Selbst ein Jahr nach Ausbruch hat uns die Corona-Pandemie immer noch in ihrem Griff. Kultur und Kunst sind gänzlich weggebrochen, Veranstaltungen und Treffen nach wie vor eingeschränkt, der Konzertbetrieb liegt am Boden. Zeit, sich als Musikliebhaber einmal neu mit der eigenen CD-Sammlung (oder wahlweise Spotify-Playlist) auseinanderzusetzen, Lieblinge zu entdecken oder alte Favoriten neu aufleben zu lassen.
Deshalb stelle ich vor:
Meine Lieblingsmusik: Top 3 – Camille Saint-Saëns, Sinfonie Nr. 3 in c-moll „Orgelsinfonie“ (1886)
von Daniel Janz
Wenden wir uns in meiner Top 3 einem der Komponisten und Werke zu, die in meinen Augen in Deutschland gänzlich unterrepräsentiert sind. Camille Saint-Saëns ist hierzulande bestenfalls noch für seinen (in meinen Augen überbewerteten) „Karneval der Tiere“ bekannt, eingefleischten Kennern ist auch sein „Danse macabre“, das Weinachtsoratorium oder eines seiner – ebenfalls empfehlenswerten – 5 Klavierkonzerte ein Begriff. Doch sein weiteres sinfonisch reiches Schaffen stand schon immer stark im Schatten seiner Zeitgenossen, die ihn als rückwärtsgewandt, zu traditionell oder unoriginell betrachteten.
Dabei schuf Saint-Saëns 1886 eine der ersten nichtsakralen Orgelmusiken für Orchester und dann auch noch so eine Bombastische! Schon beim ersten Hören überwältigte mich seine dritte Sinfonie durch ihre pure Kraft und die ihr innewohnende majestätische Stärke. Der Komponist selber muss diese Qualitäten gespürt haben, bezeichnete er diese Sinfonie doch als sein „opus summum“ – etwas, was er nie wieder erreichen würde – und das, obwohl er danach noch ganze 35 Jahre lebte und komponierte.
Dabei ist der Ansatz dieses Werkes simpel. Saint-Saëns bedient sich hier des altbekannten „Dies Irae“-Themas aus der katholischen Messe und verarbeitet es in vier vom Charakter recht unterschiedlichen Sätzen, zu denen sich im zweiten und vierten auch die Orgel mischt. Ein gewisser sakraler Charakter lässt sich ihm also durchaus zuordnen, auch wenn andere Ansätze zu einem möglichen Programm fehlen.
Ein solches Programm hat diese Musik aber auch gar nicht nötig, denn sie steht für sich selbst und demonstriert ein bis zur Königsklasse ausgereiftes kompositorisches Können. Den Charme macht besonders die Konzentration auf ein überschaubares musikalisches Material aus. In jedem der Sätze gelingt es, dies in einem neuen Licht erstrahlen zu lassen.
Schon der erste Satz verbindet durch gekonnte Wechsel zwischen leise rasenden Streichern und den für ständige Variationen sorgenden Bläsern das Prinzip der Festigung mit einer immer währenden Abwechslung. Obwohl das Hauptthema beinahe pausenlos rauf und runter gespielt wird, tritt nie Langeweile auf. Sparsame und dadurch besonders wirksame Einwürfe der Blechbläser halten zusätzlich die Spannung aufrecht. Der Eindruck einer dieser Musik innewohnenden Macht zementiert sich bereits nach nur einer Minute und ist spätestens nach fünf Minuten offensichtlich, wenn das gesamte Orchester in das Hauptthema einstimmt.
Den ersten Kontrast dazu bildet Saint-Saëns durch einen unvorhergesehenen Abbruch der Durchführung mit fließendem Übergang zur zweiten, ruhigen Hälfte des Satzes. Dieser Teil ist eigentlich einem traditionellen zweiten Sinfoniesatz gleichzusetzen, wurde vom Komponisten aber immer als Einheit mit dem ersten Teil bezeichnet. Programmatisch fällt besonders der leise Einsatz der Orgel auf, die diesen Teil „poco adagio“ einleitet. Ein umso kurzweiliger fünfzehnminütiger Ruhepol zum vorangegangenen Aufbrausen, das bei entsprechender Aufführung auch den Geist für das nachfolgende Finale öffnet.
Wie die ersten beiden Sätze zu einem zusammengefasst sind, so sind es auch die letzten beiden. Erneut stehen im ersten Part Streicher und Bläser im Vordergrund. Stürmisch, fast schon aufbrausend traben sie begleitet durch die Pauken hervor und reichen sich mit den Holzbläsern die Melodiefetzen hin und her. Überhaupt – hier zeigt sich, was dies für ein Meisterwerk der Instrumentation ist. Fast alle Instrumente sind kontinuierlich beschäftigt und trotz reicher Klangteppiche immer gut zu hören. Selbst das eigens für den zweiten Teil der Sinfonie bereitgestellte Klavier kann bei jedem Einsatz glänzen.
Zum wahren Ausbruch kommt es dann im abschließenden Finale durch das erneute Einsetzen der Orgel, diesmal im forte. Hier stimmt einfach alles – die Mischung aus kristallklaren Klaviergängen und flirrenden Streichern im Kontrast zur gewaltigen Fülle der Orgel und eines vollen Blechbläserapparats. Für diese acht Minuten purer Kraft hat der Komponist sich in dieser Sinfonie zusätzlich Becken und große Trommel aufgespart, die bei jedem Einsatz den ohnehin schon vollen Orchesterklang auf Goldstandard polieren. Nicht umsonst überschrieb der Komponist dies mit „Maestoso“. Ein absoluter Garant, das Hören mit einem vor purer Ekstase rasenden Herz zu beenden.
Ich selbst hatte das große Glück, diese Sinfonie zum ersten Mal in einer Aufnahme unter Karajan mit Pierre Cochereau an der mächtigen Orgel der Kathedrale Notre-Dame zu hören. Diese Verbindung aus Sensibilität der einzelnen Klangelemente und Durchschlagskraft des vollen Orchesters ist mir weder in einer der anderen zahlreichen Aufnahmen, die ich kenne, noch jemals in einer der Live-Aufführungen begegnet. Solch eine gekonnte Balance scheint offenbar eine große Herausforderung zu sein – umso schöner ist es, den klanglichen Beweis dafür zu haben, dass dies gelingen kann. Diese Aufnahme dieses Werks wird deshalb auch mit Sicherheit auf ewig als eine der besten musikalischen Aufnahmen aller Zeiten in meiner Favoriten-Liste überdauern.
Daniel Janz, 29. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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