Die Regie führt Mozarts Singspiel-Klassiker ad absurdum: Jetzt auch in Hamburg!

Die Zauberflöte, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart  Staatsoper Hamburg, 16. Dezember 2022

Marta Swiderska, Iulia Maria Dan, Nadezhda Karyazina, Kinderkomparse © Arno Declair

Neuester Operntrend: Die Zauberflöte ab absurdum zu führen. Aus Mozarts Singspiel-Klassiker wird ein Lichtspektakel in 30 Auftritten für Gesang und Orchester. Musikalisch – bis auf einige Sternstunden in den höheren Lagen – eher durchwachsen… dieses Haus hatte sicherlich schon bessere Abende. 

Die Zauberflöte
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto von Emanuel Schikaneder

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Solisten des Tölzer Knabenchors

Volker Krafft, Dirigent

Staatsoper Hamburg, 16. Dezember 2022

von Johannes Karl Fischer

Panik-Moment schon vor dem ersten Akt: Ein älterer Herr in der ersten Reihe scheint wegzukippen. Lautes Gekreische aus den Rängen „Arzt, ein Arzt, wir brauchen einen Arzt!“ Der kommt auch, und fährt den Mann im roten Pullover prompt – auf die Bühne! Sein Name: Prinz Tamino. Ein toller Regie-Einfall, Spannung stürmt den ausverkauften Saal. Nur reißt die lautstarke Publikumsimprovisation dieser magischen Musik ihren Zauber aus den Händen. Finde ich.

Vor einer – im Libretto suggerierten – Riesenschlange flüchtend kollabiert unser Protagonist ein zweites Mal. Die ganze Oper ist seine Vision, sein Traum in der Ohnmacht. Viele ominöse Gestalten rennen kreuz und quer über der Bühne, eher ein Alptraum als alles andere.

Schon Lydia Steiers Märchen-Zauberflöte in der Mozartstadt Salzburg fand ich grenzwertig: Nahezu sämtliche Dialoge des Singspiels hatte die Amerikanerin an einen Erzähler in der dritten Person abgegeben. Von Papagenos Kult-Sprüchen – neben den königlichen Koloraturen wohl der wichtigste Bestandteil dieser Oper – keine Spur. Das sollte nur ein Vorgeschmack auf Jette Steckels Konzept in der Dammtorstraße sein: Inmitten des pechschwarzen Bühnenbilds blitzen helle Lichter, die Dichtkunst wird zur Lichtkunst. Statt Singspiel ein Stroboskopspektakel für Gesang und Orchester in 30 Auftritten.

Liebe Jette Steckel, liebe Lydia Steier, bitte googlen Sie beide mal den Begriff „Singspiel“. Dann denken Sie nochmal über Ihre Inszenierungen nach…

Eine richtig dicke positive Überraschung bot die Oper am Gänsemarkt: Julia Sitkovetsky als Königin der Nacht. Mit einer atemberaubenden mozartischen Leichtigkeit turnte sie über die Koloraturen wie eine schwerelose und mit Sternenmantel umschlungene Trapezkünstlerin. Sarastro hat ihr den allmächtigen Sonnenkreis erschlichen und geraubt, sie drückt ihn in ihrer Stimme wieder aus. 

Julia Sitkovetsky  © Staatsoper Hamburg

Nikola Hillebrand war für die Pamina ebenfalls eine Idealbesetzung. „Ach, ich fühl’s“, das Publikum fühlt und weint mit. „Weil’s gar so schön ist“ wäre wohl Richard Strauss’ Urteil gewesen. Einer der wenigen Gänsehautmomente des Abends. Die drei Damen (Gemma Summerfield, Kady Evanyshyn, Ida Aldrian)  lebten und sangen in der besten Harmonie, drei Solistinnen schmolzen zu einem Trio zusammen.

Als Gegenwelt zur Königin der Nacht herrscht Sarastro über sein Sonnenreich, auch stimmlich singt er ganz am anderen Ende der Skala. Leider konnte Alexander Roslavets mit viel Gebrumme in dieser Partie nicht überzeugen, über weite Strecken klang sein Bass wie ein Ferrari im Leerlauf. Oleksiy Palchykov wagte sich als besagter Tamino etwas zu mutig zur Pforte hinein, sang vor allem im oberen Register etwas forciert. Nun gut, Vogt muss auch mal frei haben… Auch Peter Galliard (Monostatos) hatte sicherlich schon bessere Tage… Neben einem verpasstem Schlüsseleinsatz („Nun stolzer Jüngling nur hierher“) sang er sehr viele Noten, eine nach der anderen.

Viele Noten hat der Komponist auch für das Orchester geschrieben, es ist die Aufgabe des Dirigenten, diese  goldenen Äpfel von Mozarts Wunderbäumen zu ernten. Volker Kraft holte aus den Musizierenden im Graben viele weiche, sanfte Klänge heraus, sehr mozartlich eben. Die Musik wie ein deliziös-dampfender Bratapfel mit viel Marzipan und Zimtzucker. Oder halt wie Mozartpralinen auf Violinen.

Einen richtigen zauberhaften Zauberflöten-Moment gab es noch: Der – stark verkürzte – Papagena-Papageno Dialog mit dem Vogelfänger (Vincenzo Neri) auf über dem Graben und die Papagena (Yeonjoo Katharina Jang) neben mir in der ersten Parkett-Reihe.

Das Publikum als Teil der Inszenierung, so begeistert man Jung und Alt für diese Kunst! Neri jonglierte die Rolle mit viel Humor wie ein singender Zirkusclown. Seine Gesangspartnerin spielte die perfekte Komplettierung dieses köstlichen Komödien-Amüsements.  Schikaneder wäre aus dem Häuschen gewesen. Hätte die Regie nur nicht seine halbe Rolle geraubt…

Liebes Publikum: Steht das Wort „Zauberflöte“ auf dem Spielplan, stürmt Ihr en masse die Säle. Eine richtig gute Zauberflöte ist eine namenlose Freude. Aber es gibt an der Dammtorstraße sicherlich packendere Abende als diese Darbietung der meistgespielten Oper unter der Sonne. Empfehlungen: Die Entführung aus dem Serail, Tannhäuser, Don Pasquale und viele andere Aufführungen.

Johannes Karl Fischer, 17. Dezember 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Charles Gounod, Faust Staatsoper Hamburg, 12. November 2022

Turandot, Musik von Giacomo Puccini Staatsoper Hamburg, 6. November 2022

Fidelio, Ludwig van Beethoven Staatsoper Hamburg, 25. Oktober 2022

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