Wiener Staatsoper, 16. Juni 2020: „AH, LÈVE-TOI SOLEIL“ – Ensemblemitglieder singen Szenen aus französischen Opern
Foto: Wiener Staatsoper – Zuschauerraum.© Michael Pöhn
Auch wenn es die bereits 2. Veranstaltung der Rezensentin in der Wiener Staatsoper nach der verhängnisvollen (Zwangs-)Pause seit Mitte März ist, so ist man sich der historischen Dimension dieser Juni-Konzerte trotzdem bewusst. Noch nie gab es so intime „Privat-Abende“ in diesem Haus – nur für 100 allerschnellste der schnellsten Kartenkäufer. Voraussichtlich kann man diese besondere Situation irgendwann den erstaunten Ur-Enkeln erzählen. Natürlich bin ich mit Begeisterung und Leidenschaft dabei – der Hunger nach Kunst und Kultur ist auf jeden Fall viel, viel größer als jegliche Angst vor Infektionen und Krankheit. Trotzdem hätte man dem Ensemble einen Abschied vor einem ausverkauften, laut jubelnden Haus von ganzem Herzen gewünscht; schließlich kann die (Weiter-) Entwicklung vieler dieser Künstler bis an die Weltspitze auch an diesem Abend wieder mit Genuss beobachtet werden.
Auch wenn das beste Orchester der Welt, die Wiener Philharmoniker, fehlen, erfolgt die musikalische Begleitung mit viel leidenschaftlicher Hingabe am Bösendorfer-Flügel auf sehr hohem Niveau. Die Pianistin Cécile Restier ist seit 2012 Solorepetitorin am Haus und kann auch auf langjährige Erfahrung in dieser Tätigkeit in Frankfurt, Amerika, Spanien und Frankreich zurückblicken.
Mit einem Blumensträußchen in der Hand eröffnet Rachel Frenkel als Siébel den Konzertabend mit „Faites-liu mes aveux“ aus Faust. Eindringlich beschwört die Sängerin aus Israel die Blumen, dass diese der angebeteten Marguerite die innige Liebe gestehen und einen süßen Kuss schicken mögen. Die hohen Mezzo-Töne klingen klar und innig – Frau Frenkel konnte in dieser Rolle auch schon 2017/18 in der Bühnenfassung positiv auffallen.
Jinxu Xiahou.
Am 17.6. hätte Jinxu Xiahou an der Seite von Domingo sein Debüt als Ismaele gegeben. Corona-bedingt singt er stattdessen am Vorabend erstmals den Roméo und dessen heldenhafte Kavatine „Ah, lève-toi soleil“. Ergreifend-romantische Töne fließen bei der warmen Stimme des Tenors nur so und das zart gezeichnete Portrait des leichtsinnigen Verliebten gelingt vorzüglich. Der Chinese lächelt auch an den schwierigeren Stellen unentwegt und bei diesem süßen Liebesgeständnis muss wohl jede Juliette schwach werden.
Auch das dritte Stück „Que fais-tu, blanche tourterelle“ stammt aus Gounods Feder und Svetlina Stoyanova als Page Stéphano sucht den Herrn Roméo aus dem Hause der Montaigue am Beginn sogar unter dem Klavier. Besonders die Mittellage des Mezzos ist mit Wohlklang ausgestattet und das Spott-Lied an die verfeindeten Capulets endet, indem die Bulgarin frech die Zunge zeigt.
Als nächstes tritt eine effektvolle Daniela Fally als Olympia aus „Les contes d´Hofmann“ auf. Die Arie „Les oiseaux dans la charmille“ konnte das Wiener Publikum bereits im Mai/Juni 2014 in der Wiener Staatsoper mit der Niederösterreicherin erleben und wieder kann sie mit perfekt-abgestimmter Mimik und Gestik das beeindruckende Koloraturen-Feuerwerk anstimmen. Wenn die Automatik der Puppe hängt, muss die Frau am Klavier mit der Fernsteuerung aushelfen oder mit ihrem Fuß fest aufstampfen. Sogleich erhebt sich die zusammengesunkene Sopranistin erneut mit glucksenden Lauten und Augengeklimper und dreht – wieder lebendig geworden – eine steife Pirouette, um mit glasklarer Höhe fortzufahren. Man merkt, wieviel Spaß die Künstlerin bei dieser Darbietung hat, und die 100 Gäste mit ihr.
Ebenfalls in derselben Aufführungs-Serie des „Hofmann“ zu sehen und zu hören war Stephanie Houtzeel als Nicklausse und auch dieses Ensemble-Mitglied bleibt wie Fally dem Haus am Ring in der nächsten Saison treu erhalten. Kraftvoll vorgetragen erleben wir den lyrischen Mezzo mit „Vois sous l´archet frémissant“. Auch ab September bleibt die Deutsch-Amerikanerin im Ensemble am Haus am Ring.
Es geht weiter mit Offenbachs berühmtester Oper: die gefühlvolle Klavier-Einstimmung führt uns ins Venedig um 1800. Fast glaubt man, die Wellen zu hören, als Margaret Plummer und Valeriia Savinskaiai m Glitzer-Look als Engeln der Nacht – langsam im Takt der Musik – auf die Bühne kommen und mit einer harmonisch-abgestimmten „Barcarolle“ verzaubern können.
Danach wird es beim Klavier-Solo hochdramatisch, bevor Samuel Hasselhorn mit Stimmkraft, schön-geschwungenen Legato-Bögen und sehr hohem Bariton Abschied von Don Carlos (und der Welt) nimmt. Sein Rodrigue kostet bei „C´est moi, Carlos“ auch den letzten hohen Ton sehr lange aus, ehe der Tod des idealistischen Marquis eintritt.
Eines der schönsten Duette zwischen Tenor und Bariton schenken uns Jinxu Xiahou und Orhan Yildiz aus der selten gespielten Bizet-Oper „Les Pêcheurs de Perles“. Der Chinese beginnt als Nadir das hymnische „Au fond du temple saint“ mit Höhensicherheit und der türkische Bariton als Zurga besiegelt kraftvoll die Freundschaft und gleichzeitig die Liebe zur göttlich-reinen Léila – gut abgestimmt mit gefühlvoller Klavier-Begleitung. Xiahou präsentiert sich wieder in Höchstform und die treuen Wiener Begleiter der Jahre seit September 2012 wünschen ihm eine weiterhin glanzvolle Karriere.
Das „Carmen“-Programm beginnt eine der besten Interpretinnen der Titelrolle der letzten Jahre (für mich unvergesslich im Jänner 2018 an der Seite von Piotr Beczala!): Margarita Gritskova im Zigeuner-Style mit feurig-rotem Rock, tiefem Dekolleté und einer roten Blume im Haar. Verführerisch, provozierend und vokal überzeugend – diese Séguidilla „Près des remparts de Séville“ hat nur einen Nachteil: es ist viel zu kurz – nach meinem Geschmack.
Auch Clemens Unterreiner konnte sich schon in der Wiener Zeffirelli-Inszenierung als Escamillo profilieren. Im spanischen Look mit roter Rose im Knopfloch und edlen Glitzerschuhen zeigt sein „Votre toast“ einen idealen Stierkämpfer mit Stimmgewalt und Ausdruck – auch – als Verführer. Man lauscht gespannt seinen Erzählungen und zum Schluss ist ihm Kampf und Sieg gewiss – seine Freude steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Valentina Nafornita. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Nachdem Don Josés „Zukunft“ von der Bühne geht, erscheint dessen „Vergangenheit“ – ein blasses, unschuldiges Dorfmädchen, das mit warmer, weicher Stimme ihre Angst in „Je dis que rien ne m´épouvante“besingen soll.
Zuletzt interpretieren Zoryana Kushpler, Margaret Plummer, Bryony Dwyer, Leonardo Navarro und Igor Onishchenko „Nous avons en tête une affaire“. Das Quintett aus „Carmen“, beginnend mit dem jungen, ukrainischen Bariton Oninshchenko als Dancaïro ist ein würdiger Schluss-Punkt des Konzertes mit Ausschnitten aus französischen Opern.
Daniela Fally überreicht beim finalen, heftigen Applaus eine große Schokoladen-Packung an die exzellente Cécile Restier und das Publikum sagt mit langem Klatschen ein herzliches „MERCI“ an die 17 Künstler.
Susanne Lukas (onlinemerker.com), 17. Juni 2020