Foto: © Bühnen Halle, Traumspiel
Oper Halle, 7. Mai 2022 (Premiere)
Ein Traumspiel
Oper in einem Vorspiel & dreizehn Bildern von Aribert Reimann
Libretto von Carla Henius nach dem gleichnamigen Schauspiel von August Strindberg (1901)
Staatskapelle Hallen
Chor der Oper Halle
Statisterie der Oper Halle
Michael Wendeberg Dirigent
von Dr. Guido Müller
In einem Vorspiel und dreizehn eigenständigen Bildern führt uns in seiner ersten Oper von 1964 (UA in Kiel) der Komponist Aribert Reimann in seiner nur selten aufgeführten großen Oper nach dem kräftig zusammen gestrichenen Stück des schwedischen Multitalentkünstlers August Strindberg (1901) vor, wie schön das Leben auf Erden sein könnte, es hingegen von den Menschen als Hölle empfunden wird.
Dazu schicken Strindberg und Reimann die Tochter des indischen Gottes Indra vom Himmel auf die Erde und in verschiedenen Erscheinungen lernt sie dabei an eigener Haut die Leiden des Menschseins kennen. Das „Dasein“ bezeichnet Indras Tochter dabei als größte Qual. Und darin wie in vielen Szenen voller drastischer Surrealität der Figuren, Ereignisse und Dialoge lässt sich vor dem Hintergrund des Existentialismus, der Anfang der 1960er Jahre sehr in Mode war, auch eine Ironisierung dieser Philosophie sehen.
Was sonst alles noch im Libretto, in der Musik und im Symbolismus der Oper steckt, legt der Chefdramaturg Boris Kehrmann in seinem umfangreichen Aufsatz „Präzise Schilderung des irdischen Lebens“ im Programmheft dar.
So vielfarbig, reich, surreal, bildmächtig und voller Humor wie die Komposition des jungen, vor Ideen übersprudelnden Komponisten Reimann ist auch die kräftig zupackende bunte Inszenierung von Keith Warner in der prächtigen Ausstattung von Kaspar Glarner (mit drei multifunktional sich öffnenden großen Fenstern an den Seiten und in der Mitte) mit dort oft eingesetzten Videos von Bibi Abel gelungen.
Den stärksten Anteil am Gelingen der Spannung des Abends haben aber ganz sicher zwei Künstler: der kommissarische Chefdirigent Michael Wendeberg und die KS Anke Berndt in der die Aufführung wesentlich prägenden Rolle als Indras Tochter. Frau Berndts Interpretation ist einfach in allen Nuancen nur als atemberaubend zu bezeichnen. Bei aller immer wieder notwendigen hochdramatischen Emphase wird ihr Sopran doch nie müde, klingt nie scharf oder brüchig, betört auch bis zum Ende mit allen lyrischen Qualitäten.
Das große Ensemble – zum großen Teil hausintern besetzt – spielt und singt sehr engagiert ihre diffizilen Zwölfton-Rollen, die in ihrem Anspruch nicht hinter Bergs „Wozzeck“ und Zimmermanns „Soldaten“ hinterher stehen. Das gilt auch für den von Johannes Köhler als Chordirektor geleiteten Chor.
Stark beeindrucken in der Reihenfolge ihrer Auftritte gesanglich auch im Spiel der Offizier des Tenors Michael J. Scott (Gast), der Advokat des Baritons Levent Bakırcı, der Dichter des Baritons Andreas Beinhauer. Bei den Damen gefallen außerordentlich Svitlana Slyvia als Pförtnerin, Marie-Christine Haase als Sängerin (Gast) und Kristin Ebner als Mutter und Viktoria (Gast).
Aber auch Gerd Vogel in drei Rollen so auch im Quartett der Dekane (Chulhyun Kim, Robert Sellier, Andrii Chakov) überzeugen durchgängig.
Es macht Spaß, solche Ausgrabungen zu erleben. Die lohnen auch eine Anreise. Doch sollte eine Opern-Intendanz vor lauter Begeisterung über die Wiederbelebung seltener Werke in den Spielplän wie an der Oper Halle von Brittens „Sommernachtstraum“ und Händels „Brockes-Passion“ über Abrahams „Viktoria und ihr Husar“ bis zu Paderewskis „Manru“ und Reimanns „Traumspiel“ nicht das populäre Repertoire vergessen. Ein „Rigoletto“ macht noch keinen Opern-Frühling.
Wie zitiert doch einleitend das neue Theatermagazin der Bühnen Halle Peter Zadek: „Manche Kritiker und Theatermacher vergessen genau das: Der Saal muss voll sein.“
Ein Theater vor allem für die Neugier von Theatermachern und Kritikern verliert seine Daseinsberechtigung.
Die Auslastung der Oper Halle (auch der Symphoniekonzerte) bietet da Anlass zu großen Sorgen. Und da lässt sich nicht einfach alles auf Folgen der Corona-Pandemie abwälzen. Wo ist die breite Öffentlichkeitsarbeit in Halle und in Mitteldeutschland einschließlich Leipzig für das Musiktheater in Halle? Flyer an allen öffentlichen Orten in Halle? Kinder- und Jugendarbeit? Enge Kooperationen mit den „Freunden und Förderern“? Es gibt noch Evaluierungs- und Aktionsbedarf.
Dr. Guido Müller, 8. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Paul Abraham, „Viktoria und ihr Husar“, Oper Halle, 21. November 2021