Byzanz. Konstantinopel. Istanbul. Die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei hat viele Namen. Viele Gesichter. Eine lange Geschichte, auf die sie zurückblickt. Istanbul fasziniert bis heute mit seiner Wandelbarkeit und Offenheit, mit seiner enormen kulturellen Vielfalt. Wer die Millionenmetropole am Bosporus bereist, kann den eifrigen Herzschlag, den umtriebigen Puls der Stadt wahrnehmen. Es ist der Takt einer ureigenen Musik.
von Leon Battran
Der Stadtteil Beyoğlu. Nördlich des Goldenen Horns gelegen, dem Meeresarm, der 7 Kilometer in die westliche europäische Seite Istanbuls hinein reicht. Im alten Konstantinopel wurde der nördliche Abschnitt deswegen als „Pera“, als „andere Seite“, bezeichnet. Davon zeugen noch immer die zahlreichen Pera-Hotels und Pera-Restaurants, die sich hier befinden. Auch die ausgedehnte Fußgängerzone um die einstige Große Perastraße, heute „Unabhängigkeitsstraße“ oder in Landessprache İstiklâl Caddesi. Hier gibt es zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten, Bars, Cafés, Restaurants sowie Galerien und Museen. Am Kopf der İstiklâl Caddesi befindet sich der Taksim-Platz und in unmittelbarer Nähe die Taksim-Moschee und das Atatürk-Kulturzentrum.
Große Wiedereröffnung
Am 29. Oktober dieses Jahres, dem 98. Jahrestag der Republik Türkei, fand die Wiedereröffnung des Atatürk-Kulturzentrums statt. Ihr war ein zweieinhalbjähriger Komplettumbau für rund 2 MRD türkische Lira vorausgegangen. „Istanbuls Kulturszene wird neu zum Leben erweckt“, heißt es vom Ministerium für Kultur und Tourismus der Türkei.
Herzstück des neuen Atatürk Kültür Merkezi (AKM) ist der neue Opernsaal mit mehr als 2000 Sitzplätzen, der sich von außen als gigantische dunkelrot schimmernde Kugel präsentiert. Dazu kommt ein kleinerer Theatersaal, der rund 800 Personen fasst, eine Galerie- und Ausstellungsfläche und eine Mehrzweckhalle.
Zur Wiedereröffnung wurde im AKM eine zeitgenössische türkische Oper des Komponisten Hasan Uçarsu uraufgeführt, die sich mit dem osmanischen Architekten Sinan befasst. Gürer Aykal leitete das Werk in einer Inszenierung des italienischen Regisseurs Vincenzo Grisostomi Travaglini.
Kurz darauf gastierte das London Philharmonic Orchestra unter Robin Ticciati mit dem Pianisten Francesco Piemontesi. Mit „Haydar Haydar“ von Özkan Manav stand auch hier eine türkische Originalkomposition auf dem Programm. Das Ergebnis einer türkisch-deutschen Zusammenarbeit war jüngst im Konzert des Istanbuler Rezonans-Chors mit dem Chorleiter Frieder Bernius zu erleben.
Ein internationales Kunstfestival begleitete die Eröffnung des AKM und ließ die İstiklâl Caddesi zur Kulturroute werden. Mehr als eintausend Künstler waren zwischen dem 30. Oktober und dem 14. November im Stadtteil zu Gast und wirkten an 60 verschiedenen Standorten. Das Beyoğlu Culture Route Festival ist laut türkischem Tourismusministerium das größte Kunstprojekt der Türkei und soll fortan jährlich stattfinden.
Aber auch außerhalb des Konzerthauses und über das Kunstfestival hinaus gibt es in Istanbul viel zu entdecken. Wir haben das Atlas Cinema Museum und den Cercle d’Orient besichtigt. Im Meşher-Kunstmuseum ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die ausschließlich von Frauen gemachte Kunst präsentiert. Sehenswert sind auch die katholische St. Antonius-Kirche und die Odakule-Passage. Vom Galata-Turm aus bietet sich ein beeindruckender Blick über die Stadt.
Musik erklingt oft an jeder Ecke. Vor allem in den späten Abend- und Nachtstunden, wenn es von Straßenmusikern wimmelt, ist die Luft erfüllt von traditioneller türkischer Musik. Tagsüber schallt der rituelle, reich ausgezierte Gesang des Muezzins durch die Straßen und ruft alle Gläubigen zum Gebet auf.
Im südlichen europäischen Teil Istanbuls liegt die historische Halbinsel. Hier ist noch das alte Byzanz spürbar, etwa in Gestalt der 1500 Jahre alten Hagia Sophia, die nach längerer Zeit als Museum seit 2020 wieder als Moschee genutzt wird.
Unweit der Hagia Sophia befindet sich das ehemalige Hippodrom (antike Pferderennbahn) am Sultan-Ahmed-Platz. Hier lässt sich ein altägyptischer Obelisk bestaunen, der im Jahr 390 n. Chr. nach Konstantinopel kam. Nicht weit davon befindet sich der Deutsche Brunnen (Alman Çeşmesi), ein Geschenk des Kaisers Wilhelm II., wovon die Inschrift am Brunnen kündet. In der näheren Umgebung befinden sich auch die Blaue Moschee, der Topkapi-Palast und das archäologische Museum.
Man muss sich aber gar nicht unbedingt so viel vornehmen. Istanbul an sich ist schon ein Erlebnis. Wer will, lässt sich einfach treiben. Lauscht den Klängen der Straße. Lässt sich von der Musik Istanbuls anziehen.
Leon Battran, 14. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Rezonans, Frieder Bernius, Burak Onur Erdem, Atatürk Kültür Merkezi Istanbul, 14. November 2021