DIE SONNTAG-PRESSE – 16. FEBRUAR 2025

DIE SONNTAG-PRESSE – 16. FEBRUAR 2025

Theater an der Wien © Peter M. Mayr

Für Sie und Euch in den Zeitungen gefunden
DIE SONNTAG-PRESSE – 16. FEBRUAR 2025

Wien
Gleich zwei Premieren von „Norma“ in Wien: Der Mythos rund um die Oper (Bezahlartikel)
„Norma“ ab diesem Samstag im Theater an der Wien, „Norma“ ab nächstem Samstag in der Staatsoper: Warum Bellinis Meisterwerk ein gefürchteter Prüfstein für Sopranistinnen ist – und was das mit der Callas zu tun hat.
DiePresse.com

Debüt in MusikTheater
Opernstar singt mit fünf Jahren Verspätung
Sopranistin Asmik Grigorian (43) feiert am Sonntag im MusikTheater an der Wien Premiere als „Norma“ – eine Rolle, auf die sie lange warten musste.
Heute.at

Wien/Staatsoper
Ludwig van Beethoven: „Fidelio“
Lohnt es, über dieses Werk zu reflektieren, da am globalen Schulhof die Rüpel ihre Muskeln spielen lassen? Lohnt es, fortschreitenden Verfall von Bildung und Sitten als jenes Mitläufertum zu benennen, welches die aktuellen Zeitenläufte bejubelt, manchmal wider besseres Wissen? Ist physische Freiheit das Maß aller Dinge? Bedürfen wir nicht auch auch der geistigen Freiheit? Wie ist es um die Freiheit vor sich selbst bestellt? Lohnt es, für Derartiges einzutreten? Selbst, wenn man sich dabei einer Minderheit zugehörig weiß? An der Wiener Staatsoper spielt man wieder Fidelio. Weil die Zeiten sind, wie sie sind, trägt man nach den erst kürzlich Otto Schenk zum Abschied nachgeworfenen Elogen seine Inszenierung aus dem Jahr 1970 mit dieser Aufführungsserie zu Grabe: drei Abende also noch im Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen und den Kostümen von Leo Bei.
DerMerker.com

Wien
Mehr Publikum: Die Wiener Opernhäuser haben ihr Corona-Tief überwunden
Staatsoper und Volksoper zählten in der vergangenen Spielzeit mehr Besucher als vor der Pandemie. Im Burgtheater liegt man noch immer unter den Vor-Corona-Werten.
DiePresse.com

Wiener Opernball
Alles Walzer“ heißt es wieder am Donnerstag, 27. Februar, dann steht der gesamte Abend im Zeichen des Wiener Opernballs 2025.
Werfen Sie einen Blick auf die eleganten Roben der Moderatorinnen. Am 27. Februar wird in Wien der Ball der Bälle gefeiert.  Auch dieses Jahr glänzen die Moderatorinnen Mirjam Weichselbraun, Teresa Vogl, Marion Benda und – erstmals – Silvia Schneider in wunderschönen Ball-Roben.
OberösterreichischeNachrichten.at

Wien/Volksoper
Totentanz
»Der Kaiser von Atlantis« und Mozarts »Requiem« – Uraufführung als »KaiserRequiem« an der Volksoper Wien
jungewelt.de

Reise durch die Jahrhunderte mit La Philharmonica
Musikerinnen der Wiener Philharmoniker im Ehrbar-Saal mit Werken von Korngold, Brahms, Mozart sowie Georg Breinschmid und Tristan Schulze
DerStandard.at

Wien
Konzerthaus: So pfeift es im lettischen Wald
(Bezahlartikel)
Rudolf Buchbinder und die Wiener Symphoniker unter Aivis Greters: Probleme bei Strauss und Sibelius.
DiePresse.com

Graz
Höchste Klangkultur mit Riccardo Muti (Bezahlartikel)
Kritik. Nobler Bruckner, routinierter Schubert: Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker begeisterten beim Musikverein in Graz erst nach der Pause.
KleineZeitung.at

Berlin
Berlin, Staatsoper Unter den Linden – György Kurtág: „Fin de partie“
Burleske mit tiefenentspannter Musik
rondomagazin.de

Hamburg
Warum noch mal braucht Hamburg eine neue Oper?  (podcast)
Der Milliardär Klaus-Michael Kühne schenkt Hamburg ein neues Opernhaus – weil er das alte nicht mag. Was hinter dem Deal steckt
DieZeit.de

Frankfurt
Die Camerata Salzburg in Frankfurt – Blick zurück und auch nach vorn
FrankfurterRundschau.de

Darmstadt
DDR-Punk als Opernstoff?
DRITTE DEGENERATION OST: Oper Otze Axt
Wie der DDR-Punker Dieter „Otze” Ehrlich an Stasi und Mauerfall zerbrach, untersucht das Musiktheaterprojekt „Oper Otze Axt” in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt.                      die-deutsche-buehne.de

Dresden
Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik beginnen Ende März
NeueMusikzeitung/nmz.de

Dresdner Gedenken
Jenseits von Opfergruppenhierarchien: Dresden ringt um neue Formen, an den Bombenangriff von 1945 zu erinnern.
Die Dresdner Philharmonie mit Donald Runnicles weist dabei einen Weg, wie ein Ritus sich mit Leben füllen kann.
FrankfurterAllgemeine.net

Tonträger
Es strahlt und schimmert die Geige
Hörvergnügen / Strauss / Capuçon & Co
DrehpunktKultur.at

Links zu englischsprachigen Artikeln

Prag
A powerful Jeanne d’Arc in Prague
bachtrack.com/de

Paris
Sung and spoken tragedy
The return of Cherubini’s Medée to the Opéra Comique may be a homecoming, but Nigel Wilkinson almost went home at intermission.
parterre.com

Festen: a dysfunctional family opera that offers no closure
Composer Mark-Anthony Turnage has a bad-boy reputation because he tells the story warts and all.
reaction.life

Alresford
The Grange Festival announces summer 2025 programme
hampshirechronicle.co.uk

Leeds
Wagner: The Flying Dutchman at Opera North | Live Review
Yet however good the intentions, the thematic realignment weakened the piece as a drama
gramophone.co.uk

New York
REVIEW: Heartbeat’s SALOME Raised the Audience’s Blood Pressure–and the Roof–at Irondale
broadwayworld.com

Review: A Conductor Hushes the New York Philharmonic (Subscription required)
Some of the most memorable moments in the orchestra’s program this week, led by Karina Canellakis, were extremely soft.
TheNewYorkTimes.com

Spiritual music takes flight over water with Canellakis, Philharmonic
newyorkclassicalreview.com

Boston
Blomstedt brings insight, relaxed lyricism to Brahms and Schubert with BSO
bostonclassicalreview.com

Jerusalem
Jerusalem Lyric Opera Festival Unveils 2025 Season
operawire.com

Recordings
Lines of Life: Schubert & Kurtág album review
– Benjamin Appl’s wonderful tribute to extraordinary composer
TheGuardian.com

Ausstellungen/Kunst

Ein Kokoschka für Dresden und Hannover: Zwei Museen kaufen Hauptwerk
Das Gemälde „Sommer I“ befand sich lange als Leihgabe im Museumsbesitz, bevor die Eigentümer den Verkauf beschlossen. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und das Sprengel Museum Hannover haben gemeinsam ein Hauptwerk des österreichischen Malers Oskar Kokoschka (1886-1980) aus dessen Dresdner Zeit erworben. Das Gemälde „Sommer I“ entstand 1922 und wurde mit Hilfe mehrerer Stiftungen im Zuge einer Auktion über Christie’s in London aus Privatbesitz erworben. Das Werk befand sich von 1925 bis 1965 in der Sammlung des Seidenfabrikanten Hermann Lange (1874-1942) und seiner Frau Marie in Krefeld, später dann als Leihgabe in verschiedenen öffentlichen Museen. Das 1,10 Meter mal 1,40 Meter messende Bild soll im Vier-Jahres-Rhythmus zwischen den Museen wechseln, beginnend mit Dresden. Dort war es seit 1995 und bis 2023 zu sehen, als die Erben es zum Verkauf anboten.
Kurier.at

Politik

Deutschland
Entzaubert? Warum Wagenknecht plötzlich aus dem Bundestag fallen könnte
In den Umfragen hat das Bündnis Sahra Wagenknecht verloren, könnte sogar den Einzug in den Bundestag verpassen. Warum die Parteivorsitzende selbst dafür verantwortlich wäre. Jetzt wird prophezeit, dass das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte. Selbst hier in Thüringen liegt es laut Forsa-Institut darunter. Was ist passiert?
Kurier.at

München/Sicherheitskonferenz
Trumps Vize teilt in München frontal gegen Europa aus
Nicht China oder Russland bedrohten die Sicherheit Europas, sagte JD Vance vor einem verblüfften Publikum und kritisierte Meinungszensur und Massenmigration.
Kurier.at

INFOS DES TAGES (SONNTAG, 16. FEBUAR 2025)

INFOS DES TAGES (SONNTAG, 16. FEBRUAR 2025)

Quelle: onlinemerker.com

HEUTE in Wien (Musiktheater an der Wien): NORMA 

Jetzt Tickets für Norma - MusikTheater an der Wien bei oeticket.com sichern!

Gleich zwei Premieren von „Norma“ in Wien: Der Mythos rund um die Oper
„Norma“ ab diesem Samstag im Theater an der Wien, „Norma“ ab nächstem Samstag in der Staatsoper: Warum Bellinis Meisterwerk ein gefürchteter Prüfstein für Sopranistinnen ist – und was das mit der Callas zu tun hat.
DiePresse.com

Debüt in MusikTheater
Opernstar singt mit fünf Jahren Verspätung
Sopranistin Asmik Grigorian (43) feiert am Sonntag im MusikTheater an der Wien Premiere als „Norma“ – eine Rolle, auf die sie lange warten musste.
Heute.at

Bei der Generalprobe:

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Die Mutter von Asmik Grigorian, die selbst eine gefeierte „Norma“ war!

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Großmutter und Enkelin vor der Generalprobe!

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Norma auch in Moskau (mit Hibla Gerzmava)

Einige Fotos als Vergleich

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ZU INSTAGRAM mit einer Fotoserie

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Wiener Staatsoper: Fotos aus der ersten Vorstellung der Serie „IL BARBIERE DI SIVIGLIA“ am 14. Febuar 2025

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Andrzej Filończyk (Figaro) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Jack Swanson (Graf Almaviva)
Paolo Bordogna (Bartolo)
Maria Kataeva (Rosina)
Erwin Schrott (Don Basilio)
Andrzej Filończyk (Figaro)
Sebastian Wendelin (Ambrogio)

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Maria Kataeva (Rosina), Paolo Bordogna (Bartolo), Sebastian Wendelin (Ambrogio) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

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Erwin Schrott (Don Basilio) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

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Musikverein Graz: Riccardo Muti zum Ehrenmitglied ernannt

mutFoto © Musikverein Graz

Stardirigent Riccardo Muti erhielt von Musikvereins-Intendant Michael Nemeth nach dem Konzert coram publico die Urkunde der Ehrenmitgliedschaft überreicht. Das Publikum gratulierte mit stehenden Ovationen.

Graz
Höchste Klangkultur mit Riccardo Muti (Bezahlartikel)
Kritik. Nobler Bruckner, routinierter Schubert: Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker begeisterten beim Musikverein in Graz erst nach der Pause.
KleineZeitung.at
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Linz: „SWEENEY TODD – Der Barbier des Grauens von Fleet Street“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 15. 02.2025

Musicalthriller („tiefschwarze Operette“) von Stephen Sondheim (Musik, Gesangstexte und Gattungsbezeichnung) sowie Hugh Wheeler (Buch), Deutsch von Wilfried Steiner und Roman Hinze

Eine Kooperation mit der MuK Privatuniversität der Stadt Wien
In deutscher Sprache mit deutschem und englischem Mitlauftext

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Ensemble © Barbara Palffy

Das 1979 uraufgeführte Musical um eine mörderisch-kapitalistische und schließlich komplett aus dem Ruder laufende Partnerschaft, die von Rache initiiert wird, ist einer der großen Erfolge von Stephen Sondheim – 557 Vorstellungen in der Erstproduktion am Broadway. Die Geschichte basiert auf einem Groschenroman („penny dreadful“ oder „penny blood“ hieß das Genre) aus den 1850ern, das 1970 von Christopher G. Bond zu einem Theaterstück gemacht worden war. Am Landestheater Linz gab es schon 1990/91 eine Produktion, damals die österreichische Erstaufführung…

Zum Premierenbericht von Petra und Helmut Huber

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„DIRIGENTEN IM GESPRÄCH“ – Ehrlich, authentisch, unverstellt – Dirigent Michael Sanderling im großen Interview

In seiner Rubrik „Dirigenten im Gespräch“ sprach unser Redakteur Dirk Schauß mit Michael Sanderling anlässlich seines Gastspiels beim Frankfurter Opern- und Museumsorchester. In einem intensiven und vertrauensvollen Gespräch gewährte der Dirigent spannende Einblicke in seine künstlerische Arbeit und seine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Musik Dmitri Schostakowitschs. Eine besondere Verbindung zu diesem Komponisten ergibt sich aus der langen Freundschaft zwischen Schostakowitsch und Sanderlings Vater, dem renommierten Dirigenten Kurt Sanderling. Doch das Gespräch ging weit über die russische Musiktradition hinaus – Michael Sanderling sprach über seine aktuellen Projekte, seine Zukunftspläne und seine persönliche Philosophie als Musiker.

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Michael Sanderling © Dirk Schauß

DS: Herr Sanderling, Sie sind nicht zum ersten Mal Gast des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters.

MS: Ich glaube, es ist das vierte Mal. Es ist fast schon ein Heimspiel, weil ich nach wie vor an der Hochschule in Frankfurt unterrichte – seit 28 Jahren. Deswegen fühlt es sich tatsächlich wie ein Heimspiel an, obwohl ich nicht mehr in Frankfurt lebe.

DS: Durch Ihren Unterricht am Cello haben Sie weiterhin eine enge Verbindung zu Ihrem Herzensinstrument. Doch wenn ich richtig informiert bin, sind Sie solistisch nicht mehr aktiv?

MS: Ja, ich spiele seit über zehn Jahren nicht mehr. Ich habe das Cello zwar immer mal wieder in der Hand, sei es, um etwas zu demonstrieren oder manchmal auch, um zu dokumentieren, wie es klingt, wenn man nicht übt.

DS: Juckt es Sie da nicht manchmal in den Fingern, wieder selbst zu spielen?

MS: Nein, und ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich war immer jemand, der viel arbeiten und üben musste, damit es gut wurde. Das erfordert Zeit – und die habe ich nicht mehr. Das Ergebnis könnte also nie so befriedigend sein, wie ich es von mir gewohnt war. Und genau deshalb vermisse ich es nicht. Ich weiß, dass es mich nicht so sehr erfüllen würde wie früher.

DS: Ein sehr klarer Schnitt, ganz ohne Wehmut.

MS: Ja, das war ein bewusster Schritt. Es war aber kein abrupter Bruch, sondern ein schleichender Prozess. Ich habe 2002 zufällig mit dem Dirigieren begonnen – das war gar nicht geplant. 2012 habe ich dann zum letzten Mal das Cello als Solist in der Hand gehabt. Ausschlaggebend war letztlich eine Erkrankung an einem meiner Finger. Insofern war es eine Fügung des Schicksals, dass ich trotz der zunehmenden Gewissheit, nicht mehr mit dem Cello auf der Bühne stehen zu können, weiterhin als Musiker wirken darf.

DS: Eine schöne Fügung. Wenn Sie auf ein neues Orchester treffen – wie nähern Sie sich dem Ensemble als Dirigent? Lassen Sie es erst spielen oder greifen Sie direkt in den Probenprozess ein?

MS: Natürlich lasse ich mir zunächst ein Angebot machen. Ich beginne nicht damit, die ganze Sinfonie durchspielen zu lassen, sondern starte gezielt mit einem bestimmten Satz. Das ist nicht immer der erste – manchmal wähle ich den, von dem ich glaube, dass er uns emotional am schnellsten verbindet. Oder ich entscheide strategisch: Wenn zum Beispiel die gesamte Besetzung anwesend ist, beginne ich mit dem groß besetzten Satz.

Dann höre ich mir ein erstes Angebot an und melde relativ schnell meine Wünsche an. Ich arbeite an Dingen, die nicht nur mir, sondern auch dem Orchester wichtig sind. Denn ein Orchester will gut spielen, will besondere Momente erleben. Das ist für mich genauso entscheidend wie meine eigene Interpretation: Die Musiker sollen eine Überzeugung entwickeln können.

DS: Ein sehr schöner Gedanke. Bemerken Sie grundsätzlich Unterschiede zwischen einem reinen Sinfonieorchester und einem Theaterorchester?

MS: Ja, da gibt es zwei wesentliche Unterschiede. Erstens: Ein Opernorchester ist aufgrund seines täglichen Betriebs reaktionsschneller. Ein Sinfonieorchester kann sich oft den Luxus leisten zu sagen: „Dann machen wir das in der nächsten Probe.“ Ein Opernorchester hat diese Zeit nicht. Wenn zum Beispiel „Tosca“ nach sechs Wochen wieder einmal gespielt wird und dann für die nächsten drei Wochen pausiert, muss in diesem einen Moment alles sitzen. Deshalb sind Aufmerksamkeit und Reaktionsschnelligkeit dort ausgeprägter.

Zweitens: Ein Opernorchester muss sich der akustischen Situation bewusst sein. Ein Piano auf der Bühne kann viel leiser sein als ein Piano im Orchestergraben. Diesen Unterschied muss man sich als Dirigent immer wieder vor Augen führen.

DS: Wenn Sie wissen, dass Sie mit einem Opernorchester arbeiten, beeinflusst das dann Ihre Interpretation im Vorfeld? Gehen Sie zum Beispiel offensiver ans Dirigat heran, weil Sie wissen, dass die Musiker flexibler reagieren können?

MS: Nein, das ergibt sich erst in der Arbeit. Ich passe meine Interpretation nicht an das Orchester an – meine Aufgabe ist es vielmehr, das Orchester an meine Interpretation heranzuführen. Das bedeutet, dass ich eine klare Vorbereitung habe, aber gleichzeitig Raum für Spontaneität lasse. Die geplante Spontaneität ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit: Der Plan wird nicht verworfen, sondern in besonderem Maße ausgelebt.

DS: Kommen wir zum Programm. Zweimal russische Musik, darunter Tschaikowskys Violinkonzert – ein Werk, das vergleichsweise selten gespielt wird. Wie ist Ihre Beziehung zu diesem Stück?

MS: Dieses Konzert begleitet mich mein Leben lang. Als Streicher – und als dirigierender Streicher – begegnet man ihm regelmäßig. Ich liebe es sehr. Viele sehen es als virtuoses Geigenkonzert, aber ich glaube, es ist ein tiefes, symphonisch angelegtes Werk. Es ist für den Solisten natürlich technisch herausfordernd, doch in seiner Anlage ist es eher eine Sinfonie als ein reines Virtuosenstück.

DS: Für viele Dirigenten gilt Tschaikowsky als schwer zu dirigieren.

MS: Ja, das liegt daran, dass man sehr schnell ins Triviale abrutschen kann. Doch für mich ist Tschaikowsky ein zutiefst ernster Komponist mit großem Tiefgang. Das gilt nicht nur für seine Sinfonien, sondern auch für die Kammermusik und seine Solokonzerte.

DS: Sie haben alle 15 Sinfonien von Schostakowitsch dirigiert.

MS: Ja, und dabei ist mir klar geworden, dass die Sinfonie bis ins späte 20. Jahrhundert noch eine Form war, um tiefgehende emotionale und gesellschaftskritische Aussagen zu transportieren. Ich erwähne das, weil ich glaube, dass diese Möglichkeit nach Schostakowitsch verloren ging. Mir fällt jedenfalls kein Komponist ein, der das danach in gleicher Weise fortgeführt hat. Ich erwähne das, weil ich glaube, dass es nach Schostakowitsch keine vergleichbare Möglichkeit mehr gab, gesellschaftskritische Themen in einer Sinfonie so auszudrücken. Tatsächlich hatte ich schon überlegt, ob Sie mir diese Frage ohnehin stellen würden. Bitte seien Sie nicht böse, dass ich sie vorwegnehme. Als ich damals alle 15 Sinfonien von Schostakowitsch aufführte und einspielte, habe ich sie bewusst mit den neun Beethoven-Sinfonien kombiniert. Mein Ziel war es, den ersten wirklich gesellschaftskritischen Sinfoniker mit dem letzten Komponisten zu verbinden, der dies in einer sinfonischen Form tat. Ich dachte mir, dass es für die Musikgeschichte weniger von Bedeutung ist, ob die Dresdner Philharmonie und ich einen kompletten Beethoven-Zyklus präsentieren. Für das Orchester und mich war das natürlich wichtig, aber aus historischer Perspektive war es mir bedeutender, diese Klammer zwischen Beethoven und Schostakowitsch zu setzen. Mir war wichtig zu zeigen, dass es auch im späten 20. Jahrhundert noch jemanden gab, der diese Meisterschaft besaß.

DS: Ich finde, das hat sehr gut funktioniert. Beide Zyklen haben eine ganz eigene Lesart, einen unverwechselbaren Charakter. Natürlich bietet es sich an, Vergleiche anzustellen. Bei Beethoven reicht ein Leben nicht aus, um alle Interpretationen zu studieren. Doch als ich mich durch Ihre Aufnahmen gehört habe, hatte ich sofort das Gefühl: Das ist anders – und zwar sehr! Ihre Interpretationen sind erzählerischer, direkter. Ich gebe zu, anfangs fand ich die Kombination ungewöhnlich, fast schräg. Man sieht das CD-Cover und fragt sich: Wie soll das zusammenpassen? Doch als ich es hörte, verstand ich den Zusammenhang. Stilistisch mag vieles weit auseinanderliegen, aber die Art des Musizierens verbindet beides.

MS: So weit auseinander finde ich es gar nicht. Natürlich ist die Instrumentation in diesen 200 Jahren gewachsen, doch es eint beide Komponisten, dass Schostakowitsch nach einer romantischen Phase zurückkehrt zu einer fast rhetorischen Sprache in seiner Musik. Das verbindet ihn mit Beethoven. Gerade dieser Aspekt hat mich gereizt: Gegenübergestellt widerspricht sich das plötzlich gar nicht.

DS: Ich meinte eher, dass Schostakowitschs Musik viel offensiver spricht. Interessanterweise wird seine 15. Sinfonie nach wie vor selten aufgeführt. Selbst in seinem 50. Todesjahr steht er hier in der Alten Oper nur vereinzelt auf dem Programm.

MS: Das erstaunt mich, gerade weil es ein solches Jubiläumsjahr ist. Schostakowitsch hat einst selbst geglaubt, dass seine Musik in 50 Jahren niemand mehr spielen würde, weil ihre Botschaften dann nicht mehr notwendig wären. Er hoffte, dass die Welt aus den Fehlern der Vergangenheit lernen würde. Doch das war ein Irrtum. Ob in Asien oder Amerika – ich habe viel Schostakowitsch gespielt, und seine Popularität ist ungebrochen. Dennoch haben Sie Recht: Die 15. wird oft umgangen, aus zwei Gründen. Erstens ist sie seine kammermusikalischste Sinfonie. Sie enthält so viele Einzel-Soli, dass sie fast einem „Konzert für Orchester“ gleicht. Das bedeutet: Man braucht eine absolute Topbesetzung an allen Pulten, sonst ist die Sinfonie nicht darstellbar. Zweitens ist die Musik so stark verschlüsselt, dass sie oft missverstanden wird.

DS: Inwiefern?

MS: Ich war sprachlos, als ich kürzlich in der „New York Times“ las, dass ein Dirigent für seine Interpretation der 15. Sinfonie gelobt wurde, weil er sie als „heiteres, fröhliches Werk“ dargeboten habe. Da blieb mir die Spucke weg! Schostakowitsch musste zu dieser Zeit eigentlich keine Angst mehr haben, sich offen auszudrücken, doch er war es sein Leben lang gewohnt, sich zu verschlüsseln. Seine Zitate sind keine bloßen musikalischen Anspielungen, sondern verschleierte Botschaften. Nehmen wir den Wilhelm-Tell-Marsch im ersten Satz: Er steht nicht als bloßes Opernzitat da, sondern verweist auf den Freiheitskampf – ein Thema, das das sowjetische Publikum damals sofort verstand.

Der erste Satz beginnt mit zwei kleinen Glockenschlägen, wie ein Spielwarenladen, der seine Tür öffnet. „Schaut her, hier ist meine Welt, so sieht es aus.“ Doch dahinter steckt die bittere Erkenntnis: „Mein ganzes Leben habe ich für Freiheit gekämpft, doch sie wurde mir nie gewährt.“ Diese Musik erzählt von einer tiefen inneren Unfreiheit, die er selbst in Zeiten internationaler Anerkennung nicht abschütteln konnte.

Diese Codierung verstehen Musiker aus unserer Hemisphäre oft intuitiver als etwa in Amerika, wo Freiheit als selbstverständlich gilt. Wir in Europa haben für demokratische Rechte lange kämpfen müssen. Es gibt Regionen, auch östlich von uns, wo dieser Kampf heute noch tobt. Dort wird diese Musik vielleicht direkter verstanden als im Westen.

DS: Das bedeutet also, dass der Interpret auch übersetzen muss?

MS: Absolut. Wir Musiker sind nicht nur Notenleser, sondern auch Vermittler. Diese Doppelbödigkeit ist essenziell, um Schostakowitschs Musik wirklich zu verstehen. Die Verschlüsselung dieser Botschaften hat dazu geführt, dass wir Musiker es uns zur Aufgabe machen müssen, das, was wir lesen, zu übersetzen. Normalerweise bedeutet „kurz“, dass es kurz zu spielen ist, „Allegro“ heißt schnell, „legato“ bedeutet gebunden, und eine Überbindung verlängert die Note. Doch bei Schostakowitsch ist all dies Teil einer Chiffrierung. Wenn er „kurz“ schreibt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass es auch so gemeint ist. Vielmehr ist es eine Absicherung. Sollte der Parteisekretär der KPdSU, verantwortlich für Kulturpolitik, in die Generalprobe kommen und monieren, dass die Musik nicht dem sozialistischen Ideal entspricht, konnte Schostakowitsch argumentieren: „Seht her, ich habe doch alles genau notiert! Die Musiker spielen nur zu schnell, ich habe Adagio vorgeschrieben.“

Dieses Prinzip der Dechiffrierung fällt mir, der im Osten aufgewachsen ist, wesentlich leichter als jemandem, der in Cleveland an einer Musikhochschule studiert hat. Dort lernt man, dass die Notation exakt das meint, was sie vorgibt. Doch wenn man die Musik Schostakowitschs so spielt, wie sie in den Noten steht, dann klingt die 15. Sinfonie oberflächlich und dünn. Erst durch das Ergründen des Hintergrunds und das Entschlüsseln der tieferen Bedeutung wird dieses Werk zu einem der ergreifendsten, das ich kenne.

DS: Die Chiffrierung ist natürlich ein zentraler Aspekt bei Schostakowitsch. Ich muss dabei immer an Gustav Mahler denken, der so treffend gesagt hat: „Es geht um die Musik hinter den Noten.“

MS: Bei Schostakowitsch ist das noch viel ausgeprägter, mit einem entscheidenden Unterschied. Mahler überzeichnete bewusst in seinen Stücken, um seine Aussagen zu verstärken. Schostakowitsch hingegen musste die Notation gezielt verfälschen, um sich selbst zu schützen.

DS: Es gibt diesen wunderbaren Film mit Ihrem Vater, in dem er die Fünfte von Schostakowitsch in Dänemark probt. Sobald man erfährt, welche Bedeutung hinter dieser Musik steckt, erweitert sich der Horizont ungemein. Man begreift das Werk plötzlich auf einer ganz anderen Ebene. Besonders auffällig finde ich, wie anders Schostakowitsch in seiner letzten Sinfonie mit dem Schlagzeug umgeht. Dieses Ende ist wie Kammermusik, ein „Konzert für Orchester“ im wahrsten Sinne. Für mich ist der Schluss der 15. Sinfonie ein großes Fragezeichen, ein Aufbruch ins Ungewisse.

MS: Diese offene Frage kann ich Ihnen beantworten – noch bevor ich es in Töne fasse. Dieser Schluss ist nichts anderes als die musikalische Darstellung seines eigenen Todes. Die beiden Schlagzeuggruppen repräsentieren verschiedene Ebenen dieses finalen Moments. Die eine symbolisiert die Beatmungsgeräte, an die Schostakowitsch während des Komponierens im Krankenhaus angeschlossen war. Er wusste, dass er unheilbar krank ist. Wenn man genau zuhört, erreicht die Musik schließlich den Punkt des Lebensnullpunkts – seinen Tod.

Die zweite Schlagzeuggruppe, gemeinsam mit Xylophon und Celesta, spielt das Belagerungsmotiv aus der Siebten Sinfonie in einer fast delirierenden Farbgebung. Selbst in diesem nicht mehr realen Zustand wird er noch belagert – ein Hinweis darauf, dass nicht nur äußere Mächte seine Seele bedrängten, sondern dass er innerlich nie Frieden fand. Die einzige Möglichkeit, sich davon zu befreien, liegt in der Hoffnung, dass nach dem Tod alles gut wird. Schostakowitsch hat mit dieser Sinfonie sein eigenes Requiem komponiert wie kein anderer Komponist zuvor.

Ich habe lange überlegt, ob ich mich als Sohn von Kurt Sanderling dieser Musik so intensiv widmen sollte. Ich wusste, dass unweigerlich Vergleiche gezogen würden. Doch irgendwann habe ich mir gesagt: Vielleicht gibt es gar nicht so viele Menschen, die das Glück hatten, in diese Tiefe der Musik so eingeführt zu werden, wie es mir durch mein Zuhause und mein Aufwachsen im Ostblock vergönnt war. Meine Kenntnis als Instrumentalist, etwa beim zweiten Klaviertrio oder dem achten Streichquartett, hat mein Verständnis noch vertieft. Ich habe schließlich entschieden, dass ich mich dieser Herausforderung stellen muss.

Was viele nicht wissen: Mein Vater hat nur sechs der 15 Sinfonien dirigiert – nämlich die Erste, Fünfte, Sechste, Achte, Zehnte und Fünfzehnte. Die anderen hat er nie aufgeführt. Warum, das weiß keiner. Auch meine Brüder nicht. Nur eines ist sicher: Die „Leningrader“ Sinfonie hat er bewusst abgelehnt. Sie war ihm zu plakativ.

DS: Tatsächlich?

MS: Ja. Er hat ein einziges Mal den ersten Satz mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin auf Anordnung des Kulturministeriums aufgeführt. Doch die gesamte Sinfonie und erst recht mit seinem eigenen Orchester hat er nie gespielt. Ich kann nur sagen, dass ich allen 15 Sinfonien mit großer Ehrfurcht, tiefer Dankbarkeit und intensiver emotionaler Anteilnahme begegnet bin.

DS: Wir als Zuhörer sind froh, dass dieses Zeugnis auf CD festgehalten wurde. Das eine ist ja, was Sie selbst fühlen und sich vornehmen. Doch dann geben Sie es in andere Hände – nicht nur an die Musiker, die den Klang zum Leben erwecken, sondern auch an die Tontechnik. Ihre Gesamtaufnahme ist ein in sich geschlossener, homogener Zyklus geworden, in dem keine Sinfonie abfällt. Für mich sind Ihnen 15 Kapitel einer erzählten Geschichte gelungen. Als ich diese Einspielung hörte, war mein erster Gedanke: Sie hat mir einen neuen Horizont eröffnet. Ich kenne viele andere Zyklen, aber hier war es eine Hörerfahrung, die ich so noch nie gemacht hatte. In meiner Vorstellung ergibt sich eine Lebensgeschichte in 15 Kapiteln.

MS: Das freut mich sehr zu hören. Das ergibt sich ja fast zwangsläufig, denn Schostakowitschs Musik ist seine Biografie in Noten.

DS: Ja, aber es gelingt so selten!

MS: Wissen Sie, dieses Kompliment muss ich unbedingt auch an das Orchester weitergeben. Es waren drei intensive Jahre, in denen ich mit der Dresdner Philharmonie alle Sinfonien von Beethoven und Schostakowitsch geprobt, aufgeführt und aufgenommen habe.

Zur fünften Sinfonie möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die Sie vielleicht noch nicht kennen. Wissen Sie, um das Finale gab es damals eine lange Diskussion. Mein Vater erzählte mir, dass die gesamte Premiere unter einem besonderen Spannungsbogen stand. Alle fragten sich: Wie würde Schostakowitsch auf den berüchtigten Artikel der ‚Prawda‘ und die angeblich berechtigte Kritik reagieren? Und weil das damalige Publikum sehr intelligent war, ist diese Geschichte nicht uninteressant.

Im Finale wiederholen die Streicher immer wieder eine bestimmte Tonfolge, die sich mit etwas Fantasie als das Wort „Ich“ deuten lässt. Immer wieder: Ich, ich, ich, ich… Ich habe gewonnen! Allen Anwesenden war sofort klar: Hier geht es nicht um eine Unterwerfung unter die Kritik, sondern um eine bewusste Provokation. Schostakowitsch setzt noch einen drauf! Viele befürchteten, dass er am Ende des Konzerts sofort abgeführt werden würde. Und was geschah? Während der letzten Takte erhoben sich die Menschen und hörten die Sinfonie im Stehen zu Ende.

DS: Boah, ich bekomme Gänsehaut!

MS: Ich auch!

DS: Ich habe eben gestutzt, als Sie sagten: „Schostakowitsch und ich. Ich habe kurz gezögert und mich gefragt, ob das mein Weg sein könnte“.

Ihr Vater hatte eine außergewöhnlich enge Symbiose mit dem Komponisten. Wenn ich das so sagen darf: Sie hatten letztlich kaum eine Chance, Schostakowitsch neutral zu begegnen. Er war in Ihrer Familie allgegenwärtig, sowohl als Mensch als auch in seinem künstlerischen Wirken.

MS: Das kann ich Ihnen ganz genau beantworten. Es war nie eine inhaltliche Frage, ob ich Schostakowitsch dirigiere oder nicht. In aller Bescheidenheit: Ich habe mich zu keiner Zeit inkompetent gefühlt, seine Musik zu gestalten. Als Instrumentalist habe ich sein zweites Cellokonzert, das damals völlig unpopulär war, weit über 100 Mal aufgeführt.

Mein anfängliches Zögern hatte eine andere Ursache: Ich bin als Dirigent völlig autodidaktisch, ich hatte nie eine einzige Unterrichtsstunde. Auch zu Hause nicht. Dennoch bin ich in gewaltige dirigentische Fußstapfen getreten. Aber ich habe es niemals bereut, diesen Weg eingeschlagen zu haben.

DS: Hat Ihr Vater nicht am Anfang gesagt: „Mensch, Du willst jetzt einfach dirigieren und bringst Dir das selbst bei? Überleg Dir das gut!“

MS: Tatsächlich wollte mein Vater bei all seinen drei Söhnen verhindern, dass sie Dirigenten werden. Bei mir war er dabei am ruhigsten, weil er wusste, dass ich als Solist noch voll auf der Bühne stand und auch im Orchester spielte. Er hatte also die Gewissheit, dass ich mir meinen Lebensunterhalt mit etwas „Solidem“ verdienen konnte. Er hatte große, wahrscheinlich berechtigte Sorge, dass der Beruf des Dirigenten ein schwieriger ist und der Weg voller Hürden sein kann. Deshalb hatte er bei meinem Bruder und meinem Halbbruder sicherlich mehr Sorgenfalten auf der Stirn als bei mir. Ich selbst war recht gelassen und sagte: „Was soll passieren? Ich spiele ja weiter.“ Es war ja nie mein Plan, das Cello aufzugeben.

Aber als ich musikalischer Chef in Potsdam wurde, war mir klar: Ich kann den Potsdamern ebenso wenig wie dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin als Solo-Cellist zumuten, beide Positionen parallel auszuüben. Es wäre für die Potsdamer nicht ideal gewesen, wenn ihr Chefdirigent weiterhin als Solocellist in Berlin auftritt – und umgekehrt wäre es für die Berliner schwierig gewesen, wenn ihr Cellist parallel als Dirigent in Potsdam tätig ist.

Zurück zu meinem Vater: Ich erinnere mich an eine besondere Situation, als ich Beethovens Siebte mit dem Kammerorchester Berlin in der Philharmonie dirigierte. Mein Beethoven-Bild ist ein anderes, als er es gewohnt war – es entspringt einer anderen ästhetischen Vorstellung. Mein Vater, der damals schon nicht mehr dirigierte, kam nach dem Konzert in meine Garderobe und sagte sinngemäß, vielleicht sogar wörtlich: „Eigentlich schade, dass ich aufgehört habe. Wenn ich es noch mal dirigieren würde, würde ich es genauso wie Du jetzt mal ausprobieren.“ Das hat mich sehr stolz gemacht, aber vor allem hat es mich ehrfürchtig werden lassen. Denn ich habe begriffen: Selbst mit über 90 Jahren und großer Anerkennung in seinem Beruf war mein Vater nicht frei davon, sich weiterentwickeln zu wollen. Diese Ehrfurcht sollten wir alle bewahren, die wir dirigieren oder Musik machen.

DS: Ein sehr weiser Gedanke! Was mich im Zusammenhang mit der Familie Sanderling besonders interessiert: Schostakowitsch hat eine zentrale Rolle gespielt. Ich nehme an, es gab viele Begegnungen. Sie waren damals noch ein Kind – haben Sie ihn selbst erlebt? Haben Sie Erinnerungen an ihn?

MS: Ja, durchaus. Schostakowitsch war eine sehr eindrückliche Persönlichkeit – allerdings nicht unbedingt auf eine sympathische Weise. Er hatte eine besondere Stimme und eine angespannte Mimik, die mir als Kind fast Angst einflößte. Er war streng, vor allem mit sich selbst, aber auch mit seiner Umwelt. Außerdem war er extrem skeptisch – gegenüber allem und jedem. Ich erinnere mich an eine Situation, als er uns auf unserer Datscha besuchte. Plötzlich kam ein Thema auf, das für ihn heikel hätte werden können. Er sagte sofort zu meinem Vater: „Lass uns rausgehen.“ Dann liefen die beiden eine Stunde lang draußen im Kreis, um sicherzugehen, dass keine Abhörwanzen versteckt waren.

Für mich ist Schostakowitsch ein Zeitzeuge in Noten. Es geht nicht um ihn als Person, sondern darum, dass er stellvertretend für einen Menschen unter diesem repressiven Regime steht. Seine Musik erzählt davon.

DS: Hat Ihr Vater Ihnen einen freien Zugang zu Schostakowitschs Musik ermöglicht?

MS: Absolut. Er hat sich nie verschlossen, wenn ich Fragen hatte – sogar dirigentische Fragen. Allerdings war auch er ja kein ausgebildeter Dirigent, also ging es meist um größere musikalische Zusammenhänge, um das Verhältnis zwischen Dirigent und Orchester. Aber klassischen Unterricht im Sinne von „Mach das so und jenes so“ gab es nie. Ich sage immer scherzhaft: Ich habe nie gelernt, wie es geht – aber in 20 Jahren Orchestertätigkeit habe ich sehr genau gelernt, wie es nicht geht!

DS: War Ihr Vater eigentlich kritisch Ihnen gegenüber, wenn er Sie als Dirigenten erlebt hat? Oder mussten Sie sich diese Kritik erst holen?

MS: Nein, er war durchaus kritisch – aber nicht nur mir gegenüber, sondern auch gegenüber dem Cellisten Michael Sanderling. Und vor allem war er sich selbst gegenüber sein größter Kritiker! Ich erinnere mich, dass er Sinfonien, die er mit großer Sorgfalt auf das Podium gebracht hatte, eine Woche später wieder überarbeitete. Er war nie wirklich zufrieden und nie am Ende.

DS: Lassen Sie uns noch einen Blick in Ihre Zukunft werfen. Sie arbeiten derzeit mit dem Luzerner Sinfonieorchester zusammen und haben einen vielbeachteten Brahms-Zyklus eingespielt. Ich habe gelesen – ich weiß allerdings nicht, ob es stimmt –, dass geplant ist, das spätromantische Repertoire weiter zu vertiefen. Einer meiner persönlichen Favoriten, Gustav Mahler, wurde in diesem Zusammenhang ebenfalls genannt. Gibt es Pläne für Mahler mit Sanderling?

MS: In den kommenden Jahren werde ich mehrere Mahler-Sinfonien dirigieren. Der Wunsch des Orchesters war es, mit einer erweiterten Repertoire-Strategie auch die notwendige Vergrößerung des Orchesters voranzutreiben – nicht nur künstlerisch, sondern auch in finanzieller Hinsicht. Es mag überraschen, aber dieses Vorhaben wurde tatsächlich auch aus Fördertöpfen unterstützt, was natürlich wunderbar ist.

DS: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten – ein Werk, das Sie in nächster Zeit unbedingt dirigieren möchten –, welches wäre das?

MS: Oh, das fällt mir schwer, auf ein einziges Stück festgelegt zu werden. Es gibt so viele Wünsche…

DS: Dann erweitern wir auf drei Wünsche!

MS: Also, eine Operette zu dirigieren würde mich sehr reizen. Ich halte das für eines der anspruchsvollsten Genres überhaupt. Bislang durfte ich immer nur einzelne Nummern daraus dirigieren, aber ich liebe diese Musik – es gibt so viele wunderbare Melodien!

Dann würde ich sehr gerne mein Verhältnis zu Béla Bartók klären – da habe ich noch eine Rechnung offen. Besonders tragisch ist das, weil meine Frau Ungarin ist! Ich habe es bisher nicht geschafft, über meine Bewunderung für seine Musik hinauszukommen. Ich verstehe sie nicht wirklich – und ich habe mir eine Maxime gesetzt: Ich darf mich in der Wahl meines Repertoires nicht einschränken, aber eine Einschränkung muss es geben: Ich werde nichts auf die Bühne bringen, von dem ich weiß, dass ich keinen echten Zugang dazu habe. Wie könnte ich ein Werk überzeugend vermitteln, wenn ich selbst nicht dahinterstehe? Natürlich kann ich nicht wissen, was mich erwartet, wenn ich eine Uraufführung in Auftrag gebe. Aber bei bestehenden Werken sehe ich es als verlogen an, wenn ich sie dirigiere, ohne sie wirklich zu verstehen. Ich könnte also Bartóks „Konzert für Orchester“ erst dann dirigieren, wenn ich nicht nur Begeisterung empfinde, sondern es auch wirklich begreifen kann. Das ist bislang nicht der Fall. Mein Wunsch wäre also, dass mir irgendwann die Erleuchtung kommt – dass ich verstehe, was mich an dieser Musik so fasziniert.

Und mein dritter Wunsch? Ich würde mir wünschen, dass ich den Stand, auf den ich am 12. Februar 2025 zurückblicke, bewahren kann. Ich bin dem Schicksal zutiefst dankbar, dass ich in meinem Metier eine Aufgabe gefunden habe, in der ich mich ausdrücken kann – selbst wenn es Musik ist, die einen nicht unbedingt glücklich macht.

DS: Gibt es so etwas wie ein Credo für Sie? Eine Überzeugung, die Sie als Dirigent leitet? Ein Motto, das Sie über Ihr künstlerisches Wirken schreiben würden?

MS: Das mag hochtrabend klingen, aber ich meine es genau so: Ich habe mir selbst verboten, mich zum Zwecke eines wie auch immer gearteten Vorteils zu verstellen. Das mache ich nicht. Ich werde also nicht mit grünen Haaren auf die Bühne gehen, nur weil es mir jemand als hilfreich empfehlen würde. Natürlich ist das überspitzt formuliert, aber Sie verstehen, was ich meine.

Ich bin – nicht zuletzt durch mein Elternhaus – mit einer tiefen Demut gegenüber der Musik aufgewachsen. Ich sehe es als meine Aufgabe und mein größtes Vergnügen, nicht nur die Noten zu lesen, sondern hinter die Noten zu blicken – die Botschaft eines Werkes zu erkennen und sie so gut wie möglich gemeinsam mit dem Orchester zu verkünden. Deshalb habe ich vorhin als dritten Wunsch gesagt: Bisher hat mir das Schicksal diese Möglichkeit sehr großzügig gewährt. Wenn das so bleibt, freue ich mich. Wenn nicht – dann hatte ich eben Pech. Aber eines werde ich nicht tun: mich verbiegen, um meine Möglichkeiten zu erhalten oder auszubauen. Ich werde mich nicht verstellen, sondern ich selbst bleiben. Und – vorsichtig formuliert – vielleicht wird genau das irgendwann mein Alleinstellungsmerkmal in einer sich wandelnden Musiklandschaft.

DS: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, lieber Herr Sanderling, alles Gute. Bleiben Sie gesund, behalten Sie Ihre Leidenschaft und Inspiration. Herzlichen Dank für das Gespräch!

MS: Es war mir eine Freude.

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Sanderling bei der Probe © Diana Hillesheim

Das Gespräch wurde am 12. Februar 2025 in Frankfurt geführt.

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