DIE MITTWOCH-PRESSE – 6. AUGUST 2025

DIE MITTWOCH-PRESSE – 6. AUGUST 2025

Fot0 © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Für Sie und Euch in den Zeitungen gefunden
DIE MITTWOCH-PRESSE – 6. AUGUST 2025

Bayreuth: LOHENGRIN
„Vor euren Augen soll es leuchtend tagen!“ – „Lohengrin“ glänzt in Bayreuth 2025                                                      Es funktioniert noch, das „blaue Wunder“ auf dem Grünen Hügel, auch wenn der Lohengrin in der Inszenierung von Yuval Sharon mit der Bühne und den Kostümen von Rosa Loy und Neo Rauch nun schon im achten Aufführungsjahr angekommen ist. Seien wir ehrlich – auf manche Regie-Einfälle blickt man immer noch mit Fragezeichen, aber nach wie vor erfreut das in zahlreichen Nuancen leuchtende magische Blau, das, wie die ganze Produktion, seit Jahren hinlänglich besprochen und assoziiert worden ist….
Von Dr. Andreas Ströbl

Klassik-begeistert.de

Bayreuth/Festspiele: TRISTAN UND ISOLDE

Aus dem Graben drang nur selten einmal tiefe Schwermut, wie mir überhaupt Semyon Bychkov den Eindruck eines Langstreckenläufers im Mezzoforte machte.  Das war wohl auch der Grund, warum die Produktion trotz vereinzelter sängerischer Glanzleistungen wenig ans Herz ging. Unterm Strich eine gute, solide Aufführung. Aber für Bayreuth ist das nicht genug.Richard Wagner  Tristan und Isolde
Bayreuther Festspiele, 3. August 2025
Musikalische Leitung: Semyon Bychkov
Inszenierung: Thorleifur Örn Arnasson
von Kirsten Liese

Klassik-begeistert.de

BAYREUTH/Festspiele: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ ist eine komische Oper, aber wann hat man mal in einer Inszenierung wirklich Tränen gelacht? Regisseur Matthias Davids hat mit seiner Produktion von 2025 in Bayreuth sicher keine Experimente gewagt, aber es ist ihm eine wundervolle, bildstarke und farbenpralle Produktion gelungen, die vor allem eines bringt: grandiosen Spaß!
Von Dr. Andreas Ströbl

Klassik-begeistert.de

Wien
Gratis für alle: Staatsoper lädt zum 70er in den Burggarten
Die Staatsoper feiert ihr 70-jähriges Jubiläum und veranstaltet am 7. September eine kostenlose Gala mit Star-Aufgebot im Burggarten.

oe24.at

Salzburger Festspiele
Jubel für eine Oper, die gar keine richtige Inszenierung hatte
(Bezahlartikel) Mozarts „Mitridate“ wurde bei den Salzburger Festspielen gefeiert – völlig zurecht.

Kurier.at

„Mitridate“ wird zur Salzburger Sternstunde
(Bezahlartikel)

SalzburgerNachrichten.at

Vom Frieden, den keiner will
Festspiele / Mitridate, re di Ponto

drehpunktkultur.at

Stellt den Faust doch einfach mal auf den Kopf! (Bezahlartikel)
Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ verwandelt den Schock des Ersten Weltkriegs in ein unsentimentales Märchen. In Salzburg ist das Stück nun mit Marionetten von Georg Baselitz zu erleben. Ein genialischer Streich.

faz.net

Vor der Festspielpremiere von „Drei Schwestern“:
Eine Oper für die Zukunft (Bezahlartikel)
Vier Countertenöre für „Drei Schwestern“? Diese Besetzung sei zur Entstehungszeit der Oper 1997 visionär gewesen, sagt Dirigent Maxime Pascal

SalzburgerNachrichten.at

Das Lied in Salzburg: Devieilhes Paradiesvögel, Nigls Narren
(Bezahlartikel)

DiePresse.com

Kritik Igor Levit in Salzburg:
Wo Levit still ist, bleibt der Saal unruhig

BR-Klassik.de

Die Magie des Leisen
Festspiele / Solistenkonzert Igor Levit

drehpunktkultur.at

Bayreuth
Zwischenbilanz Bayreuther Festspiele 2025
Wagner, Wetter und Thielemann

BR-Klassik.de

Thielemanns Rückkehr: Bayreuth hat seinen Meister gefunden
(Bezahlartikel) Der Dirigent Christian Thielemann feiert seine Rückkehr nach Bayreuth und triumphiert mit dem „Lohengrin“. Doch leider kämpft der Festspielchor mit argen Unsicherheiten.

faz.net

Aufs Kleid schreibt sie ihr ganzes Leid
(Bezahlartikel) In der Wiederaufnahme von „Tristan und Isolde“ geben in Bayreuth vor allem Camilla Nylund und Ekaterina Gubanova alles, um die Aufführung zu retten. Regie und Dirigat machen es ihnen schwer.

faz.net

Berlin
Spanien zu Gast bei „Young Euro Classic“
Dieses Orchester besteht alle Feuertaufen (Bezahlartikel) Das nationale spanische Jugendorchester begeistert mit katalanischen Tänzen und Strawinskys „Sacre“ beim „Young Euro Classic“-Gastspiel im Berliner Konzerthaus.

tagesspiegel.de

Hamburg
Journalist über Kühne-Oper in Hamburg
„Er würde sich am Ort der Schuld ein Denkmal setzen“ Hamburg lässt sich von Klaus-Michael Kühne eine Oper bauen. So legitimiert sie dessen Umgang mit der NS-Schuld seiner Firma, findet Journalist Bleyl.

taz.de

Pärnu
Pärnu Musikfestival: Jung klingt es an der Ostsee
Dirigent Paavo Järvi leitet in Pärnu in Estland ein einzigartiges Musikfestival. Die 15. Jubiläums-Ausgabe feierte auch die Komponistenlegende Arvo Pärt anlässlich seines 90. Geburtstages.

krone.at

Ballett / Tanz
Gesichter des Flamencos
In der 15. Auflage des Stuttgarter Flamenco Festivals wird endlich ein Tanz der Compañía Manuel Liñán gezeigt. „¡VIVA!“ am Theaterhaus Stuttgart zelebriert die vielen Gesichter des Flamenco abseits von Geschlechternormen.

DieDeutscheBuehne.de

Links zu englischsprachigen Artikeln

Salzburg
Walking through the valley of death

Peter Sellars’s triple bill of Viennese modernism featuring Erwartung and a concert performance of The Raft of the Medusa stare down death at the Salzburg Festival

parterre.com

München
Bavarian State Opera and Siemens to Digitize Acoustics of Bavaria’s National Theater
Using Siemens’s „The Sound of Science“ app, musicians can simulate the acoustic effects of different stage layouts and venue configurations before they arrive

theviolinchannel.com

Bayreuth
The tenor Piotr Beczała has been impressing audiences with his back-to-back performances in Wagner’s “Lohengrin” in less than 41 hours

independent.co.uk

London
UK’s Royal Ballet and Opera withdraws Tosca production in Tel Aviv
Show scheduled for next year pulled after 182 members of UK company sign letter criticising RBO’s stance on Gaza

TheGuardian.com

Kahchun Wong’s immaculate conception of Mahler’s ‘Resurrection’ Symphony

seenandheard-international.com

Glyndebourne
An overgrown path to cliché-ville: Glyndebourne revives Michieletto’s Kátya Kabanová

bachtrack.com/de

Glyndebourne’s Kát’a Kabanová is musically devastating
Review (Subscription required) Damiano Michieletto’s staging is stark but singers and orchestra take Janáček’s opera to the height of intensity

ft.com

Káťa Kabanová, Glyndebourne review
Emotional concentration in a salle modulable Janáček superbly done through or in spite of the symbolism

theartsdesk.com

Santa Fe
Wagner: Die Walküre at Santa Fe Opera
Live Review    The spirit of exploration is vividly reflected in the vision of British director Melly Still

gramophone.co.uk

Peking
Breaking the shell: China NCPA Orchestra embarks on first European tour

bachtrack.com/de

Recordings
DVD Review: Zurich Opera’s ‘Ring Cycle’

operawire.com

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WIEN/ ImPulsTanz: Meg Stuart & Francisco Camacho / Damaged Goods & EIRA mit „steal you for a moment“ im Schauspielhaus Wien

Sie bereisten gemeinsam Sardinien, besuchten Ruinen der Jahrtausende alten, mysteriösen Nuraghen-Kultur der Insel und fanden dort Inspiration für ihr erstes gemeinsames Duett auf der Bühne. Die Tänzerin, Choreografin und Regisseurin Meg Stuart, sie wurde unter anderem 2018 auf der Biennale di Venezia mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk geehrt, und der portugiesische Choreograf, Performer und Tänzer Francisco Camacho arbeiten bereits seit über 30 Jahren zusammen. Mit „steal you for a moment“ setzen sie ihrer Freundschaft ein Denkmal.

meg stuart franciso camacho steal you for a moment (c) laura farne
Meg Stuart & Franciso Camacho: „steal you for a moment“ © Laura Farne

1991 arbeiteten sie das erste Mal zusammen. Einen Höhepunkt bildet das von Camacho seit 2007 getanzte, weltweit gefeierte Solo „Blessed“, in dem der Regen seine Hütte aus Pappe langsam zerstört. In seiner bislang 40-jährigen Karriere entwickelte er 22 Gruppen- und 20 Solo-Stücke, war an weiteren elf Projekten beteiligt und gründete 1996 EIRA, einen „Platz für Tanz“ in Lissabon.

Für diese Österreichische Erstaufführung hat Meg Stuart bewusst die Bühne eines kleineren Hauses gesucht. Die Nähe zum Auditorium respektive die räumlich reduzierte Entfernung zu den Performenden bringt die Intimität auf der Bühne auch in die Beziehung zwischen PerformerInnen und Publikum.

Der vielseitige, 1984 geborene und sich hier zeitweise auch performativ beteiligende Künstler Gaëtan Rusquet, sein besonderes Interesse gilt der Beziehung zwischen Materie und Bewusstsein, schuf ein Bühnenbild aus aufgeklebten Strahlen, ausgehend von mehreren Punkten, sich kreuzend, bis in den Zuschauerraum reichend, und Objekten aus Holz: Pyramiden, Platten, Winkel. Alle sind irgendwo an einer Kante schief, und passen am Ende doch perfekt zusammen. Und manches ist aus Sand gebaut.

Wie schön ist allein dieser Aspekt, der dem Drang nach Optimierung und Vollkommenheit entgegenhält: Habe Vertrauen! Es ist alles richtig so. Es findet sich und zueinander. Es passt. Du passt. Später schickt er grüne Streifen aus Laserlicht durch das Theater. Anfangs noch gerade, dann kippen die Ebenen. Die Zukunft scheint sich anzumelden. Aus Kontrolle wird Ungewissheit, jene Unschärfe des Stuart’schen Kosmos, der ihre verschlüsselten Stücke prägt und für manche so schwer fassbar macht. Und er installiert ein langes Pendel, erinnernd an das Foucault’sche, das von einem Wummern begleitet den unteren Totpunkt passiert. Aber für den Nachweis der Erdrotation bleibt an diesem Abend keine Zeit. Der Zweifel am Stillstand genügt.

Frösche quaken am Anfang und am Ende. Der Sounddesigner Vincent Malstaf lässt es krachen und wimmern, er setzt elektronischen Sound, Klangsplitter und Klaviermusik neben eingespielte Songs. Holländische Stimmen und sardische Folklore. Am prägnantesten wohl der Song „We Float“ von PJ Harvey, in dem sie davon träumt, dass „wir eines Tages dahingleiten werden und das Leben nehmen, wie es kommt“.

Meg Stuart bleibt sich treu in der Formensprache der inszenierten Kommunikation. Zwischen durchchoreografierten Sequenzen und konzentrierter Improvisation erlebt man völlig entspannte Atmosphäre mit Neckereien und Geplauder. Spannungsbögen sind ganz ihre Sache. Wir sehen Silhouetten von Emotionen, alten und frischen, hören den Nachhall dessen, wozu sie sie gemacht haben und machen in sich. Wir werden Zeugen eines stetigen Wandels, einer profunden Diskontinuität. Über allem aber hängt jene schützende Glocke aus einem durch nichts zu erschütternden spirituellen Vertrauen in das Leben, also die Kunst. Wenn alles ungewiss ist und veränderlich, hier liegt die Basis ihrer künstlerischen und privaten Nähe.

Was die beiden zusammenführte und -hält ist ihr Focus auf die Innerlichkeit, auf eine Tiefe, die von unten nur leise klopft an Oberflächen aus Gesten und Tanz. Und gerade das verleiht diesen Gesten ihr Gewicht. Ungewissheit und Angst, Möglichkeit und Fantasie, Vergänglichkeit und Gegenwärtigkeit, Intimität und Respekt, Selbstvergewisserung und Perspektivenwechsel, Zwänge und Zulassen, Annäherung und Verstoßen, Orientierungslosigkeit und Fallen, Forschergeist und Zweifel, Zärtlichkeit und Trost, Nähe und Distanz, zwischen Konflikt, tiefem Verstehen und der Suche nach Gemeinsamkeiten, Profanem und Profundem und, natürlich, mit Humor.

Das Stück wird belebt von einem ungeheuren Reichtum an Aspekten und den Beziehungen zwischen diesen, die gestisch, mit Worten, Objekten, Musik und Licht zu einem hoch komplexen, partiell wirklich nahegehenden Reigen aus Situationen, Stimmungen und Atmosphären verflochten werden. In brüchiger hölzerner Rüstung steht Camacho auf einem Sockel. Seine unbeholfenen Versuche des Selbstschutzes und der Gegenwehr sind rührend skurril. Als wären Freiheit und Überleben der Kunst und der Kunstschaffenden verhandelbar in Zeiten der konsequenten Kapitalisierung aller Bereiche des Lebens. Selbst die Klimakatastrophe findet ihren Platz. Mit Stirnlampen, Archäologen gleich, begeben sie sich auf die Suche nach dem Dunklen in uns, nach den Schatten auf unserer Seele.

„steal you for a moment“ schlägt vor, nicht nur für diese 100 Minuten Erwartungen abzuschaffen, loszulassen, zuzulassen und sich hinzugeben, sich damit einer inneren Freiheit anzunähern, die jeden Widerstand ad absurdum führt. Und dann zu schauen, was passiert. Und das ist überraschend viel. Die Arbeit ist in ihrer historisch-gegenwärtigen Zukünftigkeit und mit der köstlichen Vieldeutigkeit ihrer Bilder nicht nur ein Tauchgang in die Beziehung zwischen diesen beiden großen KünstlerInnen, sondern ebenso, und vielleicht viel mehr, eine komplexe Metapher für ein Leben, für eine Epoche und für das Menschsein überhaupt.

Nachdem Gaëtan Rusquet die hölzernen Fragmente zu einem Ruinenfeld konzentrierte, plaudern Stuart und Camacho neben den Bruchstücken einer unbekannten Vergangenheit und wie in der Sonne Sardiniens auf dem Rücken liegend. Sie entdecken Privates, als würden sie sich gerade erst kennenlernen, und weisen damit in eine Zukunft, die zu beginnen scheint mit dem Verlöschen des Lichts.

Am 27.07.2025 stellte Meg Stuart ihr neues, zweites Buch „Let’s Not Get Used to This Place“ in der Roten Bar des Volkstheater Wien vor. Ein aufwändig gestalteter Abriss ihres Schaffens der letzten 15 Jahre mit Beiträgen vieler ihrer Kollaborateure.

Meg Stuart & Francisco Camacho / Damaged Goods & EIRA mit „steal you for a moment“ am 31.07.2025 im Schauspielhaus Wien im Rahmen von ImPulsTanz.

Rando Hannemann

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WIEN / ImPulsTanz:
Akram Khan: „Thikra: Night of Remembering“
im Burgtheater Wien

Der international gefeierte britische Choreograf und Tänzer Akram Khan, seine bengalischen Wurzeln scheinen in seinen Arbeiten immer irgendwie auf, ist ein Meister der Reaktivierung von uralten Mythen und der Erforschung ihrer Aktualität. Als Auftragswerk des Wadi AlFann, Valley of the Arts, Al-ʿUla, entstanden und im Jänner 2025 im Rahmen des AlUla Arts Festivals als Open-Air-Version uraufgeführt, entführt die erst vor wenigen Wochen das erste Mal und hier als Österreichisch-Premiere gezeigte Bühnenversion von „Thikra: Night of Remembering“ in die einsame Landschaft im Nordwesten Saudi-Arabiens.

Khans Werke leben von Kollaborationen mit vielen namhaften Künstlern verschiedener Bereiche. Die bereits mit vielen Preisen geehrte bildende Künstlerin Manal AlDowayan, Khan entwickelte gemeinsam mit ihr auch das narrative Konzept, versetzt die Bühne in die menschenleere Wüste des Wadi AlFann. Das hinten errichtete, über eine Treppe erreichbare Felsplateau, unter diesem ein Höhleneingang, dominiert die Bühne. Die in London arbeitende, unter anderem auch für die Pina Bausch Foundation tätige Lichtdesignerin Zeynep Kepekli taucht die Bühnenlandschaft mit ihren bis auf eine Ausnahme unsichtbaren Lichtquellen in naturnahes, immersives Licht. Sie schafft wirkungsvolle mystische, geheimnisvolle Stimmungen.

1 akram khan company thikra (c) camilla greenwellAkram Khan Company: „Thikra: Night of Remembering“ © Camilla Greenwell

Musik und Sound spielen in Akram Khans Stücken eine gewichtige Rolle bei der Schaffung von Atmosphären. Aditya Prakash, Sänger und Komponist, erarbeitete unter Beteiligung des Sounddesigners Gareth Fry und von mehr als 35 internationalen MusikerInnen komplexe Klanglandschaften, die allein schon, wie so häufig in Khans Stücken, den Besuch der Vorstellung lohnen.

AlDowayan schuf auch die Kostüme. Sie hüllte das aus 13 Frauen bestehende Ensemble in bodenlange, weite Kleider. Graue für die Stammesmitglieder, schwarz für die Beschwörerin und das rituelle Medium, weiß für den Ahnengeist und Lila für die Matriarchin.

Die leitet ihren Stamm durch das einmal jährlich durchgeführte nächtliche Ritual der Erweckung der Ahnen. Vom Fels des Wissens herab beginnt und beendet sie dieses. Hier offenbart sich eine Zyklik, die ein die Menschheitsgeschichte begleitendes Phänomen darstellt: Die Wiederkehr von immer wieder neu gewandeten Fehlern, Versäumnissen oder Unterlassungen gleichen Charakters.

Das Ritual weckt Erinnerungen vieler Generationen an eben diese. Es ist Teil einer heute von Mahnern unterschiedlichster Couleur geforderten, von Fortschrittsgläubigkeit und Ignoranz jedoch verdrängten Erinnerungskultur, die den Kreislauf der menschengemachten Katastrophen zu unterbrechen helfen kann.

Der Symbolgehalt des Stückes ist immens. Auch wenn die Erzählung der Geschichte nur die eines uns fremden, uralten Rituals zu sein scheint, ermöglichen einzelne Bilder, Szenen wie auch das Stück als Ganzes eine Kontextualisierung im Heute. Ein Stein mit Inschriften wird zum Symbol für altes Wissen. Dass dieser schwere Stein erst umgedreht werden muss, der Ahnengeist allein schafft es nicht, steht für die kontinuierliche Entwertung von Erfahrung und Alter. Von einer Ehrung der Ahnen entfernen wir uns immer weiter mit Jugendlichkeitswahn und Humankapital.

2 akram khan company thikra (c) camilla greenwellAkram Khan Company: „Thikra: Night of Remembering“ © Camilla Greenwell

Die Weitergabe von Wissen ermöglicht Fortschritt. Dass dieser inzwischen vornehmlich als technologischer begriffen wird und somit die Wissensvermittlung das die Effizienz hemmende Ideelle ausschließt, macht die Wiederholung auch der schlimmsten Fehler der Menschheit möglich und wahrscheinlich. Der Mensch als solcher also hat sich selbst vom Wachstum ausgeschlossen. Das Niveau seiner Technologien hat das seiner moralisch-ethisch-spirituellen Reife bereits vor 2 Jahrhunderten überholt. Mit stetig steigendem Abstand und der sich damit verschärfenden Gefahr eines der Menschheit und der Schöpfung gegenüber verantwortungslosen Umganges mit den Ergebnissen des Fortschritts.

Der ausschließlich weiblich besetzte Cast repräsentiert zudem das weibliche, bewahrende Prinzip als Gegenstück zum männlichen, das erschafft. Nicht nur physisch-technologische Wunderwerke gehören zu den Errungenschaften einer vom Patriarchat dominierten und gebeutelten Welt, auch solche wie die Separierung der Gesellschaft, Diskriminierung, Unterdrückung und Krieg. Hier setzt Akram Khan ein deutliches Zeichen gegen die fortgesetzte Herrschaft des Mannes. Die Zartheit und Zärtlichkeit der Frauen im Umgang miteinander, ihre Solidarität untereinander berühren. Der hier zum Leben erweckte Antagonismus schwarz-weiß als Bild für die polare Weltsicht der westlichen „Hoch-“ Zivilisation wird von den Frauen entkräftet. Sie schaffen es mit vereinten Anstrengungen, die schwarz gekleidete Inkarnation der Angst vor dem Tod zu besiegen und damit die Kontinuität des Erbes und dessen Wertschätzung zu sichern.

Das aus fantastischen Tänzerinnen vieler verschiedener nationaler und kultureller Herkünfte bestehende Ensemble zeigt in solistischen und Gruppentänzen mit eingeflochtenen theatralen Szenen Tanz auf höchstem Niveau. Der klassische indische Bharatanatyam mit seiner komplizierten Fußarbeit, expressiven Handgesten und charakteristischen Posen wird mit zeitgenössischem Material zu einer die Jahrtausende umspannenden, die Kulturen miteinander verschränkenden, in ihrer Dynamik variablen und durch ihre Intensität mitreißenden Choreografie verwoben. Diese mischt in kraftvollen, vom Sound getriebenen Tänzen Geschichte und Gegenwart. Wenn sie ihre langen Haare schleudern, erinnert man sich an die mit so viel Gewalt niedergeschlagene Freiheitsbewegung der Frauen im Iran.

3 akram khan company thikra (c) camilla greenwellAkram Khan Company: „Thikra: Night of Remembering“ © Camilla Greenwell

Der Künstler und Mensch Akram Khan wird getrieben von seiner Sorge um die Zukunft der Menschheit und des Planeten. Was der Menschheit verloren geht und gehen wird durch Fragmentierung und Geschichtsvergessenheit, kann man wohl nur erahnen. Chancen für und sogar die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit gibt es allenthalben. Khan zeigt, auch das ist eine der Metaphern nicht nur dieses Stückes, welche Chancen sich ergeben durch Kollaboration. Damit kann Großes auf höchstem Niveau und von universeller Bedeutung entstehen. So wie „Thikra: Night of Remembering“. Ein bewegendes Werk, geschaffen von großen Künstler-Persönlichkeiten, komponiert aus brillantem Tanz, gewaltigen Bildern und wuchtigem, kraftvollem Sound. Gegen das Vergessen.

Rando Hannemann

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CD OLIVIER MESSIAEN TURANGALÎLA SYMPHONIE; Deutsche Grammophon

Hommage zum 75. Jahrestag der Uraufführung und zum 35. Jubiläum der Letztfassung 1990: Andris Nelsons dirigiert das BOSTON SYMPHONY ORCHESTRA

Yuja Wang Messiaen: Turangalîla-Symphonie 1 CD, Jewelcase 409031

Furioses Schmunzelmonster von der Leine gelassen

Warum nur hat dieser Sergei Kussewitzky 1945 den Kompositionsauftrag an Olivier Messiaen für sein Boston Symphony Orchestramit carte blanche erteilt? Länge, Besetzung, Stil und Termin der Fertigstellung, Messiaen hatte völlig freie Bahn. Der exzentrische Franzose auf dem besten Weg zum mystisch-religiös vebrämten Vogelgezwitscher Esoteriker, hatte die Bedingungslosigkeit dankbar angenommen und ein zehnköpfiges Monster kreiert.

Es handelt sich bei Turangalîla um keine klassische Symphonie, so etwas wie eine Durchführung gibt es erst mit der Bezeichnung „Développement de l’amour“ im achten Satz. Ein genuines Klavierkonzert ist es auch nicht geworden, weil sich das Klavier nicht als konzertierender Partner zum Orchester, sondern eher – oft einem kleineren Ensemble integriert – als kolorierendes Beiwerk zum Blutglanz der Sterne und einigen Vogelsangserkundungen eingesetzt ist.

Uraufgeführt wurde der Klavier- und Ondes-Martinot umwölkte Zehnteiler am 2. Dezember 1949 in Boston. Leonard Bernstein sprang kurzerhand für den erkrankten Kussewitzky ein. Die Reaktionen? Verhalten.

Heute gilt dieses skurrile, exzentrische Stück, von rhythmisch höllenlärmend bis hollywoodesk tränendrüsig alle Klischees der Kompositionskunst der europäischen Moderne lustvoll moussierend abgrasend, likörgezuckert mit allem möglichen folkloristischen Getön aus antikem Griechenland, Indien bis Indonesien, als sowas wie Kult. Auch 2023 huldigte Berlin mit keinen Geringeren als den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Simone Young Messiaens Monumentalismus.

Elektroakustik und Akkordcluster, alles was an Blech und Holz vorstellbar ist, so etwa eine kleine Trompete in D, drei Trompeten in C und ein Kornett in B und nicht zu vergessen das Riesen-Schlagwerk ganz nach balinesischer Art inkl. Glockenspiel, Celesta und Vibrafon, zudem Triangel, Tempelblock, Holzblock, türkischen und chinesischen Becken, Tamtam, Schellentrommel, Maracas und jeder Menge an Röhrenglocken lassen dieses von der Liebe und des Todes Wonnen in „Tristan und Isolde“ bis zum Universum reichende, megalomane Werk gewaltig erzittern. Und das Publikum mit dazu.

Die „Symphonie“ will „eine klangliche Erkundung von Liebe, Freude und Spiritualität“ sein und gibt sich nach dem hehren Worten des Schöpfers „tiefgründig, melodisch, dynamisch und farbenprächtig.“

Wer so viel will und laut posaunt, kann in der Regel seine Versprechen nicht halten oder stellt sich bewusst der Ambivalenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. So ergeht es auch Messiaen mit seinem nach zwei Sanskrit-Wörtern programmatisch angelegtem Klanggemälde. Lîla soll u.a. das Spiel im Sinne der göttlichen Einwirkung auf die kosmische Ordnung, das Spiel der Erschaffung, der Zerstörung, der Wiedererschaffung, Leben und Tod symbolisieren, Turanga Bewegung und Rhythmus.

Es ist das Verdienst der vorlegenden Aufnahme mit dem technisch fantastischen Boston Symphony Orchestra unter der theatralisch keine Extreme und Exzesse scheuenden Interpretation von Andris Nelsons, schonungslos und in aller rhythmischen Härte eines Techno-Events das Weltall-, Himmel- und Höllenstürmende der exotisch aufgepappten Partitur ungeglättet zur Diskussion zu stellen.

Unter präziser wie keine Schwierigkeit nivellierenden Mitwirkung der südkoreanischen Starpianistin Yuja Wang und Cécile Lartigau an den ondes Martinot hört sich der erste Satz wie eine verwunschene Parodie auf Alban Berg mal Stravinsky an. Die Introduktion schallt wie ein mit Lachgas aus der Reserve gelocktes Fabelwesen mit gefletschten Zähnen im maskenhaften Dauergrinsen.

Im zweiten Satz offenbart sich Biografisches: Wer mit solchen Klängen, ironisch, antiromantisch und schwerenöterisch, die Liebe besingt, traut ihr nicht wirklich über den Weg. Messiaen hängt hier der Idee einer „verhängnisvollen, unwiderstehlichen Liebe“ nach. Dahinter stehen die komplexen und durchaus schuldbeladenen Gefühle die der Komponist für seine Schülerin, zukünftige Muse und spätere Ehefrau, die Pianistin Yvonne Loriod empfand., „während seine erste Frau wegen ihres sich ständig verschlechternden Gesundheitszustandes in einer Klinik untergebracht war.“ (Charles Aubert)

Der dritte Satz, Turangalîla I, atmet unter indonesischem Glockengebimmel meditative Unruhe. Wassertropfen fallen gemächlich auf eine Sonnenuhr, bevor die Musik wieder zu stampfen und heulen beginnt und sich dreht wie ein marokkanischer Sufi in Ekstase.

Der vierte Satz steht im Temperament einer ausgelassenen nächtlichen Landfahrt. Dieser „Chant d’amour“ brüstet sich mit kosmischen Ein- und Ausblicken als paraphrasierte Sternenglanzromantik á la Richard Strauss. Nicht nur die „Alpensinfonie“ und „Zarathustra“ wehen gespenstisch durch die Noten.

Im fünften Satz wird die „Freude über das Blut der Sterne“ gefeiert. Heerscharen an Filmmusikschaffenden haben sich wohl an Elementen aus den Sätzen vier und fünf bedient., wobei diese „Joie du sang des étoiles“ mit hollywoodeskem Flitter, Glitter als glamouröse Revue mit imaginiert geschleuderten Beinen vorüberhuscht. Gershwins Stadtswingeleganz wandelt Messiaen in ein wahnwitziges Bacchanal.

Nach solch ausgiebig lustvoll zelebrierten, blutrot blinkenden Klangorgien darf sich der Hörer im sechsten Satz („Jardin du sommeil d’amour“) wohlverdient im Garten des Liebesschlafs erholen. Als sinnenwärmendes Klang-Spa kommt der Satz so einschmeichelnd daher wie ein mit Zimt und Minze angereicherter Orangenaufguss. Ein Lüfterl „Flieder“ und Vogelsangsüße runden das Intermezzo ab.

Turangalîla II (Satz sieben) weckt uns mit Klavier, Pauke und einem entfesselten Schlagzeug unsanft aus dem Traum. Satz acht erzählt von der „Entwicklung der Liebe.“ Kitsch as kitsch can. „Lady Macbeth von Mzensk“ mystisch eingedampft soll den Liebesakt als göttliches Ereignis erstehen lassen. Dabei wummert die Musik über weite Strecken so nervös und zappelig, als wäre wieder einmal Juno ihrem notorisch untreuen Göttergatten Jupiter auf den Fersen.

Da helfen im neunten Satz „Turangalîla III“ (bien modéré) nur noch Sternspritzer aus dem fahrenden Zuge auf dem Weg ins Finale. Dieser beschwingte Kehraus, zuerst polyrhythmisch gepfeffert, dann feist Broadway-gerüscht, geht runter wie ein „Sommerspritzer“ (= Weinschorle light) nach einem üppigem Heurigenbuffet.

Irgendwie habe ich während des Hörens doch ein gewisses Verständnis für das berühmte zugespitzte Urteil von Pierre Boulez entwickelt, der in der Musik u.a. „zu viel Zucker, zu viel Hollywood“ ortete und sie als „über weite Strecken vulgär“ beschrieb.

Dies gesagt, wartet das neue, live in der Bostoner Symphony Hall im April 2024 aufgenommene Album mit der klangmächtigsten, präzisesten und der alle größenwahnsinnigen Verrücktheiten auf die Spitze treibendsten Wiedergabe in klangtechnischer Brillanz auf.

Nach dem Hören tut zur Beruhigung der Magennerven ein Jägermeister gut. Zum „Einrenken des Gehörs“ empfehle ich eine Haydn-Symphonie, vielleicht aus der neuesten Edition (Nr. 17) der im Entstehen begriffenen Gesamtaufnahme unter Giovanni Antonini mit dem Kammerorchester Basel:

Anm.: Das Booklet erhält interessante Abbildungen aus dem Archiv des Boston Symphony Orchestra, Fotos der Uraufführung, Ausschnitte aus der handschriftlichen Originalpartitur, Pressestatements und den Aufsatz „A Song of Love“ von Charles Aubert.

Dr. Ingobert Waltenberger

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schoepfblog – Programm der 32. Kalenderwoche vom 04.08.2025 bis zum 10.08.2025

Montag:
Apropos: Um die Wohnungsmisere im Lande zu beheben, soll ein öffentliches Unternehmen die Mühen der Vermietung übernehmen. Eine an sich sehr gute Idee. (Alois Schöpf)

Dienstag:
Sport:  Der Soziologe Reinhold Knoll erweist sich als profunder Kenner des Frauenfußballs und analysiert das Spiel Deutschland/Spanien.
Literatur: Friedrich Hahn und sein Stellvertreter Peter Petermann haben wieder Neuigkeiten aus ihrer Schreibstube zu vermelden. (Helmuth Schönauer)

Mittwoch:
Sitten: Wer hierzulande einer Frau Komplimente macht, läuft Gefahr, als übergriffig zu gelten. In Frankreich ist das zum Glück noch anders. (Bettina König)
Musik: Bei den Tiroler Festspielen Erl kann in wunderbarem Ambiente und auf höchstem Niveau einfach Musik genossen werden. (Franz Mathis)

Donnerstag:
Wirtschaft: Wahrlich blamabel, wie sich Frau von der Leyen von Donald Trump in Sachen Zollstreit über den Tisch ziehen ließ (ziehen lassen musste). (Hans Augustin)

Freitag:
Politik: Markus Abwerzger hat einen Lachschlager gelandet und entdeckt als Chef der Tiroler FPÖ den Kampf gegen den Antisemitismus. (Alois Schöpf)

Samstag:
Literatur: Elias Schneitter sinniert über Autoren am Anfang ihrer Karriere nach. Wie das früher einmal war und wie es jetzt ist.

Sonntag:
Fernsehen: Tirol ist das ideale Land, um in jedem Kaff einen Landkrimi zu produzieren. 10 Vorschläge des um Ideen nie verlegenen Helmuth Schönauer.

Vergnügliche Lektüre auf https://www.schoepfblog.at/

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