Georg Zeppenfeld: „Ich halte mich nicht für einen reinen Wagner-Sänger“

Exklusiv-Interview Georg Zeppenfeld  Klassik-begeistert.de

Foto: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Exklusiv-Interview mit dem Bass  Georg Zeppenfeld – Teil 2

von Jolanta Łada-Zielke

Wir haben uns in der Staatsoper Hamburg unterhalten, wo sich Georg Zeppenfeld gerade in der Rolle des Landgrafen Hermann in der neuen Tannhäuser-Inszenierung von Kornél Mundruczó hervorgetan hat. Der Bassist hat bereits so viele Wagner-Rollen gesungen, dass man ihn fast ausschließlich mit diesem Komponisten verbindet. Obwohl ich Wagner selbst liebe, wollte ich wissen, ob eine solche Assoziierung für einen Sänger nicht einschränkend sei.

klassik-begeistert: Herr Zeppenfeld, Sie haben schon viele Wagner-Rollen gesungen (Fasolt, Landgraf Herrmann, König Marke, König Heinrich, Hunding, Veit Pogner, Hans Sachs, Daland und Gurnemanz) und man bezeichnet Sie bereits als „Wagner-Sänger“. Haben Sie keine Angst davor, dass man Sie in eine solche „Schublade“ stecken würde?

Georg Zeppenfeld: Diese Sorge habe ich durchaus. Deshalb wehre ich mich gegen diese Bezeichnung. Ich weiß auch nicht, was man heute unter „Wagner-Sänger“ verstehen soll. Vor dreißig Jahren hat man im Wagner-Repertoire andere Stimmen als meine erwartet. Wie gesagt, meine ist
a priori lyrisch. Ich arbeite mehr mit Farben und Linien, mit einer gewissen Geschmeidigkeit und stimmlichen Eleganz, die ich nicht verlieren möchte. Für Wagner-Gesang ist das alles sehr angebracht und ich sehe in den Partituren, dass man es einfach braucht. Vor einigen Jahrzehnten benötigte man für Wagners Werke eine große, stämmige Stimme, um jedes Orchestergetöse übertönen zu können. Die wichtigste Voraussetzung der Bassstimmen war auch eine gewisse „Schwärze“. Ich habe schon gute 25 Jahre auf der Bühne verbracht und bin mir sicher, dass ich davon genügend mitbringe, um dieses Repertoire gut singen zu können. Das ist aber für mich nicht alles und reicht mir nicht aus. Deswegen würde ich unter Wagner-Sänger einen solchen verstehen, der vieles anderes dafür aufgegeben hat, was ich nicht aufgeben möchte. Die Farbigkeit ist mir viel wichtiger und ich bin sehr froh, dass man sie heute beim Wagner-Gesang akzeptiert und sogar verlangt. Daher haben sich die Zeiten und die Ansichten der Dirigenten geändert. Für mich ist ein solches Berufsleben interessanter, in dem man sich nicht auf 2-3 Komponisten konzentriert, sondern ein breites Repertoire abbilden kann. Solange ich singen kann, möchte ich eine Gelegenheit dazu haben. Deshalb halte ich mich nicht für einen reinen Wagner-Sänger.

klassik-begeistert: In welchem ​​Opernhaus fühlen Sie sich am wohlsten? Ist das die Semperoper Dresden?

Georg Zeppenfeld: Auf eine bestimmte Art ist sie es schon, weil ich die dortigen Kollegen sehr gut kenne und weil ich da zu Hause bin. Ich kenne dieses wunderbare Orchester und freue mich immer darüber, in diesem schönen Gebäude mit hervorragender Akustik zu singen. Ich trete auch gerne in München auf, wo die Akustik ähnlich gut, aber ganz anders ist. Das Orchester klingt ebenfalls anders, obwohl seine Qualität genauso hoch ist. Ich bin inzwischen auch sehr gerne hier, wo wir uns gerade unterhalten: in Hamburg. Die Akustik ist hier etwas widerständiger als in München oder in Dresden. Dies ist insofern gut für mich, weil ich mich bei der Arbeit daran erinnere, was ich gelernt habe. In solch einer „trockenen“ Akustik muss man „lupenrein“ und  mit gut fokussiertem Ton singen, um keine Schwierigkeiten mit der Größe des Raums zu bekommen. Das ist ein gutes Training. Ich habe den Eindruck, man geht von Hamburg immer fitter weg, als man hergekommen ist. Wenn man aus Bayreuth kommt, ist man verdorben, weil das Festspielhaus quasi jeden Ton trägt. Die Vielfältigkeit der Möglichkeiten und Bedingungen, unter denen man entsprechend agieren muss, macht einen guten Teil des Reizes aus, den der Sängerberuf für mich hat.

klassik-begeistert: Welchen Platz nehmen die Oratorien in Ihrem Repertoire ein?

Georg Zeppenfeld: Das hat sich mit der Zeit sehr geändert. Zu Beginn habe ich sehr viele Konzerte, hauptsächlich in Kirchen gesungen. Dann kam die Oper. Wenn man in diesem Bereich Erfolg hat, ist man sehr mit Beschlag belegt. Die Gelegenheiten werden rar, an Konzertaufführungen teilzunehmen, und dieses Genre wird einem auch nicht mehr unbedingt zugetraut. Ich habe früher viel Barockmusik gemacht, darunter italienische aus der Monteverdi-Zeit, mit einem Vokalensemble. Das hatte mit Wagnergesang nichts zu tun. Ich habe mich erst später dahin weiterentwickelt. Heute wird mir äußerst selten mal eine Bach-Passion angeboten. Wenn man genug Wagner-Partien erfolgreich gesungen hat, wird man eben vor allem damit in Verbindung gebracht. In den letzten 2-3 Jahren habe ich an keinem Passionskonzert teilgenommen. Das liegt ebenfalls daran, dass ich zu Ostern oft im „Parsifal“ besetzt werde und dann terminlich gebunden bin. Konzertstücke, für die ich öfter angefragt werde, sind die „Missa solemnis“, Haydns „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“, die 8. Symphonie von Mahler oder etwa „Das Buch mit den sieben Siegeln“ von Franz Schmidt, also Stücke mit großer Besetzung, für die man operntaugliche Stimmen braucht.

© Bayreuther Festspiele /Enrico Nawrath

klassik-begeistert: Und die Lieder?

Georg Zeppenfeld: Zu dem Lied bin ich während des Lockdowns 2020 zurückgekehrt, als die Opernhäuser geschlossen waren und ich plötzlich viel Freizeit hatte. Während des Studiums habe ich natürlich Lieder gelernt. Der Liedgesang ist aber für einen Bassist problematisch. Es gibt zu wenige Lieder, die für Bass komponiert wurden; meistens sind sie von hoher oder mittlerer Stimme transponiert. Man kann aber wegen  der erforderlichen Transparenz und Modulierbarkeit des Klavierklangs her nicht beliebig weit heruntertransponieren. Infolgedessen muss ein Bassist im Liederrepertoire fast ständig in sehr hoher Lage singen, was für einen Studenten ziemlich schwierig ist. Dies war für mich keine zielführende Angelegenheit und deswegen habe ich die Lieder zunächst gemieden. Erst jetzt habe ich gemerkt, wieviel besser ich mit diesem Repertoire klarkomme. Im Alter von 54 habe ich meine erste „Winterreise“ gesungen. Das war eine sehr schöne Erfahrung und ich habe vor, am Lied weiterzuarbeiten.

klassik-begeistert: Wie hat sich – Ihrer Meinung nach – das Arbeitsklima unter Künstlern nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine verändert?

Georg Zeppenfeld: Ich kann gar nicht sagen, dass sich das Arbeitsklima viel verändert hat. Das ist einer der Gründe, warum ich die Arbeit in einem Opernhaus so sehr liebe. Es herrscht dort ein großes Maß an Toleranz und man hat eine große Vorliebe dafür, die Dinge differenziert zu betrachten. Im Opernbusiness, vor allem unter Sängern, ist mir noch nicht begegnet, dass jemand schief angeguckt wird, weil er oder sie russischer Herkunft ist, oder dass es zu Feindseligkeiten zwischen russischen und ukrainischen Künstlern gekommen wäre. Die Ressentiments halten sich in Grenzen, obwohl man in der Branche sehr viel über „geschasste“ Dirigenten und nicht eingeladene Solisten hört. Für uns Sänger spielt es, nach meiner Wahrnehmung, keine Rolle. In der letzten Produktion in Dresden, an der ich teilgenommen habe, gab es eine belarussische und eine russische Kollegin und ukrainische Musiker. Die Zusammenarbeit hat wunderbar funktioniert, ohne irgendwelche Stigmatisierung. In der Oper trennen wir zwischen der Nationalität eines Menschen, für die er nichts kann, und dem, was gerade politisch geschieht.

klassik-begeistert: Sie haben Pimen in Mussorgskys „Boris Godunov“ gesungen. Diese Oper kann eine Art Metapher für die gegenwärtige Situation sein, obwohl sich Russland in diesem Werk in einer schlechten Lage befindet. Aber ich würde gerne eine Neuinszenierung davon sehen, mit Ihnen in der Titelrolle. Können Sie sich das vorstellen?

Georg Zeppenfeld: Der Boris ist eine typisch „russische“ Basspartie. Das heißt, sie liegt sehr hoch und ist dramatisch akzentuiert. Im Moment eignet sich Pimen für mich besser, aber wenn man nicht gerade die von Rimski-Korsakov vervollständigte und orchestrierte Fassung spielen will, wäre Boris Godunov auch in Reichweite. Die Frage ist, ob man mich in dieser Rolle hören will. In dieser Oper geht es um einen Usurpator und um den Verdacht einer Kernschuld, die in der Vergangenheit liegt. Der Usurpator versucht skrupellos, die Macht an sich zu reißen. Das Thema ist auch heute sehr interessant, ich glaube jedoch nicht, dass es bald zu einer neuen Inszenierung von „Boris Godunov“ kommt. Aufgrund der letzten Ereignisse haben im Moment russische Stücke nicht die besten Karten, was eigentlich schade ist.

klassik-begeistert: Was betrachten Sie als Ihren größten bisherigen Erfolg? Die Verleihung des Titels Kammersänger der Sächsischen Staatsoper Dresden oder die Entwicklung einer Charaktereigenschaft?

Georg Zeppenfeld: Was das Repertoire betrifft, habe ich von meinen Anfängen mit der alten Musik bis heute eine ziemlich große Entwicklung durchschritten. Das war ein weiter Weg, aber bislang – toi, toi, toi – ist meine Stimme immer noch gesund, ihre Möglichkeiten sind gewachsen und sie wachsen noch weiter. Das deutet daraufhin, dass die Entwicklung meiner Stimme diesen Repertoirewechsel gut verkraftet hat. Die Stimmtechnik befähigt mich zur Darstellung eines breitgefächerten Repertoires und ich genieße dieses Privileg. Ein großer Gewinn ist auch der, dass mich meine Familie immer noch mag (lacht). Zwar bin ich mehr zu Hause als manche Kollegen, weil ich in Dresden einen ausgedehnten Vertrag (über fünf Monate pro Jahr) habe. Es ist aber trotzdem erstaunlich, dass meine Familie all die Verwicklungen mitgetragen hat, die es in der Vergangenheit gegeben hat. Ich kenne viele Sänger, bei denen sich das Berufsleben mit der Familie nicht vereinbaren lässt. Umso dankbarer bin ich meinen Verwandten für ihre Liebe und Verständnis.

Jolanta Łada-Zielke: Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

klassik-begeistert.de 12. Mai 2022

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