Staatsoper München: Wernickes avantgardistische Elektra-Inszenierung wird 25 Jahre alt

Elektra, Richard Strauss  Bayerische Staatsoper, 27. November 2022

Foto: Elektra 2022 © W. Hösl

Elektra
Tragödie in einem Aufzug – 1909
Komponist   Richard Strauss
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor
Vladimir Jurowski, Dirigent

Bayerische Staatsoper, 27. November 2022


von Dr. Gerald Hofner

Richard Strauss’ Elektra ist schwierig. Nicht einmal Liebe. Viele dunkle Gedanken, Rache und Wut. Übersetzt in die Musik bedeutet das – viele Emotionen. Den Sängerinnen (es ist eine der wenigen Opern mit praktisch ausschließlich weiblichen Hauptrollen) wird großer Tonumfang und noch mehr Lautstärke abverlangt. Lyrische Elemente sind selten. Die Story schien Richard Strauss mit seinem faszinierenden, wenn auch unruhigen Hin und Her zwischen den Resten klassischer Sequenzen und dem Aufbruch in die orchestrale Flächenmusik der Postromantik offensichtlich nahe zu sein.

Diese Elektra wird als Jubiläumsfeier von Herbert Wernickes erfolgreicher avantgardistischer Inszenierung wieder ins Programm der Bayerischen Staatsoper geholt. Und sie bleibt modern und aktuell.

Die letzte Vorstellung dieser Wiederaufnahme war musikalisch eine typische Elektra. Daran ließ Dirigent Vladimir Jurowski keine Zweifel. So wie die Handlung zwischen Wut und Trauer schwebt, so ist auch die Musik zerrissen zwischen kräftigen, stabilen Flächen und schnellen, unkontrollierten Emotionen. Diese Unruhe wurde durch den Dirigenten kaum ausgeglichen. Während die Akkordflächen homogen gelangen, wirkten die schrilleren Sequenzen sogar phasenweise fahrig. Schwierig eben, diese Oper.

Elektra 2022 E. Pankratova © W. Hösl

Die drei grandiosen Sopranistinnen kamen dennoch sicher durch den 100-minütigen Einakter. Es waren dieses Mal sogar die Sängerinnen, die etwas Ruhe in die Musik brachten – trotz der phasenweise mitreißenden Emotionen. Zunächst der Bayreuth-Star Elena Pankratova (Elektra, Sopran), die gerade auch in den wenigen lyrischen Stellen der Oper ihre romantische Ausrichtung unterstrich. Aber auch die beiden Litauerinnen Violeta Urmana (Klytämnestra, Mezzosopran) und Vida Miknevičiūté (Chrysothemis, Sopran). Vor allem Vida Miknevičiūté, die gerade erst in Berlin in gleicher Rolle brillierte, begeisterte mit ihren sicheren und klaren Höhen und ihrem flinken und leichten Spiel, das wir eher aus der klassischen Buffa kennen. Ein Kontrast zu den bewusst schweren zähen Bewegungen der übrigen Rollen.

Elektra 2022 V. Urmana © W. Hösl

Wernickes Chrysothemis stach natürlich auch ansonsten heraus, als einziger Lichtblick in der Tragödie um Rache und Tod. Chrysothemis verkörpert im weißen Brautkleid die Hoffnung auf eine Zukunft in der Liebe. Im völligen Kontrast gegenüber der Schwester Elektra, deren schwarzes Kostüm das Verharren in der dunklen Vergangenheit darstellt.

Elektra 2022 V. Miknevičiūtė © W. Hösl

Farben und Licht sind in der ganzen Inszenierung die vorherrschenden Elemente der Kommunikation. Das lakonische Bühnenbild (mit dem architektonischen Eyecatcher eines diagonal öffnenden zweiten Vorhangs) ließ die gesamte Aufmerksamkeit auf das einzige interpretierfähige Requisit fallen, den Mantel des Agamemnon mit seiner schillernden Seite der königlichen Pracht und der dunklen der Rache.

Die Inszenierung war immer erfolgreich in München, der Geburtsstadt Richard Strauss’. So auch dieses letzte Mal war das Haus voll. Vielleicht, weil eine schwierige Oper nicht auch noch eine überladene Inszenierung braucht. Der Erfolg der letzten 25 Jahre geben Wernicke, der 2002 starb, jedenfalls recht. Es ist vielleicht eine der besten Elektra-Produktionen.

Und sie wird wiederkommen, unverändert und auch unverändert aktuell.

Dr. Gerald Hofner, 28. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Elektra, Staatsoper Unter den Linden, 19. Juni 2022

Elektra, Richard Strauss, Staatsoper Hamburg, 28. November 2021 (PREMIERE)

Richard Strauss, Elektra, Salzburger Festspiele, 1. August 2020

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