Wiener Konzerthaus: Drei junge Künstler mischen das Klassik-Repertoire auf

Emmanuel Tjeknavorian, Dominik Wagner, Christoph Sietzen, Wiener Konzerthaus, 13. Februar 2019

Foto © Lukas Beck
Wiener Konzerthaus
, 13. Februar 2019
Emmanuel Tjeknavorian, Violine
Dominik Wagner, Kontrabass
Christoph Sietzen, Multipercussion

von Julia Lenart

Drei junge Künstler bringen frischen Wind in den Berio-Saal des Wiener Konzerthauses: Emmanuel Tjeknavorian, Dominik Wagner und Christoph Sietzen. Alle drei zählen weniger als 27 Jahre und haben bereits unzählige internationale Preise abgeräumt. Sie werden als aufstrebende Sterne am Klassikhimmel gehandelt und zeigen derzeit ihr Talent in der Konzertreihe des Förderprogramms „Great Talent“ im Wiener Konzerthaus.

Die Besetzung des Abends ist ungewöhnlich: Violine, Kontrabass und Marimbaphon. Beim Blick auf das Programm kommen bei manchem Konzertbesucher Zweifel auf. Kann das funktionieren? Die drei jungen Künstler kommen mit vollem Selbstbewusstsein auf die Bühne, um den Gegenbeweis anzutreten. Sie zeigen bravourös, dass musikalischer Wohlklang auch abseits der vorgeschriebenen Instrumentationen möglich ist. Nicht nur das: es gelingt ihnen, bekannte Werke der Musikgeschichte in ein neues, erfrischendes Licht zu rücken.

Das Konzert eröffnet die zweite der insgesamt drei Gambensonaten von Johann Sebastian Bach. Eigentlich ist das Stück für Viola da Gamba und Cembalo komponiert. Dominik Wagner, der es versteht, den Kontrabass wie ein Cello klingen zu lassen, übernimmt den Gamben-Part. Die Cembalo-Stimme teilen sich Violine und Marimba. Zunächst muss man sich mit den Klangfarben vertraut machen. Es klingt ungewohnt aber dennoch nicht befremdlich. Marimba und Geige verschmelzen teils zu einem Instrument, teils entsteht die Illusion dreier unabhängiger Stimmen. Wenn man sich darauf einlässt, verführt die Musik in wundervolle Klangwelten, abseits des Wohlbekannten. In ihrem jugendlichen Elan gelingt es den drei Musikern, Bachs Werk zum Leben zu erwecken und nicht in die Falle einer öden, technisch sterilen Interpretation abzugleiten. Sie spielen dynamisch (für Kenner der historischen Aufführungspraxis möglicherweise zu dynamisch) und gefühlvoll. Das Publikum ist begeistert.

Es folgt ein großer Sprung – sowohl stilistisch als auch zeitlich. Eine Auswahl aus Glières acht Stücken für Violine und Violoncello stellt Tjeknavorian und Wagner in das Rampenlicht. Die Stücke paaren impressionistische und nationalrussische Elemente, weshalb die Interpretation sowohl Feinfühligkeit als auch brachiales Durchsetzungsvermögen erfordert. Abermals zeigt Wagner, welch feine Klänge er aus dem Kontrabass zaubern kann. Besser könnte es ein Cello nicht machen. Der Interpretation merkt man ihre jugendliche Leichtigkeit an; selbst kräftige Stellen (vor allem Nr. 7 Scherzo) spielen die beiden mit Elan, wie man ihn selten erlebt. Anderenorts fehlt es der Performance leider an Ausdrucksstärke. Besonders die zarten Stellen beherrscht ein zu braves Spiel, das die Emotionalität des Werkes nicht vermitteln kann.

Doch das ist spätestens nach dem nächsten Programmpunkt vergessen. Es folgt Debussys Sonate für Flöte, Viola und Harfe. Abermals kritische Blicke auf die Besetzung, abermals ein glänzender Beweis der Durchführbarkeit. Bereits Debussys Original vermag es, exotische Klangwelten zu schaffen. Tjeknavorian, Wagner und Sietzen setzen mit ihrem Arrangement noch eines drauf. Man möchte diese Besetzung beinahe der ursprünglichen vorziehen. Besonders das Marimba mischt sich herrlich in die Musik. Vielleicht, weil es klanglich an das Gamelan erinnert, von dem sich Debussy bekanntlich inspirieren ließ. Die drei jungen Talente beweisen, wie gefühlvoll und annehmlich sie spielen können, ohne fahl zu wirken, was bei Debussy kein leichtes Unterfangen ist.

Manuel de Falla scheint programmatisch ein logischer Anschluss an Debussy zu sein. Immerhin hat der Spanier sein Handwerk unter anderem bei dem berühmten Franzosen gelernt und sich von ihm inspirieren lassen. Dessen Einfluss lässt de Fallas sechsteilige Suite klar erkennen. Die überaus passende Klangfarbe der Besetzung wirft die Frage auf, warum bisher kein Komponist für diese Besetzung komponiert hat.

Danach überlassen Tjeknavorian und Wagner ihrem Kollegen Sietzen die Bühne. Dieser performt einen Klassiker des klassischen Schlagwerk-Setups: Rebonds B von Iannis Xenakis. Die Faszination des Stückes liegt in seiner mathematisch-technischen Konzeption (Xenakis war nicht nur Komponist, sondern auch Mathematiker und Architekt), die musikalischer klingt, als man es von solcherart Musik erwarten möchte. Obwohl man das Werk inzwischen schon zur Genüge gehört hat (besonders unter Schlagwerkern), begeistert Sietzen mit seiner makellosen Interpretation. Trotz enormer Energie spielt er mit dynamischer Differenziertheit und kitzelt eine Melodiösität aus dem Setup, mit der sich nur wenige Künstler seines Metiers messen können. Für dieses energische Feuerwerk erhält er den größten Jubel des Abends.

Den vorläufigen Abschluss bildet ein Arrangement der Rhapsody in Blue von Wolfram Wagner (der Vater des auf der Bühne brillierenden Kontrabassisten). Es ist ein Wagnis, ein derart bekanntes Orchesterwerk für nur drei Instrumente zu arrangieren. Volle Orchesterklänge lässt die Interpretation missen. Dynamische Differenzierungen gelingen zwar gut, doch das Volumen des Klangkörpers fehlt. Die genaue Nachahmung des Originals ist aber ohnehin nicht im Sinne der Interpretation. Es geht darum, neue Klangwelten zu erschaffen und neue Möglichkeiten der Interpretation zu erschließen. Die virtuose Ausarbeitung des Stückes meistern die drei Künstler mit technischer Finesse. Sie zeigen noch einmal ihr gesamtes musikalisches und technisches Können. Abermals ist es die Klangfarbe des Marimbaphons, die herrlich in das Stück passt – fast besser als das Klavier.

Eine Zugabe darf nicht fehlen, auch wenn diese sich eher wenig zielgeleiteter Experimentierfreude entlädt, als dem Abend einen würdigen Abschluss zu gönnen. Sietzen packt nach über zehn Jahren sein Zweitinstrument, den Kontrabass, aus, um mit seinen Kollegen Georg Kreislers Liebesleid darzubieten. Ein netter, aber nicht sonderlich passender Einfall. Es wirkt mehr wie ein Scherz, den sich die drei in musikalischem Übermut erlaubt haben. Überhaupt ist das Auftreten der drei noch von einer jugendlichen Leichtigkeit beherrscht. Das schafft eine angenehme Atmosphäre, zumal die kleinen Scherze den Abend auflockern. Manchmal ist es jedoch ein bisschen zu viel des Guten.

Nichtsdestotrotz ist es ein gelungener und abwechslungsreicher Abend. Tjeknavorian, Wagner und Sietzen mischten das klassische Repertoire – das gar nicht so klassisch war – auf. Wer zuvor der Meinung war, ein Trio aus Violine, Kontrabass und Marimbaphon sei ein Ding der Unmöglichkeit, der wurde eines Besseren belehrt. Die drei jungen Künstler bewiesen, dass Klassik mehr kann, als nur zu reproduzieren, was man ohnehin schon kennt. Bravo!

Julia Lenart, 14. Februar 2019, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de

Johann Sebastian Bach, Sonate Nr. 2 D-Dur BWV 1028 (Arr. Sietzen, Tjeknavorian, Wagner)
Reinhold Moritzewitsch Glière, Auszug aus Acht Stücke für Violine und Violoncello op. 39 (Arr. Sietzen, Tjeknavorian, Wagner)
Claude Debussy, Sonate für Flöte, Viola und Harfe (Arr. Sietzen, Tjeknavorian, Wagner)
Manuel de Falla, Suite populaire espangnole (Arr. Thomas Kassung)
Iannis Xenakis, Rebonds B
George Gershwin, Rhapsody in Blue (Arr. Wolfram Wagner)

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert