Philharmonie Berlin, 6. Februar 2018
Italienisches Liederbuch von Hugo Wolf
Diana Damrau und Jonas Kaufmann in Berlin
von Kirsten Liese
Es ist nicht einfach, und es war schon vor 50 Jahren schwierig, ein Publikum für einen Liederabend zu gewinnen, bei dem ausschließlich Hugo Wolf auf dem Programm steht. Diese Erfahrungen machten sogar Jahrhundertsänger wie Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig oder Dietrich Fischer-Dieskau.
Insofern ist man sehr dankbar, wenn in heutigen Zeiten Sänger mit einem großen Namen – denn nur solche können sich eine solche Programmgestaltung überhaupt leisten – das Wagnis eingehen.
Die Sopranistin Diana Damrau, der Tenor Jonas Kaufmann und ihr Pianist Helmut Deutsch haben sich ehrenwert dem „Italienischen Liederbuch“ verschrieben, in verschiedenen Metropolen wie Berlin, Hamburg und Wien bringen sie den Zyklus mehrfach zur Aufführung.
Wo immer Jonas Kaufmann und damit einer der gefragtesten Klassikstars unserer Zeit an Bord ist, sollte eigentlich der Saal voll sein, sollte man annehmen. In der Philharmonie in Berlin war das jedoch nicht der Fall, was den generell schwierigen Stand des Liederabends bestürzend bewusst machte: Nicht nur in den oberen Blöcken blieben viele Sitze leer, sondern sogar ganz vorne im Block A.
Hugo Wolf ist schwer zu singen und seine Liedkunst in heutigen Zeiten, so selten sie geboten wird, vermutlich auch kaum noch bekannt. Seine Miniaturen, darunter sehr kurze von nur anderthalb Minuten, schmeicheln sich dem Hörer nicht mit eingängigen Melodien ein, sie sind auch nicht durchdrungen vom leidenschaftlich-schwärmerischen Ton der Romantik und bieten dem Interpreten nichts, womit er auftrumpfen könnte. Sie leben in ihrer Schlichtheit vielmehr ganz und gar von der Ausdeutung der von Witz, Esprit, Charme und Poesie lebenden, minimalistischen Texte, die den Interpreten ein großes Spektrum an Klangfarben und Ausdruck abverlangen.
Diana Damrau und Jonas Kaufmann bringen diese Intimität allemal zur Geltung, sie nehmen ihre großen Stimmen oft zurück, lassen die leisen Töne überwiegen. Aber, um es gleich zu sagen: So subtil im Ausdruck und nuancenreich wie den großen Wolf-Interpreten von einst gelingt ihnen der Zyklus nicht.
Farbwechsel und Emotionen vermitteln sich eher äußerlich, wenn die Sopranistin nach den Abgängen zwischen den einzelnen Liedblöcken mit andersfarbigen Schals wiederkehrt und wenn die beiden nicht nur mit vielsagenden Blicken und Gesten ihre Szenen durchleben, sondern sich etwas überambitioniert als Schauspieler einbringen.
Zwar wirkt es hier und da ganz lustig, wenn Kaufmann beim Zuhören und als Reaktion auf die von seiner Partnerin vorgetragenen Lieder „Schweig einmal still“ oder „Du denkst mit einem Fädchen mich zu fangen“ zum Pantomimen des beleidigten, zurückgewiesenen Liebhabers wird. Aber mitunter nimmt die theatralische Gestaltung zu viel Raum ein.
Das ist schade, denn gleich beim ersten Lied „Auch kleine Dinge können uns entzücken“, mit dem sich der ganze Zyklus exemplarisch überschreiben ließe, beweist die Sopranistin mit der gebotenen Uneitelkeit und bezaubernden Pianotönen, dass sie für die Intimität und den Minimalismus dieser Impressionen allemal ein Gespür hat.
Vermutlich im Bemühen, die unspektakulären Verse etwas aufzupeppen, bringen sich die Interpreten im Laufe des Abends immer stärker als Schauspieler ein, tun der Musik damit aber keinen Gefallen. Im Gegenteil: An mancher Stelle erweist sich das Stehgreifspiel im Hinblick auf Balance und Akustik als unvorteilhaft, wenn sich Diana Damrau wie im Schlusslied „Ich hab’ in Penna“ plötzlich um die eigene Achse dreht und das ihr im Rücken sitzende Publikum ansingt. Zum Glück ereignen sich solche Manöver nur selten an diesem Abend, der ein bisschen ungünstig anläuft, weil während der ersten sechs Lieder ein penetrant hoher Hörgerät-Störton in der Luft hängt und aus dem Saal so laut gehustet wird, dass man von der Musik wenig hört.
Für Kaufmann, der uns in der Oper stets so fasziniert mit dem großen Strahl seines Tenors, liegen viele Lieder fast eine Spur zu tief. Die meisten bewegen sich überwiegend in der Mittellage, da kommen seine Qualitäten nicht so recht zum Zuge. Zumal es dem Startenor an diesem Abend auch nicht gelingt, seiner Kehle bildschöne Pianotöne zu entlocken. Ist er einmal in höherer Lage gefordert wie in dem Vers „Die Schönheit Palme war an Euch gegeben“ oder „Die Sonne lockt Ihr auf die Berge dort“, kommen ihm ungeschmeidige, etwas steife Sprechtöne unter.
Diana Damrau kommt mit ihrem strahlend schönen Sopran insgesamt besser rüber, aber mitunter wirkt der Ton des Scherzhaften, Kecken, wie er etwa auch das entzückende „Wie lange schon“ bestimmt, dynamisch zu stark aufgedreht, etwas opernhaft überzeichnet.
Wem es vergönnt war, Meisterkurse mit der genialen Wolf-Interpretin Elisabeth Schwarzkopf zu erleben, wird sich erinnern, wie sie nie müde wurde allen Eleven einzutrichtern, dass das „ä“ in der deutschen Sprache beim Singen der hässlichste Vokal ist, weshalb sie empfahl, ihn ins „e“ einzufärben. Davon scheinen Damrau und Kaufmann auch noch nichts gehört zu haben, wie schade, dass diese beiden engagierten, sympathischen Sänger, denen man ihre große Freude am Singen so deutlich anmerkte, keine Gelegenheit hatten, mit ihr zu studieren.
Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Alles in allem war dies ein achtbarer Liederabend, durchsetzt von Schalkhaftigkeit, Zärtlichkeit und Charme.
Am meisten überzeugte der Mann am Klavier, der grandiose Helmut Deutsch, der stets die richtige Stimmung und das ideale Tempo vorgab, ideal dynamisierte und an den Stellen, an denen die Aufmerksamkeit sich ganz auf seinen Part richtet, zum famosen Solisten wurde.
Kirsten Liese, 7. Februar 2018, für
klassik-begeistert.de
Hallo Frau Kirsten Liese,
vielen Dank für diesen fabelhaften Bericht!
Jürgen Pathy
Offiziell war der Liderabend schon lange ausverkauft. Da hat wohl die jahreszeitich bedingte Erkrankungswelle Lücken geschlagen.
Frau Damrau anzukreiden, dass sie sich dem hinter ihr platzierten Publikum zuwendet, kann ich nicht nachvollziehen.
Darstellerische „Erläuterungen“: Dieser lange Wolf-Zyklus ist als reiner Vortrag Lied für Lied schwer zu hören und hat durch die gekonnten schauspielerischen Miniaturen sehr gewonnen.
Schals: Haben Sie nicht gemerkt, dass die Farben der Schals den „Farbton“ der Liedgruppen angedeutet haben?
Waltraud Becker
Zu Liederabenden gehen wir selten, dieses Konzertereignis war unserem Abonnement „Große Stimmen“ geschuldet, allerdings nicht in Berlin, sondern am 08.02.18 in der Hamburger Elbphilharmonie. Wie schon im letzten Jahr bei Philippe Jaroussky war auch dieser Abend unter akustischen Aspekten ein Ereignis. Wir saßen ganz hoch auf der Ebene 16 im Block V etwas seitlich vom Konzertpodium und hatten keinerlei akustische Einbußen. Vielmehr zeigte der Saal, dass selbst die ganz leisen Töne klangschön und voll bis hinauf in den Olymp emporsteigen, so dass sich Jonas Kaufmanns Gesangskunst unmittelbar auf uns Zuhörer übertrug. So beeindruckte er vor allem bei den im Piano gesungenen Liedern wie „Nun lasst uns Frieden schließen (Nr. 8) oder auch im ergreifenden „Sterb‘ ich, so hüllt in Blumen meine Glieder“ (Nr. 33) mit unglaublicher Konzentration unter Einsatz der ihm wie kaum einem anderen Tenor zur Verfügung stehenden Stimmfarben.Aber auch der Glanz seiner Stimme im Forte ging unter die Haut. Diana Damraus gesanglicher Vortrag litt in meinen Ohren eher unter einem immer mal wieder störenden stärkeren Vibrato, auch standen ihr, so empfand ich es im Vergleich zu Jonas Kaufmann, für die Liedinterpretation nicht die notwendigen Stimmfarben zur Verfügung. Dass sie auch überzeugend singen kann, zeigte sich erst bei der zweiten Zugabe, bei der sich Kaufmann im Duett sehr zurück hielt und der Kollegin das Feld für operngleich glühende Tonemissionen überließ.
Ralf Wegner