Ensemble © Thomas M. Jauk/Stage Picture
…nur die musikalische Seite überzeugt
Wenn man in den Ablauf einer Oper eingreift, die Pause mitten in den zweiten Akt verlegt, darüber nichts im Programmheft mitteilt und zum Cachieren die vom Komponisten gewählte Bezeichnung „Lyrisch-phantastisches Spiel in zwei Aufzügen“ durch das einfache Wort „Oper“ ersetzt, dann ist das mehr als bedenklich. Denn so einfach ist das nicht, im Publikum sitzen auch Menschen, die das Stück gut kennen! Und, viel schlimmer, wozu das alles? Wo ist der Sinn?
Die Vögel
Lyrisch-phantastisches Spiel in zwei Aufzügen
nach Aristophanes
Text und Musik von Walter Braunfels
Staatsorchester Braunschweig
Musikalische Leitung: Srba Dinić
Inszenierung: Kerstin Steeb
Staatstheater Braunschweig, 29 März 2025, Premiere
von Axel Wuttke
Genau das fragt man sich in Bezug auf die auf der Bühne zelebrierte Mischung aus Schultheateraufführung und Science-Fiction à la “Das fünfte Element“. Das zwanghafte Bebildern jeder instrumentalen Stelle und das teilweise zum Fremdschämen peinliche Bewegungsvokabular der Figuren, arbeiten weitestgehend gegen die Musik und die Intensionen des Komponisten.
Kein Tiefgang, keine Doppelbödigkeit, nichts Rätselhaftes. Kerstin Steeb und ihr Team erzählen und bebildern alles; die Impulse der so ausdrucksstarken und wandlungsfähigen Musik werden dabei aber nicht aufgegriffen. Sehr bedauerlich, dass der überwältigende musikalische Einfallsreichtum, die Klangsinnlichkeit und die Dramatik der Musik keine adäquate Entsprechung auf der Bühne finden. Eine Fehlinterpretation.
Als Beispiel seien hier nur der Krieg der Vögel mit Zeus angeführt, der von drei Tänzerinnen mit gymnastischen Übungen dargestellt wird, oder die Figur des Zaunschlüpfers (die scheinbar gerade Sex mit dem Wiedehopf hatte) und im ganzen ersten Akt mit heruntergelassenem String-Tanga auf der Bühne herumtänzelt.
Aktuelle Zeitbezüge, damals wie heute
Braunfels zeigt mit seinem geheimnisvollen, genialen Stück, wohin totalitäre Regime führen, was passiert, wenn Machtgier und Allmachtsphantasien die Gesellschaft zerstören. Die von ihm erlebten Zeitumstände fließen in seine Dichtung mit ein. Wie schnell Diktaturen entstehen können und welche Opfer sie fordern, ist heute von erschreckend aktueller Bedeutung und wird in der Inszenierung zu einer putzigen, vom Publikum immer wieder mit Lachen quittierter, Farce. Stefan Braunfels, der Enkel des Komponisten, betonte anlässlich der Premiere dieser Oper im Oldenburgischen Staatstheater, den geschichtlichen Hintergrund und die heute wie damals gültigen Zeitbezüge des Stücks. Davon ist in dieser Inszenierung nichts zu erleben.
Wunderbarer Orchesterklang
Die musikalische Seite liegt bei Srba Dinić in ausgezeichneten Händen. Der Dirigent versteht es, die Musik mit all ihren Facetten wundervoll aufzufächern. Mit ruhiger Zeichengebung und stets alles im Blick behaltend, ist er den Künstlern auf der Bühne ein großartiger, hochkonzentrierter Begleiter. Das Staatsorchester Braunschweig folgt ihm bis in die kleinsten Soli klangschön durch den Abend. Kleine Wackler im Blech fallen da nicht ins Gewicht.
Aus dem Graben ertönt all das, was die Bühne dem Zuschauer versagt. Das ganze Idiom des Klangzauberers Braunfels wird hier erlebbar. Angefangen beim Singspielhaften ersten Akt, der schwebend-zauberischen ersten Szene des zweiten Aktes bis hin zum Krieg zwischen Göttern und Vögeln, bei dem das Orchester mit präzisem Spiel die Bandbreite des Komponisten erlebbar macht.

Betörende Nachtigall
Bei den Solisten überwältigt die dramatische Koloratursopranistin Ekaterina Kudryavtseva als Nachtigall. Mit groß aufblühender Stimme und klaren Koloraturen gibt sie der Rolle eine emotionale Tiefe (in der griechischen Mythologie war die Nachtigall mal ein Mensch), die leichtgewichtigere Stimmen nicht immer erreichen. Phänomenal die strahlende Höhe im Forte wie im Piano. Eine großartige Leistung.
Dagegen hat Mirko Roschkowski es etwas schwer, denn ihm fehlt für den Hoffegut an manchen Stellen die heldentenorale Durchschlagskraft. Michael Mrosek als Ratefreund überzeugt mit angenehmem Bariton und klarer Diktion.

Aufhorchen lässt der Wiedehopf von Maximilian Krummen, der über einen sehr warmtimbrierten, höhensicheren Bariton verfügt und mit großem Bühnen -und Stimmpräsenz sofort für sich einnimmt.

Johannes Schwärsky liefert mit geschmeidigem, in der Höhe durchschlagskräftigem Bass einen beachtenswerten Prometheus ab. Auch er singt mit äußerst klarer Diktion.
Der Rest des Ensembles ist rollendeckend besetzt, allerding ist bei einigen die Diktion äußerst ungenau, was bei diesem Werk sehr ins Gewicht fällt.
Klangschön und homogen der Chor des Staatstheaters Braunschweig.
Aufgrund der musikalischen Qualität des Stückes und deren Wiedergabe absolut hörenswert.
Axel Wuttke, 31. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Francis Poulenc, Dialogues des Carmélites Staatstheater Braunschweig, 15. November 2024
Walter Braunfels‘, „Die Vögel“, Bayerische Staatsoper München, Premiere 31. Oktober 2020