Foto: © Rupert Steiner
Wiener Konzerthaus, 10. Mai 2019
Duncan Ward Dirigent
Benjamin Schmid Violine
ORF Radio-Symphonieorchester
Dieter Kaufmann
Tolleranza 2016 (UA)
Erich Wolfgang Korngold
Konzert für Violine und Orchester in D-Dur, op. 35
Rodion Schtschedrin
Carmen-Suite für Schlagzeug und Streicher
von Julia Lenart
Das Programm verspricht einen Abend voller Höhepunkte: eine Uraufführung, Korngolds Violinkonzert interpretiert vom Stargeiger Benjamin Schmid und Schtschedrins fulminante Carmen-Suite für Schlagwerk und Streichorchester. Langeweile ist nicht zu erwarten, nicht zuletzt dank des energischen Dirigates von Duncan Ward – ein mehr als würdiger Ersatz für den verhinderten Cristian Măcelaru, der dieses Konzert eigentlich hätte dirigieren sollen.
Gleich zu Beginn bringt das ORF Radio-Symphonieorchester Dieter Kaufmanns Tolleranza 2016 zur Uraufführung. Wer die Werke des Kärntner Komponisten kennt, der weiß, dass seine Musik keine leichte, aber durchaus faszinierende Kost ist. So kann auch Tolleranza 2016, das als Anlehnung an Luigi Nonos Intolleranza 1960 konzipiert ist, politisch verstanden werden.
Nonos hochpolitische Kontrastdramaturgie war ein Manifest gegen Intoleranz und Unmenschlichkeit. Kaufmanns Orchesterwerk stellt parallel – oder im Gegensatz – dazu einen Standpunkt für Toleranz dar. Kaufmann hat bereits an anderer Stelle politische Stellungnahme gezeigt (man siehe etwa seine Vertonung der Erklärung der Menschenrechte). Und Tolleranza 2016 könnte nicht besser in die gegenwärtige Lage passen, in der Hass und Hetze zur politischen Norm legitimiert werden.
Eine rein musikalische Deutung lässt ähnliche Interpretationen zu: Das Stück schafft Gleichberechtigung – Toleranz – zwischen den zwölf Tönen der chromatischen Skala, sowie zwischen den Tongeschlechtern Dur und Moll, sogar zwischen den Instrumenten, scheint es. Alle sind gleich, keines wird ausgeschlossen oder bevorzugt. Die Klangfarben, die Kaufmann zusammenführt, sind fantastisch, verführerisch und laden ein, unser tonales System von einer neuen Seite zu verstehen.
Das ORF Radio-Symphonieorchester meistert das Werk bravourös, spielt mit Feingefühl ebenso wie mit voluminöser Stärke. Großartig! Hoffentlich verschwindet Tolleranza 2016 nicht so schnell aus dem Konzertkanon, wie so oft bei zeitgenössischer Musik. Dieses Werk gehört auf die Bühnen der Konzerthäuser.
Den nächsten Höhepunkt liefert der berühmte Geiger Benjamin Schmid mit Korngolds Violinkonzert. Das Konzert kann als stellvertretend für Korngolds Nachkriegsschaffen angesehen werden, das stark von seiner Tätigkeit bei Warner Brothers beeinflusst war.
Nachdem er sich im Exil in Hollywood während der Kriegsjahre geweigert hatte, auch nur eine Note zu komponieren (abgesehen von seinem Brotberuf als Filmkomponist), meinte er, nach 1945 in Europa seine Wiederkehr feiern zu können. Doch die Europäer hatten kein Interesse, sahen seine Werke als antiquiert an; nun waren modernere Klänge in Mode. Ein Schlag, von dem sich Korngold nie erholen sollte.
Dabei ist seine Musik so reich an Spannung: Der Zuhörer fühlt sich in einen Film versetzt, wenn die symphonischen Klänge munter dahingaloppieren, oder düstere Stimmungen erzeugen. Gleich einer Tondichtung erschafft Korngold Bilder, scheint konkrete Szenen zu beschreiben und verführt das Publikum in eine andere Welt.
Benjamin Schmid betritt die Bühne und steigt ohne viel Aufhebens in den ersten Satz (Moderato nobile) ein. Die Töne, die er aus seiner Stradivari herausholt, finden kaum einen Vergleich: Sanft und wohlklingend spinnen sich Korngolds Melodien fort. Während das Orchester ihn zunächst noch übertönt, unproportional laut spielt, ergänzen sich die beiden Einheiten (Orchester und Solist) bald zu einem harmonierenden Klangkörper.
Weder technisch noch musikalisch ist an Schmids Spiel etwas auszusetzen, man sieht ihm seine Erfahrung an. Aber die das Publikum für gewöhnlich verschlingende Spannung geht an manchen Stellen zu Lasten dieser Erfahrung. Das Violinkonzert ist für Schmid schon zur Routine geworden. Er beherrscht es tadellos, aber kann das Publikum damit nicht wirklich emotional berühren.
Mit Schtschedrins Carmen-Suite geht der Konzertabend fulminant zu Ende. Die wohl berühmteste Bearbeitung von Bizets Oper Carmen schrieb der russische Komponist Rodion Schtschedrin für seine Frau, die Tänzerin Maya Plissezkaja, die von der Figur der Carmen fasziniert war.
Traurigerweise spiegelt die Carmen-Suite das Schicksal ihres Vorbildes wider. So wie Carmen stieß auch die Suite bei ihrer Uraufführung auf heftigste Kritik und Ablehnung: Sie sei zu freizügig, eine Verschandelung von Bizets Oper. Inzwischen gehört Schtschedrins Suite zu einem der meistgespielten Orchesterwerke unserer Zeit.
Ein besonders spannender Aspekt ist die Besetzung: 47 Schlaginstrumente und Streichorchester. Das verspricht Abwechslung. Die Schlagwerker und Schlagwerkerinnen des ORF Radio-Symphonieorchesters sind gefordert und zeigen sich von ihrer besten Seite. Mit höchster dynamischer Präzision erwecken sie Carmen zu Leben.
Die Streicher mischen sich hervorragend unter das klangfarbenreiche Schlagwerk. Mit Witz und Feingefühl, teilweise sogar mit Ironie tänzeln die Musiker durch die melodiösen Bögen der Suite. Dabei lassen sie es nie an Dynamik und Inbrunst fehlen. Das Publikum wird von Schtschedrins Klängen förmlich umschlungen. Es ist ein würdiger Abschluss für einen gelungenen Konzertabend.
Julia Lenart, 11. Mai 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at