Strandrecht © Silke Winkler
Das Mecklenburgische Staatstheater blickt mit Ethel Smyths „Strandrecht“ in Abgründe
Jegliche Abscheulichkeit durch Gott zu legitimieren – das tun Menschen, seitdem es Religionen gibt. Ob die Verbrecher selbst daran glauben oder „nur“ ihre Mitmenschen dadurch zu Straftaten anzustiften versuchen, ist im Ergebnis egal. Zu einer Zeit, in der ein strafrechtlich verurteilter Psychopath US-Präsident werden kann, das Überleben eines Attentats durch Gottes Hand erklärt und damit eine angestrebte Diktatur als gottgewollt rechtfertigt, ist die Oper „Strandrecht“ von Ethel Smyth hochaktuell. Hier morden und berauben Menschen wehrlose Schiffbrüchige und sehen sich im Recht – weil Gott es ihnen angeblich erlaubt.
Ethel Smyth, Strandrecht (Originaltitel: The Wreckers)
Mark Rohde, Dirigent
Daniela Kerck, Inszenierung
Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters
Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin
Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin, Premiere am 7. Februar 2025
von Dr. Andreas Ströbl
Lächerliche 2% machen auch auf heutigen Spielplänen die Werke von Komponistinnen aus, von Frauen, die mindestens ebenso talentiert waren oder sind, wie ihre männlichen Kollegen. Glücklicherweise werden mehr und mehr dieser begabten Künstlerinnen (wieder-) entdeckt; man muss eben einfach deren Werke aufführen und sie wirken lassen.
Engagierte Frauenrechtlerin, zu Unrecht vergessene Komponistin – und ein düsterer Stoff
Seitdem Judith Lebiez Operndirektorin am Mecklenburgischen Staatstheater ist, weht auch diesbezüglich in Schwerin ein frischer Wind, und so feierte (im besten Wortsinne) die dramatische Oper „Strandrecht“ von Ethel Smyth am 7. Februar 2025 dort unter der Regie von Daniela Kerck umjubelte Premiere. Smyth war ebenso leidenschaftliche Frauenrechtlerin, wie Tonsetzerin – George Bernhard Shaw gehörte zu ihren Förderern und dem war ihr Geschlecht egal. Das turbulente Leben dieser faszinierenden Frau verdient einen eigenen Beitrag; an dieser Stelle sei schlichtweg mal das Interesse für sie geweckt!
Der Inhalt der Oper eröffnet menschliche Abgründe, denn es ist historische Tatsache, dass an Cornwalls felsiger Küste bewusst warnende Leuchtfeuer gelöscht wurden, um Kapitäne in die Irre und damit in den Schiffbruch zu führen. Die armen Bewohner sahen sich aufgrund ihrer Notlage im Recht, sich an Ladung und persönlichem Besitz der Schiffbrüchigen zu bereichern und die Überlebenden kaltblütig umzubringen. Als „Wreckers“, also Strandräuber, Wrackmacher oder Zerstörer wurden sie berüchtigt.
In der Oper gibt es einerseits die bigotten Dorfbewohner, die frömmelnd in die Kirche rennen, wo ihnen ihr scheinheiliger Pastor Pasko die Absolution für ihr verbrecherisches Tun erteilt – er beruft sich auf das Alte Testament, wo „in Canaan ganze Völker geschlachtet“ wurden und treibt es auf die Spitze, mit seinem Ausruf „Dem Schöpfer zu Ehren fließe Blut!“
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Gegen diese perverse Legitimation spricht das Gewissen des Fischers Mark und seiner Geliebten Thurza, ausgerechnet der Ehefrau des Pastors. Sie zünden immer wieder Feuer an, um die Besatzungen der Schiffe zu warnen, Kurs weitab der gefährlichen Küste zu halten. Damit versiegt die unmoralische Einnahmequelle. Die eifersüchtige Avis, Marks frühere Gefährtin, hetzt aufgrund eines falschen Verdachts gegen den Pastor als den heimlichen Warner und Verräter, es kommt zu einem an Hexenprozesse erinnernden Tribunal in einer Schmugglerhöhle. Um keinen Unschuldigen sterben zu lassen, bekennt das Liebespaar sein Tun, und die selbstgerechten Dörfler sperren sie in der Höhle ein, bis die Flut sie ertränkt.
Gelungene Umsetzung knallharter Dramatik
Diese finstere Geschichte erhält in Schwerin entsprechenden Raum, denn die Bühne von Hannah König ist eine Art dunkler, kalter Bunker mit anthrazitfarbenen Betonwänden. Die stimmungsvollen Video-Einspielungen und Projektionen von Astrid Steiner wirken wie aus einem alten Schwarz-Weiß-Film. Nun sind großformatige Videos mit Meereswogen in den letzten Jahren immer wieder auf Opernbühnen zu sehen, aber hier schaffen sie besonders wirkungsvoll eine düstere, stürmische Atmosphäre; dazu ist oft die sturmumtoste Landschaft zu sehen, zu Beginn auch eines der zum Zerschellen verdammten Schiffe.
Auch die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer sind fast durchweg kohlrabenschwarz gehalten, Farbtupfer bringen lediglich die Kleider der beiden antagonistisch agierenden Damen in die gespenstische Dunkelheit. Die meisten Dorfbewohner tragen wetterfeste Kleidung, die bei den Frauen ein bisschen an Latex-Mode aus der SM-Szene erinnert.
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Ungestüm wie das Meer ist auch die phantastische, hochdramatische Musik, und wer jetzt glaubt, die 1858 geborene Komponistin sei zwingend eine Wagner-Epigonin, täuscht sich. Tatsächlich hat man zum Ende des ersten Akts eine „Holländer“-Matrosenchor-Assoziation, aber diese Tonsprache ist völlig eigenständig und ungemein vielfarbig, auch durch eine lebhafte Instrumentierung.
Die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin unter GMD Mark Rohde spielt die aufwühlende Musik voller Leidenschaft, ohne effekthascherisch zu sein. Die Handlung ist ja bitterernst und genau das bringt der Klangkörper makellos zum Ausdruck.
Der von Aki Schmitt geleitete Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters singt exakt, machtvoll und zuweilen beängstigend in seiner drohenden Fülle.
Das Schlimme an der ganzen Szenerie ist, dass sich sämtliche Personen völlig im Recht fühlen, was einen großen Teil der Spannung in den Dialogen und Massenszenen ausmacht. Enorme emotionale Kraft bringt das Liebespaar in das sinistre Spiel, Karis Tucker als Thurza und Marius Pallesen als Mark machen stimmlich und schauspielerisch den enormen sozialen Druck spürbar, der auf ihnen lastet; sie liefern hervorragende solistische Leistungen ab. Karen Leiber ist weit mehr als eine giftende Verschmähte; sie verleiht ihrer Avis durch nuancierte Dynamiken und hochaktives Spiel einen vielschichtigen Charakter. Dass Pastor Pasko auch menschliche Seiten hat, wird durch die beeindruckende Darstellung von Brian Davis beklemmend erlebbar, der ihn mal donnern lässt, mal angreifbar zeigt.
Eine Hosenrolle ist Jack, dem Martha-Luise Urbanek freundlich-jugendliche Stimme verleiht; das anteilnehmende Wesen des Jungen gibt sie eindrücklich wieder.
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Ob es der hast schon hysterisch-besessene Einpeitscher Harvey (Joa Helgesson) ist, sein aggressiver Schwager Lorenz (Martin Gehrke) oder der derbe Wirt Tallan (Sebastian Köppl) sowie der namenlose Dorfbewohner (Jaewon Kim) – diesen Figuren geben die Solisten greifbare Gestalt; insgesamt fruchtet hier eine detaillierte Personenregie.
Es gibt wunderschöne Einfälle und atmosphärisch starke Bilder, wie die einsame kugelförmige Fackel, die im Bühnenhintergrund hängt und möglichst lange brennen möge, um Leben zu retten. Die Taschenlampen, mit denen die Dörfler ein lebhaftes Lichtspiel in die Höhle zaubern, werden anschließend zu Kerzen, die sie wie in einem Prozessionszug der spanischen Inquisition in Händen halten, bevor sie Mark und Thurza zum Tode verurteilen.
Eine erlösende Überraschung ist das Ende der Handlung in Schwerin, weil der gute Jack heimlich die Fesseln der Liebenden löst – sein Gewissen hat gesiegt. Solche Jacks braucht die Welt gerade jetzt und vor allem aufrechte Menschen, die sich nicht verführen lassen, mögen die Demagogen auch von Gott faseln.
Der Dramaturg und Musikjournalist Bernd Feuchtner scheibt, „The Wreckers ist großartig für die Sänger, für die Musiker, für die Kasse, für das Publikum – wenn es denn die Gelegenheit erhielte, die Oper zu hören“. Diese Gelegenheit gibt es seit dem 7. Februar in Schwerin; die nächsten Vorstellungen sind am 9., 14. und 22. Februar. Man sollte sie sich nicht entgehen lassen.
Dr. Andreas Ströbl, 8. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Photos: Silke Winkler und Irmin Kerck
Besetzung:
Marius Pallesen, Tenor
Karis Tucker, Mezzosopran
Karen Leiber, Sopran
Brian Davis, Bariton
Martha-Luise Urbanek, Mezzosopran
Martin Gehrke, Bariton
Sebastian Köppl, Tenor
Joa Helgesson, Bariton
Jaewon Kim, Bariton