„Auch wenn die Klänge nur aus dem Lautsprecher kommen, sind diese anderthalb Stunden ein musikalisches Lustwandeln und ein Eintauchen in die vornehme Sphäre am Hofe der Albertinischen Wettiner.“
Dresdner Musikfestspiele: Festliches Weihnachtskonzert
Kulturpalast Dresden, 12. Dezember 2020 (Live-Übertragung auf dreamstage.live)
Jan Vogler, Violoncello
Anna Fusek, Blockflöte
Dresdner Festspielorchester
Chouchane Siranossian, Konzertmeisterin
Foto: Jan Vogler, © Marco Grob
Johann Adolph Hasse: Ouvertüre aus der Oper »Artaserse« (Dresdner Fassung von 1740);
Konzert für Violoncello, Streicher und Basso continuo D-Dur
Antonio Vivaldi: Konzert für Flautino, Streicher und Basso continuo C-Dur;
Konzert für Violine und Violoncello, Streicher und Basso continuo B-Dur
Johann David Heinichen: »Serenata di Moritzburg« F-Dur
Nicola Porpora: Konzert für Violoncello, Streicher und Basso continuo G-Dur
Johann Friedrich Fasch: Konzert für 2 Hörner, 2 Oboen, 2 Fagotte, Streicher und Basso continuo D-Dur
von Pauline Lehmann
Auch in diesem Jahr verbinden die Dresdner Musikfestspiele ihr Festliches Weihnachtskonzert mit den Werken alter Meister und laden ein zu einer fesch-virtuosen und sinnlich-lyrischen Klangpartie von Italien bis an den kurfürstlich-sächsischen und königlich-polnischen Hof zu Dresden. Gemeinsam mit dem Cellisten Jan Vogler und der Blockflötistin Anna Fusek bringen das Dresdner Festspielorchester und Konzertmeisterin Chouchane Siranossian eine Hommage an das ‚alte‘ Dresden.
Mit Werken von Johann Adolph Hasse, Antonio Vivaldi, Johann David Heinichen, Nicola Porpora und Johann Friedrich Fasch präsentiert sich an diesem Abend die musikalische Creme des 18. Jahrhunderts. Live übertragen aus dem Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes, bietet sich dem Publikum in den eigenen vier Wänden ein vollmundiges Programm mit selten gespielten Kostbarkeiten. Und auch wenn die Klänge nur aus dem Lautsprecher kommen, sind diese anderthalb Stunden ein musikalisches Lustwandeln und ein Eintauchen in die vornehme Sphäre am Hofe der Albertinischen Wettiner.
Gemeinsam mit Chouchane Siranossian, die erstmalig mit dem Dresdner Festspielorchester zusammentrifft, moderiert Jan Vogler locker und kurzweilig in deutscher und englischer Sprache. Dazu gibt es noch einen genauso munter-optimistischen Wort-Gruß aus der Horngruppe von Alec Frank-Gemmill.
Es ist die Suche nach dem Originalklang der jeweiligen Zeit, die den Klangkörper der Dresdner Musikfestspiele auszeichnet, und so spielen die Musikerinnen und Musiker auch an diesem Abend auf einem historischen Instrumentarium. Die Streicher benutzen Darmsaiten und auch die Stimmung der Instrumente liegt mit 415 Hz einen halben Ton tiefer als heute in der Orchesterlandschaft üblich.
Das Online-Konzert transportiert einen intensiven musikalischen Dialog und vor allem die für Jan Vogler typische Portion Optimismus. Auch in den eigenen vier Wänden fühlt man sich leichtfüßig durch den Abend getragen. Doch legt das digitale Format das Wesen der Musik als Zeitkunst ohne Wenn und Aber offen. Fast noch im letzten Ton der Zugabe rauscht der virtuelle rote Vorhang zu und die Konzertatmosphäre endet jäh. Auch im Online-Modus braucht es einen kurzen Nachklang, sei es ein Verbeugen oder ein Abspann.
Aber nun zurück zur Dramaturgie des Abends, die das Geflecht deutsch-italienischer Begegnungen im Dresden des 18. Jahrhunderts wunderbar zu Tage fördert. Das barocke Dresden besaß ein europäisches Antlitz, in den Künsten hielt man sich an das Neueste und mit der hiesigen Hofkapelle hatte man das beste Orchester der damaligen Zeit.
Im Jahre 1710 überquerte Johann David Heinichen die Alpen zunächst südwärts und ging nach Italien, wo er bis zum Jahreswechsel 1716/17 vor allem in Venedig weilte. Eine Bekanntschaft mit Antonio Vivaldi lässt sich zwar nicht eindeutig ausmachen, ist aber naheliegend. Während des Venezianischen Karnevals im Jahre 1716 traf er auf Friedrich August II., der ihn stellvertretend im Namen seines Vaters, Augusts des Starken, ab August 1716 als Hofkapellmeister in Dresden engagierte. Seine »Serenata di Moritzburg« komponierte Heinichen anlässlich einer Jagd im Oktober 1719.
Johann Friedrich Fasch weilte 1726/27 in Dresden, wo er wiederum auf Johann David Heinichen traf. Nach seiner Zeit am Braunschweiger Hof verbrachte Johann Adolph Hasse – neben Georg Friedrich Händel die Musikikone der damaligen Zeit – die 1720er-Jahre in Neapel. In diese Periode fügt sich auch eine kurze Lehrzeit bei Nicola Porpora. Es war die Beschäftigung mit einem Libretto Pietro Metastasios, die Hasse die italienische Opernbühne außerhalb Italiens eröffnete. So erklang seine Oper »Artaserse« – deren Ouvertüre das Konzert aus dem Dresdner Kulturpalast eröffnet – erstmals anlässlich des Venezianischen Karnevals im Februar 1730 und war überdies mit der Sopranistin Francesca Cuzzoni und dem Kastraten Farinelli top besetzt.
Nach dem Tod der beiden Hofkapellmeister – Johann Christoph Schmidt war im April 1728 verstorben, Johann David Heinichen im Juli des darauffolgenden Jahres – suchte man an der Elbe einen neuen Kapellmeister. Nach einem erfolgreichen Gastspiel im Sommer 1731 wurde Hasse erst Anfang Dezember 1733 fest in Dresden engagiert. Diese Stelle sollte er – unterbrochen von Reisen und längeren Aufenthalten in Italien – bis 1764 innehaben. Hier an der Elbe erklang die Oper »Artaserse« im September 1740 in einer überarbeiteten Fassung anlässlich der Heimkehr des Kurprinzen Friedrich Christian.
Der einstige Lehrer Hasses in Neapel, Nicola Porpora, kam im Jahre 1747 von der Themse an die Elbe, verdiente sich hier als Gesangslehrer bei Maria Antonia Walpurgis von Sachsen und wurde im April des folgenden Jahres zum Kapellmeister ernannt. Das Verhältnis mit Hasse, dem er an der Dresdner Hofoper wiederbegegnete, war angespannt – nicht zuletzt durch die Konkurrenz zwischen den beiden Sängerinnen Regina Mingotti, einer Schülerin Porporas, und Hasses Ehefrau Faustina. Porporas Dienst am Dresdner Hof endete schließlich an Neujahr 1752. Doch nun genug mit der Historie und zurück zum Geschehen im Dresdner Kulturpalast.
Das Dresdner Festspielorchester malt die Musik der Barockzeit in kräftigen Farben, frisch und lebendig kommen die einzelnen Werke daher. Im Konzert für Violine und Violoncello von Antonio Vivaldi begeistert Chouchane Siranossian mit einer strahlenden, lyrischen Tongebung. Im dritten Satz, einem Allegro molto, ereifern sich Solo-Violine und Solo-Cello in einem virtuosen Wechsel- und Zusammenspiel. Chouchane Siranossian und Jan Vogler gehen herrlich in ihrem Metier auf.
Anna Fusek brilliert im Blockflötenkonzert von Antonio Vivaldi, doch ist ihr Auftritt zu betont agil. Nach einem virtuos-diffizilen Allegro folgt das Largo, dessen fragenden und gedeckten Gestus Anna Fusek, die nicht nur Blockflöte, sondern Alte Musik auch in den Fächern Violine und Klavier studiert hat, eindringlich einfängt.
Pauline Lehmann, 17. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at