DVD Rezension
Gaetano Donizetti, Linda di Chamounix
Orchestra e Coro del Maggio Musicale Fiorentino
Michele Gamba Dirigent
Dynamic 57911
von Peter Sommeregger
Diese im Januar 2021 aufgezeichnete Produktion des Orchestra e Coro del Maggio Musicale Fiorentino fand unter strengen Corona-Regeln statt. Chor und Dirigent trugen Masken und der Zuschauerraum blieb offenbar leer. Das merkt man vor allem am ausbleibenden Applaus nach den Aktschlüssen und den großen Arien.
Der Regisseur Cesare Lievi stellt eine ganz realistische Szenerie eines französischen Provinznests auf die Bühne, die italienischen Theater widerstehen erfreulicherweise noch immer weitgehend dem Trend zum „European Trash“. Hier darf ein Baum ein Baum sein, eine Schänke aussehen wie eine Schänke und die Kostümierung der handelnden Personen ist der Rolle angemessen. Die Handlung der Oper ist ein wenig unkonventionell, wobei das Libretto die zum Teil unlogischen Brüche der Handlung nur unzureichend erklärt. Als Linda sich am Ende des zweiten Aktes um ihr Liebesglück betrogen glaubt, verfällt sie dem Wahnsinn. Hier versucht der Komponist wohl an einen seiner größten Erfolge „Lucia di Lammermoor“ anzuknüpfen, die den Wahnsinn der Titelfigur zu einer Modeerscheinung in der Oper jener Zeit machte. Nach einer Wendung zum Glücklichen im dritten Akt, die dramaturgisch etwas holprig gerät, weicht der Wahnsinn der Titelheldin ganz schnell und das Happy End nimmt seinen Lauf.
Die Partien der Linda und ihres Liebhabers Carlo erfordern erstklassige, belcanto-erfahrene Stimmen. Mit Jessica Pratt und Francesco Demuro hat man in diesem Fall einen Glücksgriff getan. Die britische Sopranistin verfügt über einen kräftigen, technisch gut gebildeten Sopran, der mühelos die zum Teil extrem hohe Lage der Partie meistert. In einer der Glanzrollen der erst kürzlich verstorbenen Edita Gruberova zu bestehen, ist keine Kleinigkeit, aber Jessica Pratt gelingt es. Die sehr lyrische Partie des Carlo, der als Figur ein wenig zweifelhaft erscheint, wird von Francesco Demuro mit schönstem lyrischen Schmelz ausgestattet. Auch ihm gelingen alle exponierten Passagen sehr gut, im Zwiegesang sind er und Pratt ein wahres Traumpaar.
Dramaturgisch ist die Rolle des Marchese di Boisfleury etwas zweifelhaft: erscheint er im ersten und zweiten Akt als ziemlich schamloser Verführer und Manipulator, so gibt er sich im dritten Akt als liebenswürdiger Schelm, der sich unvermittelt in eine Buffo-Figur verwandelt. Manchmal wird man das Gefühl nicht los, Donizetti hätte für manche seiner Charaktere vorgefertigte Blaupausen verwendet, so sehr gleicht dieser Marchese beispielsweise dem Dulcamara aus dem „Elisir d’amore“. Bei Fabio Capitanucci ist er jedenfalls in guten Händen, wenn auch die Bühnenpräsenz stellenweise über die überschaubaren vokalen Qualitäten hinwegtrösten muss. Der Rest des klein gehaltenen Ensembles kann durchaus überzeugen. Hervorzuheben ist Teresa Iervolino in der Hosenrolle des Pierotto, für den sie einen warmen, schön timbrierten Mezzosopran einsetzt.
Michele Gamba leitet das Orchester des Maggio Musicale Fiorentino souverän. Eine insgesamt sehr geglückte Produktion, bei der man nur manchmal das gefühlte Feedback eines realen Publikums vermisst.
Peter Sommeregger, 14. Januar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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