Foto: Semperoper Dresden © Matthias Creutziger
Es ist leider nicht unüblich, dass Opernkritiken in der Regel nur über Premieren, allenfalls über Wiederaufnahmen geschrieben werden. So wichtig und berechtigt das ist – der Kritiker verkennt hierbei eine wesentliche Aufgabe: Die Aufgabe des Kritikers ist es, nicht nur für einen intellektuellen Zirkel derer zu schreiben, die sich Kunst auf einem besonders hohen intellektuellen Niveau nähern (können und wollen), sondern für jedermann. Und jedermann geht nicht nur an Premieren in die Oper, sondern wohl öfter in Repertoire-Vorstellungen. Also hin und wieder einen Blick auf diese zu richten, erscheint somit als eine durchaus vordringliche Arbeit des Kritikers.
Die Zauberflöte
Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto von Emanuel Schikaneder
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Killian Farrell Dirigent
Josef E. Köpplinger Inszenierung
Walter Vogelweider Bühnenbild
Semperoper Dresden, ab 29. Oktober 2022
von Willi Patzelt
Keine Oper steht so oft auf den Spielplänen wie Mozarts Zauberflöte. An der traditionsreichen Semperoper lief über 15 Jahre die alte, zuletzt etwas abgenutzte, Inszenierung von Brecht-Schüler Achim Freyer. Joseph E. Köpplinger, Staatsintendant am Münchner Gärtnerplatztheater, inszenierte 2020 die Zauberflöte in Dresden neu. Und wie! Köpplinger, ein Mann der komischen Oper und der Operette, setzt – frei nach „Faust“ – auf bunte Bilder, wenig Klarheit, viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit. Denn, so lehrt uns Goethe: „So wird der beste Trank gebraut, der alle Welt erquickt und auferbaut.“
In bunten Bildern zeigt Köpplinger das Erleben des jungen Tamino. Während der Ouvertüre jagt er irrend den Fäden seines Lebens nach, ohne sie wirklich halten zu können. Mit dem Einsetzen der Handlung und der Bedrohung durch die Schlange scheint sich also weniger eine reale Handlung, als ein Erkenntnisprozess in ihm zu vollziehen. Per aspera ad astra durchschreitet er in einer traumhaft unklaren Welt seinen Weg im aufklärerischen Ideal weg von der Dunkelheit hin zum Licht. Am Ende des zweiten Akts sieht man ihn wieder – mit Zauberflöte (hier eine Schwarzlichtlampe – sie soll wohl die Erleuchtung des nicht Sichtbaren ausdrücken) und der Freimaurerkette Sarastros ist er ein reifer im Leben stehender, aufgeklärter Mensch geworden. Die Handlung bis dahin ist einigermaßen befremdlich. Umso begrüßenswerter ist es, dass die wirklich grotesken Textstellen herausgestrichen werden. So wird der Beginn des zweiten Aktes nicht mehr von Sarastro als „eine der wichtigsten Versammlungen dieser Zeit“ angekündigt; des weiteren verzichtet er darauf, sich bei den Priestern gleich salbungsvoll „im Namen der Menschheit“ zu bedanken. Und dennoch trifft dieser Tamino auf tiefe humanistische Wahrheit: „Es siegte die Stärke, und krönet zum Lohn
die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron’.“
Köpplinger setzt auf eine Zauberflöte aus Sicht eines Kindes für Kinder und daher auch für Erwachsene. Man sieht die wilden Tiere und am Anfang eine nicht abstrahierte, sondern bühnenbildnerisch reale Schlange. Tamino und Pamina gehen auch in ihren Prüfungen durch Feuer und Wasser, sehr schön auf einem großen Bildschirm animiert. Auf Ägypten-Kitsch wird zwar verzichtet, auf sonstigen Kitsch jedoch nicht. Obschon in den knapp zwei Stunden vielleicht etwas sehr viel Glitzer auf der Bühne verstreut oder verpustet wird, ist das gut so. Man fühlt sich einfach toll unterhalten. Dass mancher, vor allem der deutsche Kulturbürger, mit dem Fokus weg vom Intellektuellen hin zum Unterhaltenden seine Probleme hat, stört Köpplinger nicht, er baut weitere, im Stück ursprünglich so nicht vorgesehene, Pointen ein. Immer wieder wird herzlich gelacht. Dass Köpplinger dennoch nicht darauf verzichtet, Freimaurersymbolik an allen Ecken einzustreuen, spricht sehr für die Vielseitigkeit der Inszenierung.
Am Pult gab am 25. September 2022 Killian Farrell sein Hausdebüt. Zum ersten Mal in der Semperoper, drängte sich, vor allem im ersten Akt, der Eindruck auf, der junge Ire wolle auch möglichst schnell wieder dort weg. Seine Tempi orientieren sich am maximal Sing- und Spielbaren – und darüber hinaus. Das tempomäßige Lowlight war hierbei der „Isis und Osiris-Walzer“ (ja, das rasche Tempo der ersten Sarastro-Arie erinnerte daran). Allgemein ist vor allem im ersten Akt vieles nicht zusammen, immer wieder klappert es in der, ansonsten wie immer herrlich klingenden, Sächsischen Staatskapelle. Die Interpretation ist nicht langweilig oder uninspiriert, es wirkt dennoch vieles schlicht überdreht. Im zweiten Akt gelingt auch vieles besser. Und dennoch immer wieder, gerade im ersten Akt, kommt es so zu Fehlern, wie zum Beispiel ungleichmäßigem Absprechen von Konsonanten (mancher Chorsänger kennt den „Maschinengewehr-Effekt“), die an der Semperoper mehr als unüblich sind. Neben Tempo werden auch die Lautstärkemöglichkeiten maximal ausgereizt. Allgemein ist es kein dienendes Dirigat, was man an diesem Abend erlebt: Die Sänger wirken zuweilen akustisch zwischen den Begleitfiguren der Streicher etwas hintergründig. Für all jene, die immer schon mal näher wissen wollten, wie Mozart einen Orchestersatz in einer Opernarie organisiert hat, war dies auf jeden Fall ein erleuchtender Abend.
Die Solistenbesetzung war ausgeglichen und hochwertig. Sebastian Kohlhepp, der in Dresden zum Beispiel schon in den Meistersingern mit Thielemann zu hören war, überzeugte als ein erfreulich wenig weltfremder Tamino. Die Bildnis-Arie nicht in heiliger Ergreifung und pathetischster Innigkeit, sondern in ganz „normaler“ menschlicher Freude – sehr erfrischend! Wenngleich eben etwas schnell. In der Rolle des ihm an die Seite gestellten Papageno zeigt Bernhard Hansky einen Papageno mit allem schauspielerischen Einsatz, einen klassischen Papageno, wie man sich ihn wünscht: Ein Paradiesvogel voller Ironie, voller Tollpatschigkeit. Auch die beiden Damenrollen der Pamina und der Königin der Nacht sind vortrefflich besetzt, obschon man sich von Pamina manchmal als Gegensatz zu ihrer nächtlichen Mutter ein etwas wärmeres Timbre wünschen könnte. Tilmann Rönnebecks Sarastro überzeugt, ohne jetzt ein riesiges Erlebnis zu sein. Hingegen wirklich ärgerlich ist die Textverständlichkeit einzelner in den gesprochenen Dialogen. Es war hilfreich, dass wenigstens auf Englisch die Übertitelanlage im Sprechtext weiterlief. Nun, anscheinend können also nicht nur Schauspieler im Sprechtheater, sondern auch im Musiktheater nicht mehr verständlich sprechen.
Aber alles in allem: Mozarts Musik, diese grenzgeniale Musik – ist zum Niederknien. Nicht wenige Opernfreunde sagen leider, die Zauberflöte hätten sie schon so oft gehört, sie gehen nicht mehr hinein. Kann man diese Musik oft genug hören? Ich finde nein! In der Semperoper steht sie in dieser Spielzeit mehr als 20 Mal auf dem Spielplan.
Willi Patzelt, 27. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte Wiener Staatsoper, 7. September 2022
Die Zauberflöte, Wolfgang Amadeus Mozart Haus für Mozart, Salzburg, 30. Juli 2022
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte Wiener Staatsoper, 25. Juni 2022
Man fragt mich ständig: „Schon wieder die Zauberflöte?“ „Ja“, antworte ich. „Immer wieder gerne!“ „Warum, du hast sie doch erst gesehen“, folgt dann des Öfteren. „Wird das nicht langweilig?“. „Nein!“, erwidere ich vehement. „Ich kenne kaum ein anderes Musiktheater-Werk, dass so vollständig ist. Alles abdeckt. Musikalisch als auch dramaturgisch!“
Das ist auch der Grund, warum die Zauberflöte so oft gespielt wird. Zumindest, denke ich das. Die Zauberflöte ist einfach ein Werk, bei dem jeder seinen Anhaltspunkt finden kann – vom Kleinkind bis zum Professor!
Jürgen Pathy