Janine Jansen © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt
Sternstunde in Frankfurt – Beethoven und Schubert mit Janine Jansen, Paavo Järvi und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen
Ludwig van Beethoven: Violinkonzert in D-Dur op. 61
Franz Schubert: Vierte Sinfonie in c-Moll D 417
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Paavo Järvi, musikalische Leitung
Janine Jansen, Violine
Alte Oper Frankfurt, 16. Mai 2025
von Dirk Schauß
Am 16. Mai 2025 bot die Alte Oper Frankfurt ein Konzerterlebnis von seltener Intensität. Auf dem Programm standen Beethovens Violinkonzert in D-Dur op. 61 sowie Schuberts vierte Sinfonie in c-Moll D 417 – die sogenannte „Tragische“.
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi zeigte sich in Höchstform: klanglich raffiniert, rhythmisch messerscharf, mit einer Durchhörbarkeit, die das Publikum atemlos machte. Järvi, der musikalische Architekt des Abends, gestaltete mit klarer Vision, entschiedener Hand und einem unerbittlichen Gespür für dramaturgische Entwicklung. Seine Interpretationen sind nie nur Deutung – sie sind Neuschöpfung.
Und in Janine Jansen fand dieses Konzert eine Solistin, die nicht spielte, sondern erzählte, leuchtete, verzauberte.
Beethovens Violinkonzert ist kein Werk, das durch äußeres Drama besticht – sein Drama liegt im Inneren, in der Balance von Gesanglichkeit und Struktur, von weiten Linien und plötzlich aufscheinender Intimität. Gleich zu Beginn legte Järvi das Fundament für diese Balance: Das markante Paukenmotiv – rhythmisch präzise, aber ohne martialischen Ton – setzte den Puls. Die Streicher atmeten transparent, die Holzbläser formten ihre Stimmen wie Pastelllinien auf hellem Grund. Es war eine Lesart von makelloser Ordnung und gleichzeitig voller innerer Spannung – wie ein See, unter dessen glatter Oberfläche sich Strömungen kreuzen.
Dann trat Janine Jansen mit dem ersten Soloeinwurf in diesen Raum. Und augenblicklich verschob sich das Klangbild. Ihr Ton war nicht bloß schön – er war von innen heraus leuchtend. Keine Vibrationen der Eitelkeit, kein dekoratives Flirren, sondern reine, durchgeistigte Kantabilität. Ihre Phrasierungen waren wie geatmete Gedanken: fließend, nie mechanisch, stets mit einem feinen inneren Zug versehen. In den langen Bogenlinien des ersten Satzes wirkte sie wie eine Erzählerin, die aus dem Innersten spricht – mit Zartheit, aber auch mit unverhohlener Entschlossenheit.
Was diesen Vortrag so einzigartig machte, war, wie sehr Jansen mit dem Orchester wetteiferte, besonders innige Klangmomente zu zaubern. Es war ein musikalischer Wettstreit an Intimität, ein inspirierendes Miteinander, bei dem sich Klangsensibilität und Hingabe gegenseitig anfeuerten. Wie intensiv sie in den leisen Passagen musizierte, war atemberaubend – ihr Spiel schien aus dem Moment geboren, unmittelbar, lebendig. Ihr gesamter Ausdruck – auch physisch – war Ausdruck einer intensiven Hingabe. Immer wieder spielte sie in das Orchester hinein, kniete sich förmlich hinein, als wolle sie mit dem Kollektiv verschmelzen.
Jansen nutzte den Raum, den ihr Järvi und das Orchester boten, meisterlich. In der Kadenz zeigte sie nicht bloß Virtuosität, sondern erzählerische Fantasie. Flageoletts schimmerten wie Lichtreflexe, Doppelgriffe wurden zu rhythmischen Kristallkaskaden, in der Schlussfigur brannte der Ton regelrecht auf. Nichts davon war bloßer Effekt – alles diente dem musikalischen Erleben, das sich hier zu einem Höhepunkt verdichtete.
Der zweite Satz, das Larghetto, wurde zur Klangmeditation. Die Holzbläser schufen ein atmendes Geflecht aus Klangschleiern, in das Jansen mit einem Ton einstieg, der eher aus Stille geboren schien als aus Saiten. Ihre leisen Passagen waren von einer Intensität, die den Saal in eine Art kontemplativen Schwebezustand versetzte. Die wenigen Fortissimo-Akzente wirkten wie ferne Donnerschläge in einem silbrigen Dämmerlicht.
Im Rondo dann ein Bruch – aber kein abruptes Umschalten, sondern ein Übergang, der sich wie eine Morgendämmerung vollzog. Jansen ließ die Tanzrhythmen flirren, mit tänzerischer Federung und einem schelmischen Unterton, den sie aber nie zur Karikatur ausweitete. Järvi hielt das Orchester federleicht, ließ es aber stets an den nötigen Stellen aufleuchten – besonders in den dialogischen Momenten mit den Holzbläsern, die Jansen mit einem Hauch von keckem Witz aufnahm. Hier war ihre Geige nicht mehr das nach innen lauschende Instrument, sondern ein kluges, quicklebendiges Wesen, das mit der Welt spielt.

Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen erwiesen sich als kongeniale Partner: aufmerksam, mit größter Spielfreude und einer erstaunlichen Präsenz selbst in den Mittel- und Nebenstimmen – reine Freude. Tatsächlich war in manch schroffem Einwurf Beethovens widersprüchliche Persönlichkeit geradezu greifbar. Eine echte Sternstunde – kaum fassbar in der Einzigartigkeit ihres Vortrags, heftig akklamiert und mit einer innigen Zugabe (Bach – Sonate Nr. 3 C-Dur BWV 1005 – Largo) bedankt.
Schuberts Sinfonie Nr. 4 war der Kontrast – und die Entladung. Järvi nutzte die Freiheit, die das Orchester in der zweiten Konzerthälfte hatte, um ein orchestrales Relief zu formen, das zwischen Massivität und tänzerischer Klarheit oszillierte. Schon die Einleitung war kein bloßes Pathosritual, sondern eine dominante Geste – düster grundiert, mit unerbittlicher Schärfe in den Akzenten. Der Umschwung ins Allegro erfolgte mit einer Energie, die nicht bloß dramatisch war, sondern existenziell drängend – wie ein Ringen um Klarheit in einem undurchsichtigen Labyrinth.
Was Järvi mit der Kammerphilharmonie in dieser Sinfonie leistete, war ein Lehrstück in orchestraler Präzision. Die Celli und Kontrabässe setzten rhythmische Markierungen wie in Granit gemeißelt, während die Holzbläser – pointiert, nie süßlich – den inneren Dialog des Satzes führten. Die Streicher arbeiteten sich durch die thematischen Terrassen wie Bergsteiger über eine zerklüftete Steilwand – nie erschöpft, immer mit Zielgerichtetheit.
Im Andante zeigten sich die anderen Farben: ein liedhafter, schubertianisch schwebender Ton, aber nicht ohne Schatten. Die Melodielinien der Violinen hatten jene leicht trübe Schimmerung, die bei Schubert immer auch Melancholie bedeutet. Der Mittelteil hob sich mit zarten Dialogen zwischen Klarinette und Fagott fast kammermusikalisch ab – ein Moment des Innehaltens, der dennoch nicht aus dem Fluss geriet.
Das Menuetto wirkte wie ein scherzohaftes Intermezzo, scharf rhythmisiert, fast tänzerisch militärisch – doch dann dieser Mittelteil: ein Ländler, der wie aus einer anderen Welt hereingeflossen kam, duftig, pastellfarben, naiv – aber Järvi ließ keinen Kitsch zu. Die Balance hielt, auch im Finale, das zum Sturm anschwoll. Hier tobte sich das Orchester aus, aber unter ständiger Kontrolle. Die musikalische Energie ballte sich in einem Sog aus unnachgiebiger Bewegung, der in einem eruptiven Schlussakkord mündete – wie ein donnerndes Tor, das ins Offene führt. Gerade hier, wie zuvor auch im Beethoven, hatte die Pauke hörbar viel „sagen“!
Der Applaus war keine bloße Reaktion – er war Befreiung. Ganz besonders eindringliche Momente dann noch einmal mit der Zugabe. Jean Sibelius und sein „Andante festivo“, eine innige Streicherserenade mit einem derart intensiven Herzenston, der beseelte. Sonor, transparent, mit blitzender Präzision – ein letztes musikalisches Lächeln nach einer Reise durch Tiefe, Licht und Klang.
Was blieb, war mehr als ein Konzertabend. Es war eine Erfahrung für musikalische Gestaltung, für interpretatorische Dichte, für das, was entstehen kann, wenn Dirigent, Orchester und Solistin nicht nur zusammenarbeiten, sondern gemeinsam etwas erschaffen, das größer ist als sie selbst.
Dirk Schauß, 17. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Auf den Punkt 57: Paavo Järvi /Janine Jansen Elbphilharmonie, 11. Mai 2025
Janine Jansen, Violine, DKB und Paavo Järvi, Elbphilharmonie Hamburg, 11. Mai 2025
Janine Jansen Violine, Paavo Järvi Dirigent Bremer Konzerthaus Die Glocke, 10. Mai 2025
Janine Jansen und Paavo Järvi Kölner Philharmonie, 7. Mai 2025