Foto: Stefan Cerny, ein Sarastro der Sonderklasse © Barbara Pálffy / Volksoper Wien
Die Zauberflöte, Wolfgang Amadeus Mozart
Volksoper Wien, 30. Oktober 2020
von Jürgen Pathy
Die Vernunft, die ist ein kostbares Gut. Wertvoller und schwieriger sogar zu erlangen als die Weisheit. Um diese Botschaft zu vermitteln, hat Regisseur Henry Mason, diese geistige Fähigkeit des Menschen, Einsichten zu gewinnen, hinter einer Tresor-Wand verstaut. Der Brite, der in Wien lebt, hat Mozarts „Zauberflöte“ an der Volksoper Wien neu in Szene gesetzt. Und wie. Sozialkritisch klug, farbenfroh und kindgerecht wie ein Märchen aus 1000 und einer Nacht.
Damit trifft Mason genau ins Schwarze. Bedient nicht nur das Stamm-Klientel des Hauses, sondern auch das Publikum von morgen: die Kinder, die mit dieser Inszenierung ihre wahre Freude haben werden. Denn neben der obligatorischen Freimaurer-Symbolik, die in Mozarts Zauberflöte eine große Rolle spielt, lässt Mason eine ganze Armada an wilden Tieren auflaufen. Vom Storch über den Schmetterling bis hin zum Gürteltier und Wüstenfuchs. Alle beobachten sie mit Argusaugen, ob die Menschheit noch in der Lage sein wird, das Ruder rumzureißen. Denn die Zeit drängt.
Tamino erwacht in der Eiswüste der Königin der Nacht. Sarastro, der Hohepriester und Hüter der Liebe und Weisheit, der herrscht in einer wüstenähnlichen Region. Ein goldfarbener Palast, vor dem nur Kakteen gedeihen, dient dem Herrscher als Palast. Dazwischen nichts. Entweder oder. Der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Sarastro und der Königin der Nacht, der findet in den Extremen statt. Ein subtiler Hinweis, dass es an der Zeit wäre, der Natur mehr Beachtung zu schenken. Sonst rächt sie sich.
Bei diesem Sarasto gehen die Lichter an
Dabei könnte es doch so einfach sein. Wie Papageno, der urige Natur-Bursche, uns veranschaulichen kann. Ein bisschen Wein, ein hübsches Mädchen und schon trübt kein Regentropfen die Lebensfreude mehr. An der Volksoper natürlich exklusiv besetzt. Wie immer. Nicht nur stimmlich, sondern vor allem auch schauspielerisch, verkörpert der junge Wiener Jakob Semotan einen genialen Papageno. 2018 mit dem österreichischen Musiktheaterpreis ausgezeichnet, mimt Semotan einen ungestümen Tollpatsch, der im Pinguin-Kostüm, etwas untersetzt und mit viel Wiener Schmäh doch viel Größe beweist.
Dass er dennoch lieber den einfachen Freuden des Lebens frönt, ist nur dem Libretto zu verdanken. Emanuel Schikaneder, der bei der Uraufführung 1791 selbst als Papageno im Einsatz war, hat es geschrieben. Ansonsten hätte Semotan sich nämlich vor lauter Freude und Erleuchtung gar nicht wehren können.
Grund: Edelbass Stefan Cerny, der als Sarastro ohne Wenn und Aber eine weitere Duftmarke setzt. Wenn der gebürtige Wiener, der in dieser Partie bereits im Royal Opera House in Covent Garden hat überzeugen können, zum „O Isis und Osiris“ ansetzt, sind das ganz große Momente. Wenn er von „diesen heil’gen Hallen“ schwärmt, erstarrt das ganze Haus. Nicht nur aus reiner Ehrfurcht vor der würdevollen Erscheinung des großgewachsenen, schlanken Herrschers, sondern auch wegen der unfassbaren Eleganz und Schönheit, der Wärme, die diese feinfühlig geführte Bassstimme zu erzeugen vermag.
Warum Cerny, der seit Jahren zur Elite seines Fachs zählt, derart selten beim großen Nachbarn, der Wiener Staatsoper, zu hören ist, wissen nur die wenigsten. Entweder möchte er selbst nicht, wird er noch immer unterschätzt, oder es liegt an den Direktoren der Häuser. Egal weshalb. Man kann nur hoffen, dass den Philosophen an der Ringstraße auch noch dieses Licht aufzugehen vermag.
Ein deutliches Lebenszeichen
Der Rest der Besetzung kann sich ebenfalls sehen und hören lassen. Martin Mitterrutzner schlägt sich als Tamino nicht nur tapfer, sondern beweist, dass er eine durchaus schöne und im Forte klare Stimme ins Gefecht werfen kann. Trotz etwaiger Schwächen im Piani ein gelungener Auftritt. Monostatos alias Karl-Michael Ebner ist eine Idealbesetzung. Rebecca Nelsen als Pamina steht da kaum um etwas hinten nach.
Anna Siminska, die als Königin der Nacht zwar wenig furchterregend wirkt, punktet vor allem aufgrund ihrer Spitzentöne und der Koloraturen. Juliette Khalil offenbart als Papagena ihr ungemein komödiantisches Geschick. Der Chor ist an diesem Abend hervorragend disponiert. Und Anja Bihlmaier, die 42 Jahre alte deutsche Dirigentin, designierte Chefdirigentin beim Den Haager Residentie Orkest, erweckt phasenweise die Illusion, man säße im „ersten Haus am Ring“. Derart feinfühlig entwickelt sich das Dirigat, vor allem in den Tutti-Passagen. Brava und Standing Ovations zum Schluss. Völlig zu Recht. Aufgrund des Corona-Lockdowns vorerst leider zum letzten Mal.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 2. November 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Mein Kompliment, lieber Jürgen Pathy! Die beste Rezension, die ich über die „Zauberflöte“ der Volksoper gelesen habe.
Lothar Schweitzer
Lieber Herr Schweitzer,
es freut mich sehr, das zu lesen. Denn Lob erhält man eh viel zu selten. Vielen Dank!
Jürgen Pathy
Schade, dass die Regie die 3 Knaben in der ersten Hälfte im Orchestergraben versteckt: Sind sie musikalisch doch Mozarts ganz besondere kompositorische Note – und die 3 Sängerknaben in der Volksoper absolute Spitzenklasse!
Auch die wiederholten Gewehr-Auftritte des überragend guten Chores sind überflüssige Regie(Theater)-Mätzchen, die überhaupt keine Vertiefung der Handlung bewirken, ebenso die skurrilen jungen Burschen in den schmutzigen Nachthemden mit den diversen Marionetten.
Immer wieder beruhigend, dass man in der Oper nicht auch noch die Geschlechterrollen vertauschen kann…
Dr. Joachim Gollnau