerks des Abends kommt es kurz nach der Pause fast zum Eklat, als eine politische Aktivistin im Saal offenbar zum Boykott von Leif Ove Andsnes aufruft. Bereits vor der Philharmonie waren dazu Flyer verteilt worden. Das beherzte Eingreifen eines anderen Besuchers, der sie lautstark zum Schweigen auffordert und dafür Applaus erntet, unterbindet aber weitere Störungen.

Foto: Facebook

So gelingt es, die Vorfreude schnell wieder auf das Hauptwerk des Abends zu lenken. Mit Mahler steht zum Abschluss ein Gigant der Orchestermusik auf dem Programm, der wegen seines Judentums selbst mit politischen Boykottaufrufen und Diffamierungen zu kämpfen hatte. Unbeeindruckt davon und längst als ganz Großer etabliert werden seine Werke noch heute aufgeführt. So auch seine erste Sinfonie mit dem Titel „Titan“, die eine der bemerkenswertesten und auch größten Sinfonien überhaupt ist. Legendär ist vor allem ihr Finale, in dem Mahler seine eigene Version von Orpheus in der Unterwelt verarbeitet hat – inklusive gewaltiger Apotheose.

Schnell merkt man, dass Dirigent und Orchester sich eingängig mit dieser Mega-Komposition beschäftigt haben. Bereits der Anfang mit Vogelrufmotiven auf einem verklärenden Streicherflageolett-Akkord beeindruckt. Die anschließende Steigerung ins Liedthema von „Ging heut morgen über’s Feld“ bieten sie genauso überzeugend dar, wie den naturverbundenen Einstieg. Besonders stark: Holzbläser und Streicher.

Verzaubern kann auch der zweite Satz mit seinem Ländlerthema und der fast tänzerischen Darbietung durch Ticciati und die Berliner Gäste. Vor allem die Hörner stechen heraus, geben ab und an sogar etwas zu viel des Guten, da hier tatsächlich ein/zweimal Unsauberkeiten auffallen. Satz 3 besticht wiederum durch seine Wechsel von düsteren Klangeindrücken zu fröhlicher Kletschmermusik. Auch wenn Ticciati das Tempo etwas schnell wählt, weiß er auch hier durch gekonnte Akzentuierungen zu ergreifen. Das Gefühl für den Moment liegt ihm jedenfalls im Blut.

Atemberaubend gelingt dann über weite Strecken das Finale. Das tosende Aufbäumen der Streicher und Bläser gegen eine feurige Schlagzeuggruppe ist Garant für Gänsehautgefühl. Und als am Ende des Finales dann auch noch Hörner verstärkt durch eine Posaune aufstehen und mit erhobenen Schalltrichtern blasen, gibt es fast kein Halten mehr. Wohlverdient spendet das Publikum den Musikern tosenden Applaus, viele erheben sich sogar von ihren Plätzen und geben Bravo-Rufe ab.

Nach so einer Aufführung ist es undankbar, doch noch ein wenig am Lack kratzen zu müssen. Denn eigentlich kann man über weite Strecken von einer gelungenen Darbietung sprechen. Zu den Aufgaben eines Rezensenten gehört es aber auch, Verbesserungspotential auszumachen und anzusprechen. Und tatsächlich sieht er zwei Baustellen. Während Holzbläser und Schlagzeug restlos begeistern, Harfe, Tuba und Posaunen klare Akzente setzen und die Streicher in einem beeindruckenden Einsatz bis ans Limit der Erschöpfung gehen, erscheint die Horngruppe – wie schon zum zweiten Satz erwähnt – nicht durchgängig sicher. Die insgesamt 7 Hörner können zwar durch einen beeindruckend kräftigen Klang verzaubern. Der Nachteil ihrer enormen Durchschlagskraft ist jedoch, dass auch Unsauberkeiten schnell auffallen, wie dies dem Rezensenten im zweiten und dann auch vierten Satz geschieht.

Darüber hinaus ist die Gruppe nicht gut mit den Trompeten abgestimmt. Wo diese bei Mozart noch klar herausstachen, geht die erste Trompete in den lauten Stellen des ersten Satzes von Mahlers Sinfonie gnadenlos unter. Und das, obwohl sie hier das Hauptthema klangkronenartig über das Orchestertutti setzen sollte. Unnötig schade ist das auch deshalb, weil ihre lyrischen Einwürfe in einer mühelos wirkenden Schönheit erklingen, die große Klasse erkennen lässt. Aber auch im zweiten Satz fallen die Trompeten-Soli an lauten Stellen wieder schwach auf der Brust auf. Erst, als die anderen 4 Trompeten ebenfalls mit einsetzen, legt sich diese Schwäche. So drängt sich die Frage auf, ob Ticciati hier die Hörner nicht etwas zur Mäßigung aufrufen oder die erste Trompete von Anfang an hätte verdoppeln lassen sollen.

Ob diese ineinandergreifenden Details Formschwäche oder einfache Ausrutscher sind, weiß der Rezensent nicht zu beantworten. Der grundsätzlich guten Aufführung tun sie aber zum Glück keinen großen Schaden an. Und nach dieser Vorstellung dürfte auch kein Zweifel bestehen: Das Potenzial, ebenfalls noch diesen kleinen Gipfel hin zu absoluter Perfektion zu erklimmen, ist definitiv vorhanden.

Daniel Janz, 9. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart, Mahler Chamber Orchestra, Leif Ove Andsnes, Matthew Truscott Elbphilharmonie Hamburg, 9. November 2021

Wolfgang Amadeus Mozart, Leif Ove Andsnes Klavier, Mahler Chamber Orchestra, Kammermusiksaal Philharmonie Berlin, 13. November 2021

Daniels Anti-Klassiker 3: Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 7 „Lied(er) der Nacht“ (1908)

2 Gedanken zu „Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Robin Ticciati, Leif Ove Andsnes, Klavier,
Kölner Philharmonie, 7. Februar 2022“

  1. „…kommt es kurz nach der Pause fast zum Eklat, als eine politische Aktivistin im Saal offenbar zum Boykott von Leif Ove Andsnes aufruft. Bereits vor der Philharmonie waren dazu Flyer verteilt worden.“

    Da wüsste man schon gerne, was der Grund für diesen Boykott-Aufruf war! Vielleicht zu viel von Mozarts „seichter und langweiliger Musik“ ? Mann oh Mann!

    Peter Sommeregger

    1. Der Grund war Leif Ove Andsnes Engagement in Israel und das damit verbundene (Zitat aus dem Flyer) „art-washing der Unterdrückung an der Palästinensischen Bevölkerung“.

      Ich muss gestehen, dass ich lange mit mir gerungen habe, ob ich diesen Zwischenfall überhaupt erwähnen möchte. Denn ich halte den Grund für mindestens problematisch und die Art und Weise, wie dieser Protest gestaltet wurde, für indiskutabel.

      Beste Grüße,
      Daniel Janz

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