“The Wreckers” oder Mad Max im Schiffsbunker

Ethel Smyth, The Wreckers, Lyrisches Drama in drei Akten  Badisches Staatstheater, Karlsruhe, 13. Oktober 2024

 © Felix Grünschloß (Badisches Staatstheater Karlsruhe)

Ethel Smyth (1858-1944) ist den wenigsten ein Begriff. Sie war eine willensstarke Frau. Ihre musikalische Ausbildung erzwang sie von ihren Eltern mittels Hungerstreik. Sie setze sich aktiv für Frauenrechte ein, wodurch sie sogar einige Tage im Gefängnis verbrachte. Ihre Komposition “The March of the Women” wurde zur Hymne der englischen Frauenbewegung. Zur Oper kam sie hauptsächlich auf Anregung des russischen Komponisten Pjotr I. Tschaikowski. “The Wreckers” (Die Strandräuber) ist ihr bedeutendste Bühnenwerk. Es wird von manchen Spezialisten als Bindeglied zwischen Purcell und Britten bezeichnet.

Ethel Smyth
THE WRECKERS
Lyrisches Drama in drei Akten
Libretto: Henry B. Brewster

Musikalische Leitung  Georg Fritzsch
Inszenierung  Keith Warner
Bühne  Tilo Steffens
Kostüme Julia Müller, Verena Polkowski

Badische Staatskapelle
Badischer Staatsopernchor und Extrachor (Einstudierung:  Ulrich Wagner)

Badisches Staatstheater, Karlsruhe, 13. Oktober 2024

von Jean-Nico Schambourg

Das Staatstheater in Karlsruhe hat eine besondere Beziehung zu Ethel Smyth. Der langjährige Musikdirektor Hermann Levy (von 1864-1872) war sehr angetan von ihrer Messe in d-moll und riet ihr zum Komponieren von Opern an. Felix Mottl, Hofkapellmeister und Generalmusikdirektor, während fast 25 Jahren in Karlsruhe tätig, unterstützte die Uraufführung ihrer Oper “Fantasio” in Leipzig (1898) und führte sie 1901, zwar ohne großen Erfolg, auch in Karlsruhe auf. Aber der Anfang war getan. 1903 wurde als erstes Werk einer Frau an der Metropolitan Opera in New York ihre Oper “Der Wald” aufgeführt. Es sollte bis Dezember 2016 das einzige Werk einer weiblichen Komponistin sein.

Die Pläne für die Oper “The Wreckers” (Die Strandräuber) schwirrten schon einige Zeit in ihren Gedanken. Die Erzählungen aus Cornwall faszinierten Smyth und so bat sie ihren engsten Vertrauten, Henry Brewster, ihr ein Libretto zu erstellen. Da Komponistin und Librettist frankofon erzogen worden waren, verfasste Letzterer das Libretto in französischer Sprache unter dem Titel “Les naufragés”.

Nachdem sich die Pläne einer Uraufführung am Londoner Covent Garden unter der Leitung des französischen Komponisten André Messager zerschlagen hatte, legte Smyth das Werk der Oper in Leipzig, wo sie ihre musikalische Ausbildung genossen hatte, vor. Hier kam es zur triumphalen Uraufführung in deutscher Sprache, wobei die Verantwortlichen ohne Wissen von Smyth massive Eingriffe in die Partitur vornahmen. Aus Verzweiflung hierüber entwendete sie nach der zweiten Aufführung die Noten aus dem Orchestergraben und reiste aus Leipzig ab.

Zurück in England überarbeitete sie in Zusammenarbeit mit dem englischen Dirigenten Sir Thomas Beecham die Partitur, die dann am 22. Juni 1909 erstmals am Londoner “His Majesty’s Theater” aufgeführt wurde. Es ist diese Version, die das Staatstheater Karlsruhe jetzt auf seine Bühne bringt, als deutsche Erstaufführung der englischen Originalfassung, der einzigen von der Komponistin autorisierten Version.

 In ihrer postromantischen Komposition hat Smyth viele Assoziationen mit anderer Musik verknüpft: In der Ouvertüre schimmert Wagners “Fliegender Holländer” durch, die Verführungsarie der Avis erinnert an Carmen, das große Duett zwischen den Liebenden Thirza und Mark an Tristan und Isolde.

Der Chor nimmt hier eine zentrale Rolle ein, sind sie doch alle Strandräuber. Der Badische Staatsopernchor und Extrachor (Einstudierung: Ulrich Wagner) erfüllt diese Aufgabe mit beeindruckendem schauspielerischem Engagement und gesanglicher Qualität. Die Chorpassagen fügen sich in die Tradition englischer Chormusik ein. Besonders in diesen Momenten kann man den Einfluss der Komposition von Smyth auf den “Peter Grimes” von Benjamin Britten spüren.

Der große Erfolg dieser Aufführung in Karlsruhe gebührt sicherlich dem Dirigenten Georg Fritzsch, der die Badische Staatskapelle im Graben zu berauschenden Klangwelten anregt und dem Publikum ein musikalisches Erlebnis serviert. Ob in den großen Ensemble-Szenen oder intimeren Momenten oder auch im Orchesterzwischenspiel hat der Dirigent ein feines Händchen, um diese aufregende Musik von Smyth dem Zuhörer aufzuzeichnen.

Auch die einzelnen Interpreten tragen zu dem Publikumserfolg bei. Der leuchtende Mezzosopran von Dorothea Spilger setzt sich spielerisch über die Klangwellen des Orchesters hinweg und weiß auch im Liebesduett die glühende Liebe von Thirza zu Mark auszudrücken. Dieser wird von Brett Sprague mit sicherem Tenor der anglosächsischen Schulung gesungen.

Kihun Yoon als Thirzas Ehemann und Anführer der Strandräuber Pascoe verleiht diesem seinen dunklen Bariton, mit der er dessen Gewaltbereitschaft und -herrschaft hervorragend hervorhebt. Martha Eason als Avis drückt mit jugendlich klarem Sopran ihre kindliche, nicht erhörte Liebe zu Mark und der daraus entstehenden Eifersucht aus. Ihr Vater Lawrence wird von Ks. Armin Kolarcyk mit großer Stimme vorgetragen. Ebenso beeindruckend ist Liangliang Zhao als Priester Harvey. Florence Losseau als Jack und Ks. Klaus Schneider als ihr Vater Tallan passen sich perfekt in das hohe Niveau der Besetzung ein.

© Felix Grünschloß (Badisches Staatstheater Karlsruhe)

Für den Regisseur Keith Warner ist die Geschichte nicht zeitgebunden. Er verlegt die Handlung in die Zukunft, in einen Bunker (Bühne: Tilo Steffens): Aufgrund des Klimawandels ist die Erde unbewohnbar geworden. Außerhalb der Schutzräume kann man nur mit Gasmaske überleben. Die Menschen leben und überleben vom Strandgut gekenterter Schiffe. In dieser prekären Überlebenssituation schrecken sie auch nicht vor Mord zurück, um an die Güter zu kommen. Im Gegenteil: Sie locken die Schiffe absichtlich gegen die Felsen und sehen darin eine göttliche Fügung. Zu ihren schrecklichen Taten werden sie vom Pfarrer und Anführer Pascoe regelrecht angespornt. Sie sind das von Gott auserwählte Volk. Erschreckend stellt man fest, dass dies die Darstellung vergangener und aktueller Demagogen und derer blinden Gefolgschaft ist.

Die Kostüme von Julia Müller und Verena Polkowski sind ein Sammelsurium des Strandguts, das die Bevölkerung vorfindet. Von barocken Abendkleidern zu aktueller Jugendbekleidung: Alle fügen sie sich ein in das apokalyptische Bild à la “Mad Max”, das Warner von dieser Menschengruppe zeichnet. Für ihn ist klar:

 “We are the wreckers” (Wir sind die Standräuber).

Jean Nico Schambourg, 15. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Thirza         Dorothea Spilger
Pascoe        Kihun Yoon
Mark           Brett Sprague
Avis             Martha Eason
Lawrence  Ks. Armin Kolarcyk

Ethel Smyth, The Wreckers  (Oper) Konzertante Aufführung Philharmonie Berlin, 25. September 2022

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert