„In diesem neuen Klangwunder in Hamburg müssen Ruhe und Demut neu definiert werden.“
Foto: Maxim Schulz ©
Elphilharmonie Hamburg, Ostern 2019
Erneut ist die Elbphilharmonie, das neue Wahrzeichen der Freien und Hansestadt Hamburg, scharf kritisiert worden. Nach dem deutschen Star-Tenor Jonas Kaufmann hat ein Weltklassedirigent keine freundlichen Worte über die „Elphi“ verloren. Der Italiener Riccardo Muti will den Prachtbau künftig boykottieren, sagte er der WELT. „Ich trete da nicht mehr auf! Dort vergeude ich nicht meine Zeit.“ Der Saal sei „mittelmäßig“, wiederholte Muti seine bereits 2017 geäußerte Kritik. Er habe den Saal aus seinen Tourneen mit den Wiener Philharmonikern und dem Chicago Symphony Orchestra streichen lassen.
Als Herausgeber von klassik-begeistert.de hatte ich am 14. und 15. Januar 2017 das große Glück, Riccardo Muti und das Chicago Symphony Orchestra im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erleben – kurz nach Eröffnung des 866 Millionen Euro teuren Baus am 11. Januar 2017. Es waren Sternstunden in meinem an Höhepunkten nicht armen Klassikleben.
Ich habe etwa 4000 Opern und Konzerte rund um den Globus verfolgt und kenne fast alle wichtigen Konzertsäle und Opernhäuser der Welt. Bereits beim Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie war mir klar: Dies ist von der Architektur und von der Akustik her ein ganz besonderer Konzertsaal.
Seitdem habe ich mehr als 100 Konzerte in der Elphi verfolgt und kenne alle Bereiche des Großen Saales. Mein Resümee: Dies ist ein ganz phantastischer Konzertsaal, der seinesgleichen sucht. Fast überall ist der Klang überragend transparent. Die Musiker können traumhaft, fast nicht wahrnehmbar leise spielen und gleichzeitig ein phantastisches Fortissimo zelebrieren. Wer gute Ohren hat, der kann auch ganz oben, in Ebene 16, einzelne Instrumente messerscharf heraushören.
Klar, es gibt auch weniger gute Plätze. Wenn Sänger auftreten, die kein großes Volumen haben, hört man – logischerweise – auf den Plätzen hinter der Bühne weniger gut. So verließen Zuschauer nach dem Jonas-Kaufmann-Konzert am 12. Januar 2019 ihre Plätze, weil sie den Star-Tenor nur schlecht hörten.
Kaufmann kritisierte danach den neuen Bau wegen der Akustik. „Ich frage mich auch wirklich, ob man bei der Planung dieses Saals einzig an Konzerte mit großen Orchestern gedacht hat und nicht an die Vielfalt unseres Metiers“, sagte er zum Hamburger Abendblatt.
Der Generalintendant der Elbphilharmonie und der Laeiszhalle, der Wiener Christoph Lieben-Seutter, hatte sich im KURIER-Interview gegen die Kritik Kaufmanns verwehrt. „Kaufmann hat eben lieber dem Saal als seinem Dirigenten die Schuld gegeben“, sagte er. „Die Elbphilharmonie ist nicht unbedingt ein Saal für Anfänger. Man muss schon ein bisschen was können.“
Ich habe am 8. Februar 2019 das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Ingo Metzmacher mit der 13. Sinfonie „Babi Jar“von Dmitrij Schostakowitsch gehört. Der Sänger Mikhail Petrenko (Bass) stand seitlich hinter dem Orchester und war auch hinter der Bühne wunderbar zu hören. Am 3. April 2019 hörte ich den französischen Countertenor Philippe Jaroussky ganz oben, seitlich von Ebene 16. Vor der Pause saß ich ganz leicht hinter dem Sänger und hörte ihn gut, aber nicht sehr gut. Erst als ich nach der Pause nur zwei Plätze weiter nach rechts rücken konnte und leicht vor dem Franzosen saß, konnte ich mich voll und ganz an seiner Ausnahmestimme erfreuen.
Bereits am 15. Januar 2017 schrieb klassik-begeistert.de:
„Der Große Saal der Elbphilharmonie im Hamburger Hafen hat am Samstagabend offenbart: Kritiker haben unrecht, wenn sie dem 2100 Zuschauer aufnehmenden Raum Kälte und Sterilität vorwerfen. Das Chicago Symphony Orchestra unter dem Star-Dirigenten Riccardo Muti hat aufgezeigt, welch phantastische Möglichkeiten der Große Saal offenbart, wenn ein Klangkörper spielt, der vollkommen harmoniert und vom Pianissimo bis zum Fortissimo perfekt zu intonieren vermag.“
Unvergesslich war damals das phantastische Bratschen-Solo in Edward Elgars „In the South“, das plötzlich über einem samtenen Klangteppich stand und vor ein funkelndes, glitzerndes Orchester zu treten schien. „Die Viola spielte so schön, als wäre es immaterieller Klang“, sagte der Wiener Musikprofessor Reinhard Rauner, der eigens aus der österreichischen Hauptstadt in die Hansestadt Hamburg geflogen war. „Es war ein traumhaftes Klangerlebnis.“
klassik-begeistert.de benannte schon damals die Tücken der phantastischen Akustik in der Elbphilharmonie:
„Um so störender waren alle von Menschen produzierten Geräusche: Handtaschen, die auf und zu gemacht wurden. Gespräche, die zwischen Frauen und Männern geführt wurden, die nicht bei der Sache waren. Fotogeklicke während des Konzerts! Ja, vor dem Kritiker filmte sich ein Mann mehr als zwei Minuten lang und grinste dabei.“
Der Wiener Musikprofessor Reinhard Rauner fand für diese Herrschaften drastische Worte: „Das sind sensationsgeile Barbaren, die nicht wegen der phantastischen Musik in die Elbphilharmonie kommen. In diesem neuen Klangwunder in Hamburg müssen Ruhe und Demut neu definiert werden.“
Rauners Rat an Musiker, die im Großen Saal musizieren: „Dieser Raum verzeiht nichts. Jeder Ton, den Du spielst, ist wie auf einer Tafel komplett eingraviert.“
Maestro Muti sagte übrigens am 14. Januar 2017 beim kurzen „Meet and Greet“ nach seinem ersten Auftritt in der Elbphilharmonie: „Wir fühlten uns sehr komfortabel. Dieser Saal ist etwas trockener als die neue Pariser Philharmonie. Er ist sehr ehrlich und verbirgt Schwächen nicht.“
Ja, es ist wahr: Vom Ansatz über die Entwicklung bis zum Ende des Klanges ist alles schonungslos transparent zu hören im Großen Saal. Professor Rauner: „Manchmal klingt es hier ein wenig zu hart und zu kalt. Im Wiener Musikvereinssaal ist der Klang wärmer. Das ist halt a bisserl typisch Wienerisch. Der Musikvereinssaal ist nachgiebiger. Im Goldenen Saal habe ich im Gegensatz zum Großen Saal der Elbphilharmonie nie das Gefühl, dass die Töne auseinanderstreben. Der Goldene Saal trägt Dich als Musiker. Es fehlt mir hier in Hamburg ein wenig das Gemütliche, das Bequeme und Vertraute im Großen Saal. Dieses Gefühl: Du lehnst Dich zurück und lässt dich vom Klang einlullen.“
Aber der Wiener Musikprofessor akzeptiert, „dass ich die Instrumente einzeln und klarer höre – das ist eine neue Sicht auf die Werke.“
klassik-begeistert.de-Leser Dr. Holger Voigt, mittlerweile Autor, brachte es nach dem ersten Konzert des Chicago Symphony Orchestra in der Elbphilharmonie wunderbar auf den Punkt: „Ein Erlebnis, das ich zeitlebens in mir tragen werde, ein Blick in das musikalische Paradies.Das dynamisch übergangslose und transparente Erklingen von Fortissimo- und Pianissimo-Phasen war schlichtweg unglaublich. Wie im Pianissimo ein gehaltener Ton quasi in die Unendlichkeit verklingen kann, ist irgendwie nicht von dieser Welt. Das Publikum war durch sein Husten und Räuspern bei diesen Passagen geradezu beleidigend zu den Musikern. Warum ist das in Hamburg nicht zu beheben? Ein grandioser Abend ließ sich dadurch nicht beeinflussen – danke an unsere Gäste aus Chicago!“
Auch der Weltklassetenor Klaus Florian Vogt ist von der Akustik in der Elbphilharmonie sehr angetan. Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt sagte er im Interview:
Nach dem Kaufmann-Skandal war vielfach zu lesen, die Elbphilharmonie sei für Sänger halt ungeeignet. Sehen Sie das auch so?
Klaus Florian Vogt: Nee! Ich finde den Saal fantastisch. Er hat eine unglaubliche Atmosphäre. Was die Akustik betrifft: Man muss ihn zu bespielen wissen. Er klingt nicht von allein. Man muss etwas investieren. Aber dann klingt es toll.
Was haben Sie investiert?
Klaus Florian Vogt: Ich merke, was ich machen muss, damit ich bis zum letzten Platz vordringe. Man darf nicht für sich singen. Ab einem bestimmten Punkt, wenn man bestimmte Frequenzen nutzt, bekommt man etwas zurück. Dann macht der Saal mit. Ich spiele mit Farben oder mit der Dynamik. Eins funktioniert nicht: aus der Aktivität wieder herauszugehen. In der Laeiszhalle geht das, die schwingt von allein. Die Elbphilharmonie nicht. Man kriegt nichts geschenkt!
Das Hamburger Abendblatt hatte berichtet: „Bei seinem Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie wurde der Star-Tenor Jonas Kaufmann am Sonnabend durch Zwischenrufe wie ‚Man hört hier hinten auch nichts’ und einzelne Besucher, die während Mahlers ‚Lied von der Erde’ ihre Plätze wechselten oder den Saal verließen, deutlich aus dem Takt gebracht. Mehrfach, und am liebsten bei leisen Stellen, hatten Zuhörer – bestens hörbar und sichtbar – ihre Plätze verlassen. Andere spazierten aus seitlichen oder hinteren Bereichen weiter nach vorn – oder gleich ganz hinab, zu einzelnen frei gebliebenen Plätzen ins Parkett.“
Elbphilharmonie-Sprecher Tom R. Schulz kommentierte den Artikel in der „Welt“ auf Abendblatt-Anfrage nun so: „Wenn zwei mächtig gewaltige Egos beim Sake in Tokio aufeinanderstoßen und es tönt hohl, dann kann daran nicht auch noch die Elbphilharmonie schuld sein.“
Andreas Schmidt, 22. April 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Akustik Elbphilharmonie
Man muss die besonderen akustischen Bedingungen verstehen, wobei ein wenig Logik hilfreich ist. Dann muss man auch damit umgehen können, und immer mehr Musiker schaffen das brillant. Man könnte gegen Muti viele gleichrangige Kollegen zitieren, z. B. Nelsons, Nézet-Séguin, Gergiev, Jansons, Rattle, Currentzis … Es ist schon merkwürdig, dass Herr Muti sein sehr positives Urteil vom Januar 2017 (keine Anspielprobe damals!) nach langer Zeit so auf den Kopf stellt. Der in Sachen Elbphilharmonie obsessive „Feuilletonmitarbeiter“ der WELT (M. Brug) hat ihn irgendwie dazu gebracht. Siehe auch den Report des Chicago Symphony Orchestra (CSO) vom Januar 2017: https://csosoundsandstories.org/hamburgs-elphi-reveals…/
Johannes Capriolo
Nach eigenem Erlebnis kann ich nur sagen: die Akustik ist einmalig ! Ich kenne einige Konzertsäle, aber so eine glasklare und umfassende Akustik habe ich noch nicht erlebt. Und ja, man muss ihn ausprobieren, diesen Saal. Man muss nicht nur das Musikstück als solches proben, sondern man muss das Musikstück auch akustisch „verproben“.
Peter Gethmann