„Alles ist Spaß auf Erden“: Die Deutsche Oper Berlin verabschiedet sich mit "Falstaff" imposant in Coronapause

Giuseppe Verdi, Falstaff  Deutsche Oper Berlin, 31. Oktober 2020

Giuseppe Verdi, Falstaff
Deutsche Oper Berlin, 31. Oktober 2020

Copyright Deutsche Oper Berlin
Annette Dasch war als intrigante Alice Ford zu sehen.

von Lukas Baake

Als sich Ensemble und Orchester schon das zweite Mal vor dem Publikum verbeugt hatten und sich bereits einige Besucher in Richtung Ausgang bewegen wollten, trat der Dirigent Ivan Repušić an den vorderen Rand der Bühne. Mit einer Lächeln auf dem Gesicht und mit erhobener Hand brachte er den mit Beifallsbekundungen erfüllten Saal zur Ruhe. Er bedankte sich für die Treue des Publikums in den für den Kulturbetrieb schwierigen Zeiten. In dem Wissen, dass das Opernhaus an der Bismarckstraße in den kommenden Wochen nicht von Musik erfüllt sein wird, kündigte er eine Zugabe an. Erneut sammelte sich das Sängerensemble auf der Bühne und intonierte die große Schlussfuge aus Verdis Alterswerk, die einige Minuten zuvor bereits erklungen war: „Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch ein geborener Thor.“

Diese unerwartete Zugabe wurde zum unverhofften Höhepunkt eines mehr als gelungenen Opernabends. Physisch spürbar und akustisch wahrnehmbar wurde plötzlich die pure Freude an der Kunst. In das makellose Zusammenspiel des ganzen Ensembles mischte sich aber auch der Ausdruck von Unsicherheit und Trauer um die Ungewissheit darum, wann der Opernbetrieb wieder aufgenommen werden kann.

Was in der Zugabe besonders hervorstach, konnte während der der gesamten Inszenierung überzeugen: Ein in der Breite hervorragendes und gut eingespieltes Sängerensemble und ein umsichtiges und energisches Dirigat bescherten den Besuchern bisweilen berückende Opernerlebnisse. Insbesondere die halbszenische Inszenierung der commedia lirica ließ den Darstellern viel Raum, um ihre Rollen eindrucksvoll zu interpretieren. Dabei war das Ensemble auch auf der Bühne sichtlich um Abstand zueinander bemüht, was mitunter zu eigenartigen Personenkonstellationen führte.

Publikumsliebling und überragender Sänger war Lucio Gallo. Mit seinem satten, ausgewogenen und reifen Bariton vermochte er es, den Falstaff als komplexe, intelligente und spannungsreiche Figur darzustellen. In seiner Interpretation der Rolle wirkte der Falstaff eher wie ein rücksichtsloser, aber glückloser Impresario als ein übergewichtiger Bajazzo, wie er oft in jüngeren Inszenierungen zu sehen ist. Damit war Gallos Falstaff nicht nur eine erfrischende Abwechslung, sondern trifft auch die Intention des Werkes. So schrieb der Librettist Arrigo Boito während der Arbeit am Falstaff an Verdi, dass der Falstaff Geist haben und kein fettleibiger Säufer sein solle. Geist und Intelligenz gesanglich und schauspielerisch verkörpert zu haben, kann als großes Verdienst des italienischen Baritons angesehen werden.

Copyright Deutsche Oper Berlin. Lucio Gallo gab einen imposanten Falstaff.

Neben Gallo konnte die Berliner Sopranistin Annette Dasch überzeugen. Als Alice Ford wirkte sie ruhig und abgeklärt, und schien die anderen Darsteller manchmal mit ihrer Präsenz zu verdrängen. Ihr Sopran bestach durch klare, raumfüllende Höhen, Wärme und Eleganz. Für ihr engagiertes Spiel wurde sie zurecht mit lautem Applaus des Publikums bedacht.

Überraschung des Abends war die noch junge puertorikanische Sopranistin Meechot Marrero. Als Nannetta konnte sie eindrucksvoll das Leiden junger, noch unerfüllter Liebe, aber auch den umtriebigen Spaß an den Intrigen vermitteln. Ihr gelang es mühelos, dass Publikum mit ihrer Stimme, die durch jugendliche Leichtigkeit und Kraft hervortrat, zu gewinnen. Leider war ihr Partner Mingjie Lei dieser Größe nicht gewachsen. Auch wenn er mit seiner Rolle des jungen Liebhabers Fenton Sympathien auf sich ziehen konnte, fielen seine schwachen Höhen und die unklare Artikulation negativ auf. In den hervorragenden Ensembleszenen konnte er sich jedoch engagiert einbringen und seine Schwächen vergessen machen.

In dem letzten Ensemblestück am Ende der Oper wurden die Stärken der Aufführung noch einmal zu einer eindrucksvollen Synthese zusammengeführt. Umso dankbarer durfte man sein, dass die imposante Fuge noch einmal in der Zugabe eindrucksvoll interpretiert wurde. In dem Wissen um die kommenden Wochen trat man am Ende als Besucher dankbar und erfüllt von der Freude an der Musik mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen in die Nacht hinaus.

Lukas Baake, 2. November 2020, für
klassik-begeistert.de. und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung, Ivan Repušić
Szenische Einrichtung, Eva Maria Abelein

Falstaff, Lucio Gallo
Ford, Thomas Lehman
Fenton, Mingije Lei
Doktor Cajus, Andrew Dickinson
Bardolfo, Gideon Poppe
Pistola, Andrew Harris
Alice Ford, Annette Dasch
Nannetta, Meechot Marrero
Meg Page, Arianna Manganello
Mrs Quickly, Annika Schlicht

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