Sternzeichen, Perruchon, Gerassimez © Susanne Diesner
Düsseldorfer Symphoniker
Adrien Perruchon, Dirigent
Alexej Gerassimez, Schlagzeug
Aziza Sadikova – „Heat Efficiency“ (Green Piece No. 5) – Uraufführung
Vincent Ho – The Shaman. Concerto for Percussion and Orchestra (2011)
Camille Saint-Saëns – Sinfonie Nr. 3 C-Moll op. 78 „Orgelsinfonie“
Tonhalle Düsseldorf, 11. Dezember 2023
von Daniel Janz
Es gibt Abende, die sind für Rezensenten keine Freude. Normalerweise führen freudige Erwartung und Wohlwollen in ein Konzert. Man fiebert den großen Erlebnissen des Abends entgegen! Spannend ist das vor allem dann, wenn große Klassiker mit unbekannten Werken oder sogar Uraufführungen angereichert werden. Zwar ist nicht zu garantieren, dass solche Musik immer den eigenen Geschmack trifft. Aber einen Totalausfall erwartet man in der Regel auch nicht. Schade, wenn es dann an allen Ecken und Enden wackelt. So geschehen an diesem Montagabend in der Düsseldorfer Tonhalle…
Erster Durchfall des Abends ist dabei eine Uraufführung im Zeichen gegen den Klimawandel. Die Tonhalle hatte dazu bereits in 4 vergangenen Konzerten Themen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes vorgestellt.
So auch heute vor dem Konzert in einem merkwürdig langen Interview mit einem „Energieexperten“. Wohl auch, um auf das Werk von Aziza Sadikova aus Usbekistan einzustimmen. Wobei die Musik von ihr kaum überzeugt, ergießt sie sich doch in 3 Minuten reiner Effekthascherei. Es zirpt, fiept und rumst. Mal tönen Glocken, dann erklingen unfreiwillig komisch wirkende Effekte, es flirren die Geigen, als würde der Saal gefrieren und dann ist alles auch schon vorbei. Oft wirkt es bedrohlich, aber von Wärme ist keine Spur.
Jetzt sind reine Effektkompositionen noch kein Ausschlusskriterium. Aber das hier ist doch wieder nur das lange ausgelutschte Streben nach möglichst Neuartigem ohne Sinn für Inhalt und Dramaturgie, ohne roten Faden oder intuitiv nachempfindbares Erlebnis – ja man möchte meinen, ohne Hand und Fuß. Und was das mit Wärmeeffizienz – immerhin Titel des Werks und Thema der viel zu langen Einführung – zu tun haben soll, bleibt auch völlig verborgen. Alles in allem ein Stück zum Vergessen, das beim Rezensenten weder Eindruck noch Interesse weckt. Es wäre schon verwunderlich, wenn dieses Werk im Konzertbetrieb jemals wieder eine Rolle spielen sollte.
Der Hang zur Effekthascherei besteht auch im zweiten Werk des Abends. Hier aber in Bezug auf das Schlagzeug. Nun sind Kompositionen für Schlagzeug-Solo und Orchester meistens ein Spektakel. Die Qualität steht und fällt aber mit der Fähigkeit des Komponisten, den Fokus auch auf das Orchester zu lenken und nicht nur beim Schlagzeuger hängen zu bleiben. Genau daran krankt „The Shaman“ von Vincent Ho, das hier heute seine Europauraufführung erlebt. Dies ist ein unglaublich beeindruckendes und anstrengendes Stück für den Solisten. Man merkt, dass es gezielt für Evelyn Glennie – die erste weibliche Percussions-Solistin – komponiert wurde.
Das Orchester verkommt nur leider zu sprödem Beiwerk: Einzig schillernde Effekte, einige Crescendo zu viel und das ein oder andere Dröhnen. Gefühlt braucht es diese 80 Musiker nicht – wie der Komponist sie einsetzt, hätten es auch 20 getan. Schade, denn es gibt schon fordernde Orchesterpassagen, die aber im Hintergrund nachhallen. Ob Dirigent Perruchon mit einem entschiedeneren Dirigat hier noch etwas hätte rausholen können?
Dabei hat diese Komposition durchaus ihre Momente, die auf die gelungene Darbietung durch Solist Alexej Gerassimez (36) aus Essen zurückgehen. Wie er am Anfang begleitet von mystischem Raunen mit Rasseln durch das Orchester schreitet oder das Drum-Set bearbeitet hat schon etwas Archaisches, fast Rituelles. Auch sein Einsatz an Marimba und Vibraphon wirkt sehr gekonnt, als würde er Zaubersprüche ins Orchester werfen, das in schillernden, wenn auch kitschigen Effekten antwortet. Wie Gerassimez vor dem Konzert meinte: Hier taucht der Solist ein und „lebt die Musik“.
Und Gerassimez meint dies auch. So engagiert und präzise, wie er sich auf der Bühne präsentiert, versteht man, wieso er sich so für die Verbreitung dieses Werks einsetzt. Es ist schade, dass neben dem Treiben des Solisten wenig Bemerkenswertes da ist. Eine klarere Dramaturgie, ein ritualmäßig klar gegliederter Ablauf oder mehr Melodie anstatt das stets zerstörerische Orchesteraufbäumen, hätten hier eine großartige Komposition schaffen können. So aber bleibt vor allem das Können von Gerassimez in Erinnerung, das er hier und in seiner eigens komponierten Zugabe „Asceturas“ für kleine Trommel demonstriert. Beide Werke konnte er klar als Paradestücke nutzen.
Als Paradestück im Konzertbetrieb lässt sich auch immer die so genannte Orgelsinfonie von Camille Saint-Saëns bezeichnen. Kaum eine andere seiner Kompositionen ist so ergreifend und hinterlässt so einen kraftvollen Eindruck. Sie miterleben zu dürfen ist stets Erlebnis sowie Herausforderung.
Heute Abend überwiegt aber vor allem die Herausforderung. Denn den Düsseldorfer Symphonikern merkt man die Tücken des Werks an. So klingen bereits im ersten Satz Instrumentengruppen immer wieder nicht synchron. Manche Töne hängen auch gegen den vom Dirigent angegebenen Takt. Und an anderer Stelle hinken die Begleitstimmen hinterher. Darüber hinaus erscheinen die Bläser hier sehr matt. Gänzlich unter gehen z.B. Holz und Trompeten, einzig Hörner und Bassklarinette, sowie ab und an die Fagotte stechen solide heraus. Schade, denn die ersten Klänge ließen Großes erwarten, trotz eines von Perruchon etwas hastig gewählten Tempos.
Als Höhepunkt dieser Aufführung muss man dann auch den zweiten und (leider) nicht den vierten Satz bezeichnen. Hier entsteht ein angenehmes Wechselspiel im warmen Klangfarbenteppich der Orgelakkorde zu den wunderbar klar spielenden Streichern, die generell die beste Gruppe heute darstellen. Das ist schon fast Referenzaufnahmen-Niveau zum Schwelgen.
Im dritten Satz kündigt sich stattdessen an, was im Finale schließlich zum totalen Einbruch führt. Wesentliche Details gehen einfach unter. So z.B. das Klavier, das hier und auch im vierten Satz eigentlich prominente Einsätze hat. Ob hier wieder die berüchtigte, problematische Akustik der Tonhalle Düsseldorf zugeschlagen hat oder es an dem nicht immer idealen Dirigat liegt, bleibt eine offene Frage. Da aber auch die Bläser matt erscheinen, mag der Saal wirklich einen ausschlaggebenden Faktor dargestellt haben.
Nicht am Saal liegt jedoch die Fehlleistung im Finale. Hier muss die Orgel von Anfang an tosend losdröhnen! Was die Düsseldorfer Symphoniker hier aber stattdessen veranstalten, ist wohl die schwächste Aufführung, die der Rezensent von dieser Sinfonie jemals live erlebt hat. Lange Zeit kommt nichts von der Erhabenheit und Kraft dieses Instruments durch. Anstatt vollem Werk pustet hier nur ein laues Lüftchen, was den majestätischen Schlusssatz dieser Sinfonie gänzlich zerstört. Da helfen auch starke Akzente des Schlagwerks sowie aufbrausende Hörner und Posaunen nichts.
Erst gegen Ende dreht die Orgel auf und lässt erahnen, wie viel prächtiger das hätte sein können. Da ist es aber schon zu spät und das Werk nachhaltig geschädigt. Ein Eindruck, den auch ein Organist bestätigt, der direkt hinter dem Rezensenten im Publikum saß. So bleibt die Frage: War das ein technischer Fehler? Oder wurde aus Unachtsamkeit vergessen, nach dem ruhigen zweiten Satz die Register aufzudrehen? Der Rezensent weigert sich jedenfalls zu glauben, dass so ein Durchhänger Absicht gewesen sein soll.
Retten können diese enttäuschende Aufführung nur die wahnsinnig engagierten Streicher, die über weite Strecken diese Sinfonie tragen. Und auch Becken, Triangel und große Trommel überzeugen durch Präzision. In Summe war das damit eine Leistung, die nicht gänzlich in einer Katastrophe endet, aber doch erheblich Luft nach oben offenbart, wie man auch am eher verhaltenen Schlussapplaus merkt. Von der Kraft und Energie, die dieses Werk normalerweise versprüht, war heute jedenfalls wenig zu merken.
Daniel Janz, 12. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at