Warten auf Vogt

Die tote Stadt, Erich Wolfgang Korngold,  Wiener Staatsoper

Foto: M. Pöhn (c)
Die tote Stadt, Erich Wolfgang Korngold
Wiener Staatsoper, 9. Jänner 2017

Die Meldung des Pressebüros der Wiener Staatsoper gab Anlass zur Sorge: „Die geplante ORF TV- und Radio Ö1-Aufzeichnung muss auf Grund der Krankheitsfälle und kurzfristigen Umbesetzungen leider entfallen.“ Österreichs renommierter Fernseh- und Radiosender hatte also davon Abstand genommen, von der 20. Aufführung der „Toten Stadt“ des Komponisten Erich Wolfgang Korngold im Haus am Ring Bild- und Tonaufnahmen zu machen.

Vollkommen zu recht.

Die Aufführung der Meisteroper Korngolds war von der Inszenierung (Regie: Willy Decker) her ein Augenschmaus, von der Komposition und von der musikalischen Umsetzung seitens des phantastischen Orchesters der Wiener Staatsoper unter dem sehr sensiblen bis packenden und immer professionell-präsenten Dirigat des Finnen Mikko Franck eine sehr große Ohrenfreude.

Die Gesangsleistungen waren unterm Strich mindestens gut – allein ein Sänger, der Tenor Herbert Lippert, in der Hauptrolle des Paul gab eine sehr schlechte Vorstellung ab. Das Wiener Publikum dankte es ihm mit leisem, höflichem Applaus.

klassik-begeistert.at hat den 59 Jahre alten gebürtigen Linzer in der letzten Zeit drei Mal gehört: zwei Mal im Mai 2016 als Lohengrin in der gleichnamigen Oper von Richard Wagner. Und jetzt als Paul. Alle drei Male war er als Ersatz eingesprungen. Und alle drei Male gab Lippert eine sehr schlechte Partie.

Der Tenor ist, um es auf den Punkt zu bringen, kein richtiger Tenor mehr. Ihm fehlt es an jeglicher Strahlkraft in der Höhe. Er hat eine ganz angenehme Mittellage, aber immer wenn er in höhere Regionen kommt, muss man als Zuhörer fürchten, es könnte daneben gehen.

Und es geht bei Herbert Lippert oft daneben. Im „Lohengrin“ wie jetzt in „Die Tote Stadt“: Der Tenor sang Dutzende Male die Töne falsch an – mal von unten, mal von oben. Lippert lag nicht selten bis zu einem ganzen Ton daneben! Seine Stimme verbreitete keinen Wohlklang. Sie ertönte gepresst, oft gar krächzend, dann wieder matt und kraftlos. Der Routinier sang oft nicht synchron mit dem Orchester. Und gestaltete den Text mitunter nach seinem Gusto aus.

Sorry, aber es war wirklich nicht schön, als Opernliebhaber diesem Tenor zuzuhören.

Das sah auch das fachkundige Wiener Opernpublikum so: „Ein Mann wie Lippert, der im Haus am Ring so viele große Abende hatte, sollte sich in dieser Form nicht mehr solch große und schwere Partien zumuten“, sagte die Wienerin Birgit Plochberger, 51.

„Es ist sicherlich allerehrenwert, dass Herr Lippert so kurzfristig für den erkrankten Klaus Florian Vogt eingesprungen ist“, sagte der Wiener Matthias Rodenbach, 54. „Aber seine Leistung hat dem Abend einen großen Dämpfer verpasst.“

Nun hatte das Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper (seit 2010) am Montag eine große Bürde zu tragen: Er war für den erkrankten Klaus Florian Vogt eingesprungen. Vogt aus Heide in Schleswig-Holstein gilt derzeit als der beste Lohengrin und der beste Paul weltweit. Er will in den Aufführungen am 15. und 20. Jänner in Wien singen. Am 17. Jänner soll er in der Elbphilharmonie in Hamburg die Tenorpartie in der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven singen. Am 12. Jänner wird er erneut von Herbert Lippert vertreten werden.

Jetzt heißt es: Warten auf Vogt.

Klassik-begeistert.de konnte Klaus Florian Vogt 2016 allein an der Wiener Staatsoper drei Mal bewundern: Im Januar 2016 als Florestan in Ludwig van Beethovens einziger Oper „Fidelio“, im Februar 2016 als Prinz in Antonín Dovráks „Rusalka“ und im September als Lohengrin.

Herr Vogt, Sie waren immer umwerfend! Lyrisch! Mit unverwechselbarem, weichem Timbre. Zum Darniederknien gut! Phantastisch waren Sie auch im März und April 2015 als Paul in der „Toten Stadt“ an der Hamburgischen Staatsoper, als Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen im August 2015 und als Parsifal in Richard Wagners gleichnamiger Oper an der Deutschen Oper Berlin im Oktober 2016.

Hier schon einmal ein Vorgeschmack für alle, die Klaus Florian Vogt bei den kommenden drei Aufführungen an der Wiener Staatsoper als Paul genießen dürfen – ein Ausschnitt aus der bezaubernden Arie „Glück, das mir verblieb“ von YouTube:

https://www.youtube.com/watch?v=6OYCfFfZFZ0

In der Pressemitteilung der Wiener Staatsoper hieß es auch: „Monika Bohinec springt kurzfristig für die erkrankte Janina Baechle in allen Vorstellungen (9., 12., 15. und 20. Jänner 2017) von ‚Die Tote Stadt’ als Brigitta ein und gibt damit ihr Rollendebüt am Haus. Joseph Dennis übernimmt anstelle von Norbert Ernst die Partie des Victorin in allen Vorstellungen.“

Die slowenische Mezzosopranistin Monika Bohinec ist 38 Jahre alt und machte in der Nebenrolle der Brigitta einen guten, aber keinen sehr guten Eindruck. Sie hat eine schön timbrierte Tiefe, fing aber noch recht zögerlich an und vermochte sich anfangs nicht gegenüber dem Orchester zuzusetzen.

Eine sehr gute Leistung bot Pauls Freund Frank, gesungen vom Bariton Adrian Eröd, 46. Er ist der Sohn des ungarischstämmigen Komponisten Iván Eröd; seine Mutter, Marie-Luce Guy, stammt aus Frankreich. Eröds Stimme wurde im Laufe der Vorführung immer voller und runder – der gebürtige Wiener bekam vom Publikum zu Recht sehr viel Beifall. Eröd sang auch Fritz, den Pierrot.

Wer allerdings einmal einen ganz hervorragenden Frank hören möchte, dem empfiehlt klassik-begeistert.de folgende Einspielung auf YouTube:

https://www.youtube.com/watch?v=H10-FL1YOwo

Es singt der US-amerikanische Weltstar Thomas Hampson: „Mein Sehnen, mein Wähnen“ im 3. Bild. Zwischen ihm und Eröd liegt noch einmal eine kleine Galaxie…

Sehr viel Beifall bekam auch Camilla Nylund in der Hauptrolle der Marietta und als Erscheinung Mariens. Die 48 Jahre alte Finnin bot – wie schon im Mai 2016 als Elsa von Brabant in Richard Wagners Oper „Lohengrin“ – eine sehr gute Leistung. Sie überzeugte mit einem sehr dramatischen wie fraulichen Sopran, mit strahlenden Höhen sowie einem wunderbar tiefen Timbre.

Fazit: Wenn Klaus Florian Vogt kommt, wird das eine sehr, sehr gute Darbietung dieser am 4. Dezember 1920 im Hamburger Stadttheater (heute: Hamburgische Staatsoper) und im Opernhaus Köln uraufgeführten Oper! Jeder Opernfan, der in Wien weilt, sollte sich eine Aufführung mit Vogt als Paul in der „Toten Stadt“ nicht entgehen lassen. Sollten alle Karten ausverkauft sein, gibt es mit 25 Prozent Aufschlag auch Karten im Kartenbüro Franz Jirsa (Telefon: 0043 1 40060) und auf dem „Schwarzmarkt“ vor der Wiener Staatsoper – dort ist alles Verhandlungssache. Die Wiener Staatsoper bietet zudem für jede Aufführung 567 sehr günstige Stehplätze an, die am Tag der Aufführung verkauft werden. Ein Teil der Stehplätze bietet im Parkett eine ganz hervorragende Sicht. Alle Stehplätze sind mit Textmonitoren ausgestattet.

Erich Wolfgang Korngold, geboren am 29. Mai 1897 in Brünn, begann „Die tote Stadt“ im Alter von 20 Jahren zu komponieren. Das Libretto schrieb sein Vater, der Wiener Musikkritiker Julius Korngold, unter dem Pseudonym Paul Schott nach dem Roman Bruges-la-Morte (1892) von Georges Rodenbach. Die großartige Musik ist expressionistisch. Aus ihr ragen „Inseln des Wohlklangs“ wie die beiden himmlisch schönen Arien „Glück, das mir verblieb“ und „Mein Sehnen, mein Wehnen“ heraus, die Weltruhm erlangten.

Das österreichische Theater- und Kulturmagazin Bühne fasst die Handlung der bekanntesten Korngold-Oper wunderbar zusammen: „Die tote Stadt ist Brügge, ähnlich wie Venedig von Kanälen durchzogen und wie dieses ein Symbol des Untergangs. In ihr vegetiert Paul dahin, ganz in der Erinnerung seiner verstorbenen Frau Marie ergeben, bis ihm eines Tages in Gestalt der Tänzerin Marietta Maries Doppelgängerin begegnet. In seinem Traum verführt sie ihn, worauf er sie, von Schuldgefühlen geplagt, erwürgt. Als Paul aus seinem Traum erwacht, ist er jedoch geheilt, kann Brügge verlassen und ein neues Leben beginnen.“

Andreas Schmidt, 10. Jänner 2017
klassik-begeistert.at

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