Ein anonymer Beitrag über die Zukunft der Oper sorgt im Internet für Diskussionsstoff. klassik-begeistert.de veröffentlicht ihn ungekürzt:
Foto: Semperoper Dresden, © Matthias Creutziger
Ein paar Gedanken zur Zukunft der Oper, ganz subjektiv
„Ich fürchte, die Oper als lebendige, gesellschaftlich relevante Kunstform kämpft – zumindest hier in Mitteleuropa, aber sichtbar auch in den USA – um ihre Zukunft. Es scheint, als sieche sie langsam dahin. Die Corona-Pandemie hat diesen Prozess nur beschleunigt, nicht ausgelöst.
Die Probleme aus meiner Sicht: die Bindung an eine breite Gesellschaft geht oder ist bereits verloren und wird vom Opernbetrieb nach meinem Empfinden auch gar nicht besonders gesucht. Ich halte mir immer vor Augen, dass bei der Überführung des Leichnams von Giuseppe Verdi Zehntausende in Mailand die Straßen säumten; 1901.
Heute ist man unter sich (Beispiel die großen Festivals), man begnügt sich mit dem Zuspruch der Alten (also der jetzigen Corona-Risikogruppe) und der Touristen, die einheimische Jugend fehlt zunehmend im Zuschauerraum, musikalische Bildung und Erziehung im Sinne der klassischen Musik findet an Schulen kaum noch statt. Man hat indes nunmehr die älteren Menschen verängstigt, werden sie nach Wiedereröffnung der Opernhäuser vorbehaltslos und rasch zurückkehren?
Das Opern-Repertoire ist weithin – was seine Sujets betrifft- unzeitgemäß, seit der Turandot 1926 sind nur noch wenige neue Werke ins Repertoire gelangt dergestalt, dass man sich nach einer Aufführung eines spezifischen Werkes (wie nach einer Zauberflöte oder Bohème) förmlich sehnt. Viele Uraufführungen überstehen ihre erste Spielzeit nicht. Ersatz: man gräbt immer tiefer nach „Entdeckungen“ aus früheren Jahrhunderten oder bemüht krampfhaft Modernisierung durch das Regietheater, wobei der Komponist und sein Werk nicht selten in den Hintergrund gedrängt werden.
Sicher bekommt man für die Oper vielerorts noch preiswerte Tickets , auch ab 20.-€. Aber die besseren Tickets und die Plätze in großen Opernhäusern oder Festivals sind vielfach gerade für junge Menschen und Familien unerschwinglich. Und fernab der Bühne sitzen zu günstigem Preis macht manch einem auch keinen Spaß. Da greift manch ein Opern-Liebhaber lieber zur DVD o.ä. – ist oft auch bequemer, man bleibt zu Hause, das Niveau ist vorhersehbar hoch, die Bild- und Tontechnik inzwischen ausgereift.
Die Notwendigkeit von noch höheren Subventionen (in Deutschland schon jetzt ca. 80 Prozent der Kosten) und damit die Belastung der öffentlichen Haushalte und Steuerzahler dürfte allenthalben steigen; in einer vorhersehbaren Zeit wachsender wirtschaftlicher und sozialer Probleme und finanzieller Engpässe dürfte das problematisch werden. Eine um ihr finanzielles Überleben kämpfende, mit großen Inftrastrukturproblemen und Investitionsnotwendigkeiten zu Gunsten der Allgemeinheit ringende Kommune zum Beispiel wird die Allokation knapper Ressourcen noch sorgfältiger prüfen müssen.
Ob der Oper dabei genügend Aufmerksamkeit und Unterstützung zuteil werden wird- ich zweifle. Wie lange können unsere Opernhäuser und Konzerthallen den jetzigen Stillstand oder gegebenenfalls eine Öffnung mit verordneter geringerer Auslastung aushalten ohne zusammenzubrechen, wie lange können die Künstler, Musiker, die Mitarbeiter diese Lage überstehen? Werden Opernhäuser geschlossen werden (müssen)? Die MET hat ihren Mitarbeitern im Frühjahr ganz kurzfristig gekündigt, sie öffnet nach heutigem Stand erst am 31.12. wieder, andere US- Opernhäuser (Dallas, Seattle) erst 2021. Für mich ein Menetekel auch für uns hier in Europa. Was ist zu tun? Ich weiß es nicht.
Alles in allem: Man ist als Opernfreund ratlos und tief besorgt. Ein Zurück in eine schöne Vergangenheit wird es vielerorts nicht geben.“
Aus: onlinemerker.com
Der britische Guardian hat am 9. Juni 2020 einen aufschlussreichen Artikel zum Thema veröffentlicht – Titel „We could go to the wall in 12 weeks“, der die Lage und Zukunft der klassischen Musik in Großbritannien in düsteren Farben malt.
Der große Dirigent Sir Simon Rattle wird wie folgt zitiert: „I’m desperately worried for my orchestra in London. I’m so scared for the financial hardship that they will be going through.“ In UK ist die Lage der Kulturinstitutionen im Musikbereich mangels adäquaten sozialen Netzes und angesichts geringer staatlicher Subventionen besonders schwierig.
Bemerkenswert die zitierte Auffassung des Chefs der Elbphilharmonie in Hamburg, Christoph Lieben-Seutter: „We are not afraid, because culture has great importance in the public realm in Germany and we cannot be allowed to fall.“
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at, 13. Juni 2020
Die in dem Artikel angesprochenen Sorgen sind berechtigt. Abgesehen davon, dass ich in den Opernhäusern noch erheblich mehr junge Zuschauer sehe als in Symphoniekonzerten oder Kammermusikabenden, wo ich mich mit 70 noch als ein absoluter Jungspund fühle, hat der Klassikbetrieb schon lange versäumt, eine Beziehung zu jungem Publikum aufzubauen. Vielleicht ist jetzt die erzwungene Beschränkung auf kleine Formate sogar ein Chance, hier (trotz Abstandsregel) mehr Nähe herzustellen?
Ich glaube nicht, dass die Eintrittspreise eine echte Hürde sind. Ein Helene-Fischer-Konzert kostet mehr als ein ordentlicher Platz in der Bayerischen Staatsoper. Auch junge Leute zahlen, wenn sie glauben, dass es das wert ist!
Lorenz Kerscher
Tatsächlich haben wir dieses Thema auch neulich bei den Jungen Opernfreunden diskutiert. Wir waren uns alle einig, dass für viele junge Leute die Preise oft gar nicht so sehr das Problem sind. Das Problem ist vielmehr, selbst in Hamburg, einfach das Ansehen der Oper. Opern, aber auch Symphoniekonzerte, haben bei vielen jungen Leuten den Ruf eine Seniorenveranstaltung zu sein.
Etwas verwundert war ich ebenfalls, dass beim diesjährigen Symposium zum 450. Jubiläum der Staatskapelle Berlin die Öffentlichkeit überhaupt kaum anwesend war. Obwohl das Symposium bereits mehrere Monate im Voraus auf dem Spielplan der Lindenoper stand, war der Apollo-Saal halb leer. Und eine Referentin (die ich zufällig kannte) meinte, es wäre noch gut besucht! Zum Vergleich: Die Rosenkavalier-Premiere am selben Abend war, vielleicht nicht Monate, aber Wochen vorher, ausverkauft. Da habe ich mich schon gefragt, wie viele von den OpernbesucherInnen, auch und gerade von den älteren, sich so wirklich für Oper interessieren, und wie viele einfach nur in die Oper gehen „weil das eben schick ist“.
Meine Meinung: Die musikwissenschaftlichen Hintergründe hinter der Musik, die man im Konzert oder auch in der Oper so hört, sind mindestens genauso interessant wie die Aufführung selbst. Ein Anfang wäre sicherlich, Musikwissenschaften als Schulunterrichtsfach einführen. Ich bin mir sicher, selbst für Grundschüler wäre eine Opernpartitur etwas total Faszinierendes. Vielleicht gehen dann, in 20 – 30 Jahren auch wieder mehr junge Leute ins Symphoniekonzert.
Johannes Fischer
Dieser Beitrag erreichte uns von einem Profi-Musiker, der anonym bleiben möchte.
„Ich teile diese Befürchtungen und Beobachtungen.
Und ergänze: der Opernbetrieb macht sich selbst kaputt, weil die meisten Direktoren, Intendanten und Entscheidungsträger nicht mehr ihre Arbeit so machen, wie es sein sollte. Wenige reisen und hören sich neue Stimmen an. Noch weniger laden Künstler die sich noch nicht kennen zu Gesprächen ein, im Gegenteil sie verschanzen sich, verstecken sich.
Ich habe am Beginn meiner Laufbahn einige sehr schöne Produktionen singen können. Jetzt suche ich den Anschluss seit vielen Jahren und bis auf einige Festivals und das Theater Basel bekam ich nirgends echte Chancen.
Meine Unterlagen werden nicht gelesen, Meine Arbeiten werden nicht ernst genommen…
Und natürlich ist das die Regel und kein Einzelfall.
Ein Beispiel: seit Jahren versuche ich mit dem St.Galler Operndirektor ins Gespräch zu kommen und eine Zusammenarbeit herzustellen. Wir arbeiten beide in der gleichen Stadt!
Jetzt geht er nach Wien nach zehn Jahren und wir haben nichts geschafft. Und er hat mir zur letzten Projektidee nicht einmal eine Antwort zukommen lassen, obwohl wir sie persönlich diskutierten.
Der neue bestellte Operndirektor hat ebenfalls bisher nicht geantwortet.
In jedem anderen professionellen Bereich des öffentlichen Schweizer Lebens ist das undenkbar. Und auch schlicht unanständig. Nur in der Oper geht es. Und so ist der Frust sehr hoch.
Diese bequeme Art, über Menschen hinweg zu gehen nehmen auch Besucher wahr.
Und dann gehen sie nicht mehr in die Oper. Ist doch normal.
Also lieber Opernbetrieb: nimmt die Beine in die Hand, komm auf die Erde und nimm die Menschen um dich herum wahr, die dich eigentlich mögen und reiche ihnen die Hand. Andernfalls musst Du sterben. Zumindest im Leben vieler Menschen spielst Du keine Rolle mehr.“