Dr. Spelzhaus Spezial 11: Jodelt Euch gesund!

Dr. Spelzhaus Spezial 11: Jodelt Euch gesund!  klassik-begeistert.de

von Dr. Petra Spelzhaus

Foto: Pixabay ©

„Hopshodarieduljoooo-Hopshodaräiriiii“ ertönt es laut zwischen Tatzelwurm und Hoher Asten. Der Schnee wird langsam verdrängt durch blühende Moose, erste Blumen strecken ihren Kopf aus dem Erdreich, die Sonne gewinnt an Kraft und wärmt unsere Nasen. Zwei Ladies – von denen ich eine bin – in Wandermontur mit Hund im Rucksack begrüßen jodelnd den nahenden Frühling. Sie erweisen sich dabei zwar als nicht ganz Text- und Melodie-sicher, das wird aber durch überschäumende Inbrunst wieder wett gemacht. Ein entgegenkommender Mountainbiker freut sich sichtlich über dieses Konzert.

Manch einen wird es wundern, wieso gerade ein Nordlicht sich berufen fühlt, über die alpenländische Tradition zu schwadronieren. Dazu sei noch einmal kurz in Erinnerung gerufen, dass sowohl ich als auch Loriots legendäres Jodeldiplom in den 1970er-Jahren ihren Ursprung in Bremen fanden. Noch Fragen? Die Silbenfolge „Holleri du dödl di, diri diri dudl dö“ habe ich also quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Dass dieser frühe Samen einmal prächtige Blüten treiben würde, war damals nicht zu erahnen.

Ein paar Worte zu den Hintergründen des Jodelns. Jeder, der sich schon mal näher mit seiner Stimme beschäftigt hat, kennt das Problem des Registerwechsels zwischen Brust- und Kopfstimme. In der klassischen Gesangsausbildung gilt es, diesen glatt zu schmirgeln. Beim Jodeln passiert genau das Gegenteil, da wird durch das Umschlagen zwischen Falsett- in die Bruststimme der charakteristische „Schnackler“ produziert. Und das macht eine Riesengaudi. In dem prähistorischen Zeitalter ohne Mobiltelefone diente das Jodeln als Kommunikation in den Bergen, zum Beispiel um die Sennerin oder die Kühe herbei zu rufen. Ist das Jodeln hierzulande vor allem im Alpenraum heimisch, findet man diese Gesangstechnik verstreut über den gesamten Erdball, unter anderem bei den afrikanischen Pygmäen, den Eskimos, in diversen Ländern Asiens, Nord- und Osteuropas und den USA.

Als ich vor sieben Jahren meine norddeutsche Heimat verließ, um mein Glück in Oberbayern zu suchen, schenkten mir meine ehemaligen Kollegen zu Integrationszwecken einen Jodelkurs bei Barbara Lexa. Die Mundartmusikerin ist auch bekannt für die Entwicklung von bayerischen Jodelmantras. Mein damaliger Chef überreichte mir den Gutschein mit den Worten: „Frau Spelzhaus, da haben Sie endlich etwas Eigenes“. Wenn er wüsste, wie Recht er hatte! Ich buchte gleich nach dem Basiskurs mit erfolgreich bestandenem Jodeldiplom das Fortgeschrittenenseminar hinterher. Bei der Münchener Crossover-Sängerin Andrea Pancur, die alpenländische Musik mit Klezmer vermischt, saß ich in abendlichen Singstunden. Als ich meinem Betriebsarzt von meiner neuen Jodelleidenschaft erzählte, verordnete er mir sogleich die Teilnahme an einer gemeinsamen Jodelwanderung von Sachrang auf den Spitzstein. Diese wurde mitreißend von der Musikerin und Fernsehmoderatorin Traudi Siferlinger angeleitet. Wir lernten den Berg erklimmend einen mehrstimmigen Jodler nach dem anderen, die ein oder andere Gänsehaut baute sich gleich mit auf. Den Schlusspunkt bildete ein Konzert für die Almer und Gäste auf einer Berghütte.

Es folgten weitere Jodelabende in München in der Seidlvilla und im Hofbräuhaus sowie diverse Wirtshaussingen. Ich begab mich mit der steirischen Jodlerfamilie Härtel in den Hohen Tauern auf Jodelskitour, eine regelmäßige Impfung mit Zirbenschnaps machte die Zunge locker. Die Sachranger Jodelwanderung steht als fester Bestandteil im jährlichen Jodelkalender.

Als Ärztin kann ich bestätigen: „Jodeln ist gesund!“ Es relaxiert das Zwerchfell und harmonisiert den Atem, aktiviert die Lebensenergie Prana oder Qi. Es produziert haufenweise Impulse auf den Nucleus accumbens, dem Belohnungszentrum in unserem unteren Vorderhirn. Gemeinsames Singen sorgt bekanntermaßen für einen Ausstoß des Bindungshormons Oxytocin, Jodeln in Gemeinschaft dürfte für einen wahren Hormonregen sorgen. Endorphine machen uns euphorisch und wirken schmerzstillend.

Jodler. Foto: Pixabay ©

Diese Erfahrung durfte ich selbst im Herbst 2019 machen, als mein Fuß auf dem Jakobsweg in Portugal des vielen Wanderns müde war, blau anschwoll und schmerzgeplagt streiken wollte. Schmerz wird von Medizinern üblicherweise auf einer Skala von 0 (schmerzfrei) bis 10 (schlimmst möglicher Schmerz) quantifiziert. Wir Pilger stimmten mehrere Jodler an, die wir kurz zuvor auf unserer Jodelwanderung gelernt hatten. Wie durch ein Wunder sank mein Schmerz auf der Skala von einer 6 auf eine 1. Dumm gelaufen für meinen Fuß, denn jetzt musste er weiter wandern. Nach einer Woche nahm dann auch die Schwellung ab.

Bei solch multiplen positiven Effekten auf unsere psychische und körperliche Gesundheit ist es umso erstaunlicher, dass bei den Öffnungsdebatten im Lockdown die Jodelwanderungen komplett außen vor bleiben. Ich fordere hiermit die Politik auf, für diese immunstimulierenden Veranstaltungen schnellstmöglich ein Öffnungsszenario zu entwerfen. Die Bergwelt ist ein maximal großer Veranstaltungssaal mit herausragender Belüftung. Für die Teilnehmer ist folgendes Sicherheitskonzept denkbar: Die Jodler werden dreistimmig gesungen. Die Hauptstimme wird von Sängern mit tagesaktuellem negativen Covid-Test übernommen. Die schwierigere Oberstimme übernimmt der Chor der Geimpften. Menschen, die weder zur ersten noch zur zweiten Gruppe zählen, dürfen mit gehörigem Sicherheitsabstand zu allen anderen unter einer FFP2-Maske die Bassstimme brummen.

Frei nach Loriot: „Ein weiteres Jahr ohne Jodelwanderung ist möglich, aber sinnlos.“ Wir Wanderladies brauchen dringend eine Auffrischung in Sachen Melodie und Text! Und der Mountainbiker vom Tatzelwurm würde es uns auch danken.

Dr. Petra Spelzhaus, 4. März 2021, für
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Dr. Petra Spelzhaus

Spontan sprang Dr. Petra Spelzhaus, Jahrgang 1972 und wohnhaft in München, bei der Jazzahead 2019 für eine erkrankte Kollegin ein und berichtete vom Partnerland Norwegen für klassik-begeistert.de. Ehe sie sich versah, war sie Autorin. Sie qualifizierte sich schon früh für die Musiksparte, kannte sie doch bereits alle Komponisten ihres Quartett-Kartenspiels auswendig, noch bevor sie richtig sprechen konnte. Schweißtreibende Jahre folgten beim Versuch diverse Instrumente spielen zu lernen. Als Jugendliche traf sie ihre große Liebe, die Trompete. Nach zunächst klassisch geprägter Ausbildung stieß sie auf Jazz- und Weltmusik. Es fiel ihr wie Schuppen von den Ohren: „Ich will musikalisch frei sein und improvisieren.“ Namhafte Professoren unterstützen sie bei dem nahezu unmöglichen Unterfangen. Getreu ihrem Motto „Life is Jazz“ möchte die ganzheitlich tätige Ärztin Auge und Ohr auf Klassik-begeistert für die Jazzmusik öffnen. In der 14-tägig erscheinenden Kolumne „Dr. Spelzhaus Spezial“ informiert sie jeden zweiten Samstag über Medizin und Musik.

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