Kajtazi krönt sich zur Königin der Dammtorstraße, Buh-Rufe für Calaf

Turandot, Musik von Giacomo Puccini  Staatsoper Hamburg, 6. November 2022

Foto: Dr. Ralf Wegner

Drei Produktionen, drei überragenden Spitzenleistungen: Elbenita Kajtazi gelingt mal wieder die triumphierende Sensation des Abends! Reichlich Buh-Rufe gab es für Sergey Polyakovs Calaf – mehr braucht man dazu nicht sagen.


Turandot

Musik von Giacomo Puccini
Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Carlo Gozzi

Staatsoper Hamburg, 6. November 2022

 

von Johannes Karl Fischer

Elbenita Kajtazi stemmt einen Kraftakt gegen einen Tenor, einen Bass und ein gewaltiges Puccini-Orchester, als wolle sie und nicht Calaf, Turandot besiegen. Herzzerreißend auch ihr Einwand „È per l’amore“:  Was eigentlich eine musikalische Nebenbemerkung inmitten des türmenden Machtkampfes zwischen den zwei Hauptpartien ist, gelingt ihr zur triumphierenden Sensation des Abends! „Dove regna Turandot“ sollte heißen: „Dove regna Elbenita“.

Dann würde uns auch die Brutalität des Turandot-Regimes erspart bleiben, die in Yona Kims spannender Inszenierung stets im Mittelpunkt steht. Die Geschichte beginnt mit dem Ende eines weiteren Brautwerbers: Wie Dutzende vor ihm ist er an den drei zu lösenden Rätseln gescheitert und erfährt nun seine Hinrichtung. Die Quelle aller Wut der Prinzessin – die Vergewaltigung und der anschließende Mord an einer ihrer Vorfahrinnen – spielt sich im Hintergrund der Bühne ab, ein schwarzer Vorhang trennt die beiden Zeitebenen. Turandot will dieses Schicksal vermeiden, koste es, was es wolle.

Anna Smirnova, Jürgen Sacher, Daniel Kluge, Roberto De Candia, Seungwoo Simon Yang © Hans Jörg Michel

Kaum überraschend, dass dem jubelnden Schlussgesang eine ironische Umdeutung unterzogen wird: Turandot ersticht vor den Augen aller den Calaf. Das ist mal eine starke Charakterisierung dieser Titelrolle, eine Aussage! Nicht im positiven Sinne, diese Turandot ist keine nette. Sehr passend dazu die allmächtige Sopranistin Anna Smirnova, dessen dramatische Härte kaum zu überbieten ist. Ihr Sopran ist gewaltig fordernd, bellend befiehlt sie, was wie will. Diese Sängerin kann und will sich nicht geschlagen geben und ist somit eine Idealbesetzung für diese unsingbare Rolle.

Anna Smirnova, Chor der Hamburgischen Staatsoper © Hans Jörg Michel

Besiegt wird sie nur von einem, von Calaf, dem tatarischen Prinzen, und ja, dem Sänger der wohl berühmtesten Arie der Opernwelt, „Nessun dorma“. Jeder Turandot-Abend fiebert auf ihr Ende „Vincerò“ – „Ich werde siegen“ – hinzu, die Stelle für fulminanten Zwischenapplaus ist bereits vorkomponiert. Die gute Nachricht: Immerhin wurde geklatscht. Doch kaum betrat Sergey Polyakov – der Tenor des Abends – die Bühne zum Schlussapplaus, dröhnte aus den Rängen eine Flut an lautstarken Buh-Rufen.

Jede und jeder weiß, dass diese Rolle – mit ihren zahlreichen hohen Cs und kämpferischen Dauer-Fortissimos – selbst für einen Luciano Pavarotti jedes Mal ein Kraftakt war. Umso härter solch Publikumsurteil. Leider muss ich ehrlich sein: Bei Herrn Polyakov war sehr viel Gemurmel zu hören, von Intonationsproblemen mal ganz zu schweigen. Dieser Held hatte schon aufgegeben, bevor er den Kampf antrat. An diesem Abend war er dieser Rolle einfach nicht gewachsen.

Nochmal zurück zum Positiven: Der Abend begann mit einem furiosen Orchester-Klang, die Schreie des unterdrückten Volkes waren in dem Anfangsakkorden kräftig zu hören. Aufregend, energetisch, packend, so muss das sein! Und so hätte man sich das auch beim Holländer gewünscht. Wenige Takte später der erste Gesangseinsatz, „Popolo di Pekino“, wunderbar und stimmstark gesungen von Nicolas Mogg! Das Volk selbst litt unter Angst und Bange der Turandot, der Chor sang entsprechend mit vollem Einsatz. Eigentlich beste Vorrausetzungen für einen wunderbaren Opernabend…

Chor der Hamburgischen Staatsoper © Hans Jörg Michel

Liebe Hamburgische Staatsoper: Vor gut einem Jahr bekam Pavel Černoch – als Mario Cavaradossi –  nach seiner Sternen-Arie gar keinen Applaus, Klassik-begeistert-Autor Ralf Wegner nannte ihn einen „Totalausfall“. Herr Černoch sang auch den Pinkerton im Frühjahr… die beste Nachricht: Anderthalb Akte lang war er librettobedingt still. Das waren drei der härtesten Tenor-Rollen des Puccini-Repertoires, und drei Fehlbesetzungen mehr oder weniger in Folge! Einziger – und deutlicher – Puccini-Lichtblick: Gregory Kunde – mit seinen stolzen 68 Jahren, als Tenor schon im Renteneintrittsalter – als Calaf im Frühjahr. Einen Tenor-Mangel wie an diesem Haus habe ich noch nirgendwo erlebt, erst recht nicht an einem Haus, wo Leute wie Klaus Florian Vogt, Elisabeth Teige oder Pretty Yende gern gesehene Gäste sind.

An diesem Abend gab es Turandot in B-Besetzung – Elbenita Kajtazis Leuchtturm-Sopran grüßt aus der Spitzenliga des Gesangs!

Johannes Karl Fischer, 7. November 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Turandot, Giacomo Puccini, Finale: Franco Alfano Staatsoper Hamburg, 6. November 2022

Giacomo Puccini, Turandot Arena di Verona, 26. August 2022

Giacomo Puccini Turandot, die vierte Aufführung, Staatsoper Hamburg, 23. März 2022

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