Fließend, harmonisch, einvernehmlich, friedlich: Antonello Manacorda formt aus Solisten, Chor und dem Orchester eine Einheit

Camille Saint-Saëns, Oratorio de Noël, Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 21. Dezember 2020

Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 21. Dezember 2020
Rezension des Videostreams: Montagsstück VII – Camille Saint-Saëns, Oratorio de Noël
Fotos: W. Hösl (c)

Camille Saint-Saëns, Oratorio de Noël
Musikalische Leitung Antonello Manacorda
Sopran Ailyn Pérez
Mezzosopran Tara Erraught
Alt Okka von der Damerau
Tenor Benjamin Bernheim
Bariton Etienne Dupuis
Harfe Gaël Gandino
Orgel Michael Hartmann
Bayerisches Staatsorchester (Streicher)
Chor der Bayerischen Staatsoper

von Frank Heublein

Camille Saint-Saëns‘ Oratorio de Noël höre ich heute zum ersten Mal.

Ein weiterer Versuch meinerseits, mich in romantischer Musik wiederzufinden. Eine Musikrichtung, für die ich aktuell eher häufig keinen Widerklang in mir finde. Mit Saint-Saëns‘ 3. Sinfonie, Orgel Sinfonie genannt, verbinde ich einen Teil meiner persönlichen Geschichte. Positive Voraussetzungen also.

Eine kammermusikalische Besetzung erwartet mich: Streicher, Orgel, Harfe, fünf Solostimmen und Chor. Der Komponist schrieb das Stück 1858 und es wurde in der Pariser Kirche La Madeleine uraufgeführt. In dieser Kirche war Saint- Saëns als Organist angestellt.

Das Prélude ist „im Stil J.S. Bachs“. Dieser Hinweis verleitet mich zu einer Fehlorientierung. Denn mit diesem Stil ist keinesfalls der des Bachschen Weihnachtsoratoriums gemeint. Eher der kontemplative zurückhaltende einer Kantate eines normalen Sonntags.

Das Prélude klingt nach hoffendem Sehnen. Das mir Auffällige des Rezitativs liegt darin, dass es abwechselnd von Tenor, Alt, Sopran und Bariton vorgetragen wird. Der Chor alterniert zwischen strahlendem Forte, einem ersten emotionalen musikalischen Ausbruch und zartem Piano, welches sogleich meine überschwänglichen Gefühle einfängt. Das folgende Air von Mezzosopran, Orgel und Streichern bleibt feierlich und zugleich musikalisch fein und zurückgenommen.

In einem zweiten angeschlossenen Air darf der Tenor ins hohe Register wechseln, was Benjamin Bernheim mühelos gelingt. Spannend sind die nahtlosen Übergänge der weibliche Chorstimmen mit dem Tenorsolo. Die Partien entspringen geradezu ineinander, so fließend gestaltet Saint-Saënts die Übergänge. Das folgende Duo zwischen Sopran und Bariton enthält in diesem Part gesanglich eine der anspruchsvollsten Stellen. Die beiden Stimmen singen gegenläufig. Der Sopran steigt immer höher, der Bariton fällt immer tiefer. Ailyn Pérez‘ Sopran dringt dabei tiefer in mich ein als der Bariton Etienne Dupuis‘.

Montagsstück VII: Oratorio de Noël – Ailyn Pérez, Benjamin Bernheim (c) Hösl

Das anschließende Chorstück ist die stärkste musikalische Eruption des Werkes. Das Orchester inklusive der Orgel zusammen mit dem Chor, stürmisch tief drängend und im Forte überraschen mich. Doch ich finde nicht die Zeit, mich auf dieses drohend Dunkle einzulassen. Zu schnell löst es sich auf in einem ebenso plötzlichen wie milden Piano.

Im Trio Tecum principium erinnern mich Tenor, Sopran und Bariton an eine Staffelmannschaft. In einem stetigen musikalischen Fluss übergeben sie sich die Gesangslinie einander – perfekte Übergaben. Das Trio ist der Beginn eines sich bis zum Schluss übergreifenden sanften Crescendo, das sich in der Besetzung abzeichnet.

Dem Trio folgt das Quartett „Alleluia“ mit Alt, Bariton, Mezzo und Sopran. Um musikalisch einen weiteren Schritt stärker zu werden mit einem Quintett und Chor. Männer- und Frauensolostimmen wechseln einander ab, als Schlusspunkt setzen die männlichen Chorstimmen mit dem Halleluja ein dumpfes Aufbegehren. Der abschließende Chor – dieser Abschluss erinnert mich wieder an die Form einer Bachschen Kantate – beginnt prachtvoll festlich. Um ansatzlos ins zurückgenommene Piano zu verfallen. Dieser Chorsatz berückt mich einmal mehr durch die spannenden Wechsel zwischen Forte und Piano.

Ein lyrisch verhaltenes Oratorium habe ich da gehört. Ein Stück ohne große emotionale Gegensätze. Solche scheinen kurz auf, als Andeutungen, die jedoch musikalisch schnell eingeebnet werden. Meist so schnell, dass ich das in mir nicht emotional ausprägen kann. Das für mich Interessante des Oratoriums liegt in den Übergängen. Diese gestaltet Camille Saint-Saëns geschickt und ansatzlos. Dirigent Antonello Manacorda formt aus Solisten, Chor und dem Orchester eine Einheit, die in mir das Fließende, Harmonische, Einvernehmliche, Friedliche als führende Eindrücke des Oratoriums erzeugt.

Meine Eindrücke sind nur von geringer Intensität. Diese Interpretation holt wenig aus dem Stück heraus, löst nur an einigen wenigen Stellen inneren Widerhall in mir aus. Wenn ich denn auf die Übergänge und nicht auf das Eigentliche, was übergeht, aufmerksam werde. Einmal mehr bestätigt sich, wie schwer ich doch meine Erwartungen „überhören“ kann. Wie schwer es mir ist, in romantischer Musik inneren Widerklang zu erzeugen. Die anfängliche Einschätzung irritiert meine Hörwahrnehmung. Ich erwartete feierlich festliche Pracht. Da lag ich gänzlich falsch. Bevor ich mein Inneres umzupolen schaffe, ist das Oratorium schon vorbei. Ich zweifle: Liegt das an mir, am Werk selbst, an seiner Interpretation?

Frank Heublein, 22. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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