"Es muss nicht immer schön klingen" – Die Geigerin Fabiola Kim spricht über ihr Debütalbum und das Finden des eigenen Weges

Fabiola Kim, Münchner Symphoniker, Kevin John Edusei, 1939  CD-Besprechung und Interview

CD-Besprechung und Interview

Fabiola Kim: Violine
Münchner Symphoniker
Dirigent: Kevin John Edusei

„1939“

erschienen bei Solo Musica

William Walton: Violinkonzerert in h-Moll
Karl Amadeus Hartmann: Concerto Funèbre für Violine & Streichorchester
Béla Bartók: Violinkonzert No. 2 in B-Dur, Sz.112

von Guido Marquardt

Fabiola Kim, US-Amerikanerin mit koreanischstämmigen Eltern, hat sich mit ihren 28 Jahren bereits einiges Renommee als Violinistin erarbeitet. In einem musikalischen Haushalt aufgewachsen, begann sie das Geigenspiel mit viereinhalb Jahren. Examiniert wurde sie an der renommierten Juilliard School in New York, mittlerweile unterrichtet sie auch selbst. Diverse Wettbewerbssiege später und nach Projekten in den USA, Südkorea und Europa, hat Fabiola Kim nun ihr Debütalbum vorgelegt.

Und das ist direkt ein ordentlicher Brocken! Violinkonzerte von William Walton, Karl Amadeus Hartmann und Béla Bartók hat sie eingespielt, gemeinsam mit den Münchner Symphonikern unter Kevin John Edusei. „1939“ ist das Album betitelt. Damit geraten natürlich viele Saiten ins Schwingen: Vordergründig nur den Zeitpunkt benennend, an dem alle drei eingespielten Werke komponiert wurden, ist es zugleich das Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg begann.

Wie unterschiedlich die persönlichen Lebenssituationen von Walton, Hartmann und Bartók im Jahre 1939 waren und wie sie jeweils mit den historischen Entwicklungen umgingen, ist eine Frage – eine andere ist die, welchen Niederschlag dies in den jeweiligen Werken gefunden hat.

Walton: Romantisch, aber unverkitscht

Waltons neoromantisches Violinkonzert in h-Moll bildet den Auftakt. Es ist hier für eine Solistin diffizil auszubalancieren, die von Melancholie, Wehmut, aber auch einem grundsätzlichen Optimismus getragenen Melodien gefühlvoll, aber unverkitscht zu spielen. Kim gelingt dies mit einer makellosen Technik ganz ausgezeichnet. Der Musik ist anzumerken, dass Walton auch Erfahrung als Komponist von Filmmusik gesammelt hat; wenige Jahre später sollte er für drei der berühmten Shakespeare-Verfilmungen von Laurence Olivier die Soundtracks beisteuern.

Hartmann: Kein musikalisches Method Acting

Hätte man aus Waltons Werk noch ableiten können, dass es schon nicht so schlimm kommen werde im Jahr 1939, hört man dann dem Concerto Funèbre sehr deutlich die Trauer und Verzweiflung Hartmanns an. Mit einem Komponisten in der inneren Emigration, ist dieses grüblerische Werk ein eindrucksvolles Zeugnis tiefster Niedergeschlagenheit. Kim und die Münchner Symphoniker schaffen es, die deprimierte Grundstimmung kongenial zu transportieren. Harte und schroffe Töne lassen nur gelegentlich ein paar zarte Ansätze der Hoffnung durchschimmern – hier aber kein „Method Acting“ auf der Geige draufzusetzen, sondern ebenso präzise wie kühl diesen musikalischen Verzweiflungsschrei einzuspielen, gelingen Solistin und Ensemble ganz hervorragend.

Bartók: Pointierte Rhythmen

Es muss Béla Bartók besonders hart getroffen haben, dass er bei seiner steten Suche nach einer volksmusikalischen Verankerung der Kunstmusik mit einer zunehmend enger ausgelegten nationalistischen und schließlich faschistischen Kulturpolitik konfrontiert wurde. Also mit genau der Übersteigerung des Traditionsbezugs, die er eben gerade nicht beabsichtigte. Bartóks rhythmisch durchgezeichnetes, immer wieder mit der Zwölftonmusik flirtendes, letztlich aber deutlich tonales Violinkonzert No. 2 in B-Dur bietet all die schroffen Kontraste, die man von diesem Komponisten kennt. Auch hier forcieren Kim und Orchester nicht, schmieren aber auch nichts mit harmonischer Sauce zu, sondern bleiben pointiert und arbeiten die tänzerischen Elemente dieser Musik wunderbar heraus. Bartók gehört zu Fabiola Kims absoluten Favoriten – man merkt’s.

Insgesamt ist dieses Album eine echte Tour de Force über anderthalb Stunden. Das ist ein Debüt, das zum einen die Bandbreite der Fabiola Kim verdeutlicht, zum anderen aber auch direkt klarmacht, dass ihr jede Anbiederung im Sinne einer „Wohlfühlklassik“ fern liegt und sie auf vordergründige Vibrato-Effekte oder angeberisches Schnellspielen leicht verzichten kann.

Es muss nicht immer schön klingen“ –  Ein Gespräch mit Fabiola Kim

Klassik begeistert-Autor Guido Marquardt hatte im Juli Gelegenheit, mit Fabiola Kim zu sprechen, die sich privat in Hamburg aufhielt. Auf die Minute pünktlich und gut gelaunt erschien sie zum Interview.

Klassik begeistert: Fabiola, auf Ihrem Instagram-Account zitieren Sie Vladimir Nabokov: „Neugier ist Ungehorsam in seiner reinsten Form.“ Könnte das auch als Motto für die Themenfindung zu „1939“ dienen, oder wie entstand die Idee für Ihr Debütalbum?

Fabiola Kim: (Lacht) Tatsächlich kam das eher zufällig. Ich beschäftigte mich mit dem Bartók-Konzert, das ich schon sehr lange liebe und dachte, „1939 wurde das komponiert, ein markantes Jahr – was entstand da denn sonst noch so?“ Es ist ja nun ein sehr dunkles Jahr gewesen, aber zugleich wurden damals in den USA großartige Filme wie „Der Zauberer von Oz“ oder „Vom Winde verweht“ gedreht. Diesen Kontrast fand ich spannend. Dann kam ich auf Waltons Konzert, ein üppiges, romantisches Stück und schließlich bekam ich den Tipp mit Hartmann. Sein Stück kannte ich zuvor gar nicht, aber es berührte mich sehr.

Wie ging es dann weiter – wussten Sie schon, wie unterschiedlich die Komponisten in dieser Zeit gelebt hatten und hat das Ihre Annäherung an deren Werke beeinflusst oder war es eher umgekehrt so, dass Ihnen die Stücke etwas über die Komponisten verraten haben?

Fabiola Kim: Es ist recht offensichtlich, wie unterschiedlich der Charakter dieser Stücke ist. Zum Beispiel Hartmanns Verzweiflung und auch den kleinen Hoffnungsschimmer am Ende hört man dem Werk selbst an. Ich habe dann auch ein wenig recherchiert, einzelne Harmonien aus den Stücken gespielt und so fügte es sich irgendwann zusammen.

Walton komponierte sein Konzert für Jascha Heifetz, Bartók seines für Zoltán Székely. Als Künstlerin, inwiefern berücksichtigen Sie diese Widmungen; beschäftigen Sie sich dann auch mit Heifetz und Székely in der Vorbereitung?

Fabiola Kim: (Lacht) Oh, das könnte mich in Depressionen stürzen – aber natürlich ist es relevant, wem ein Stück gewidmet wurde. Besonders wenn es auch Aufnahmen dazu gibt, wie von Heifetz. Interessanterweise fand er das Stück ja zunächst nicht schwer genug … und klar, ich befasse mich schon mit seiner Spielweise, aber ich würde niemals versuchen, es wie er zu spielen oder mich ständig zu fragen, „was würde Heifetz tun?“ Am Ende muss jeder Interpret seinen eigenen Zugang zu einem Stück finden.

„Jeder muss seinen eigenen Weg finden“

Sie äußerten mal, es sei für Sie besonders interessant, modernere Stücke zu spielen, weil es dafür nicht derart viele Referenzeinspielungen gebe …

Fabiola Kim: … Ja genau. Wir haben einen so großen Zugang zu Informationen heutzutage, zu alten Aufnahmen etc. Viel mehr als die großen Interpreten der Vergangenheit, die da unbefangener herangehen konnten. Das fehlt mir heute manchmal, nicht nur in der Musik. Es ist natürlich schön, sich in eine Traditionslinie stellen zu können, aber man darf darüber nicht seinen eigenen Weg vernachlässigen. Und auch wenn es bereits exzellente Aufnahmen des Walton- oder Hartmann-Konzerts gibt, spürte ich doch mehr Freiheit als beispielsweise bei einer Schubert- oder Schumann-Einspielung.

Sind Sie irgendwann an den Punkt gekommen, sich zu fragen, wie wohl andere Komponisten sich 1939 verhalten und was sie in der Zeit komponiert hätten? Beethoven zum Beispiel, wenn man etwa an die Werk- und Widmungsgeschichte der „Eroica“ denkt?

Fabiola Kim: Oh, Beethoven wäre definitiv interessant gewesen, er war ja seiner Zeit auch weit voraus. Schumann hätte mich auch interessiert … aber wirklich Gedanken darüber habe ich mir nicht gemacht, so spannend das auch wäre. Interessante Frage jedenfalls.

„Musiker sind privilegiert“

Und wie ist es mit Ihnen selbst? Wenn Sie sich vorstellen, wie Sie das Jahr erlebt und sich verhalten hätten – spielt es da eine Rolle für Ihre musikalische Beschäftigung mit den drei Werken, wie nah oder fern Sie sich den Komponisten persönlich und politisch fühlen?

Fabiola Kim: Absolut, vor allem bei Hartmann. Und wenn ich sehe, wie er seine Verzweiflung mit den Mitteln der Musik ausdrücken, aber auch wieder aus ihr herausfinden konnte, wird mir klar, wie privilegiert wir Musiker sind.

Wie war die Atmosphäre bei den Aufnahmen von „1939“; wie lief es mit dem Orchester und dem Dirigenten? Vorher hatten Sie ja erst ein Mal zusammengearbeitet.

Foto: © Christine Schneider

Fabiola Kim: Das hätte ich mir nicht besser wünschen können, es hat von Anfang an funktioniert. Es gibt auch Orchester, die an ein solches Projekt herangehen à la „okay, eine weitere Aufnahmesession, dann ziehen wir das halt durch“. Aber die Münchner Symphoniker haben sich wirklich sehr engagiert. In einer Pause saß ich mit Kevin Edusei zusammen, wir wollten uns einige Takes anhören – und mit uns im Raum waren 20, 30 Musiker, die genauso gespannt waren. Wir hatten ja wirklich ein paar sehr lange Tage während der Aufnahmen, aber wir sind hervorragend miteinander klargekommen, und ich habe einige neue Freunde gefunden.

Wie sind Sie in die Aufnahmesessions gegangen – gerade da es von diesen Konzerten eben nicht so viele Aufnahmen zuvor gab? Haben Sie erst Ihre Version gespielt, dann das Orchester seine und man trifft sich irgendwo in der Mitte, oder wie kann man sich das vorstellen?

Fabiola Kim: Wir haben uns aufeinander zubewegt. Das war ein Lernprozess, und manchmal haben wir wirklich mehrere Versionen probiert und dann die beste genommen – oder uns in der Mitte getroffen.

Die Stücke auf „1939“ zeichnen sich ja durch extreme dynamische Kontraste aus. Wie ist das eigentlich rein körperlich, was ist anstrengender: Hart, schnell und laut zu spielen oder pianissimo und weich?

Fabiola Kim: Definitiv sind die weichen, zarten Passagen schwieriger. Es braucht mehr Kontrolle, Hingabe und Geduld dafür. Man kann damit auch viel mehr Klangfarben zeigen, als wenn es nur plakativ und laut ist.

Gerade für das Bartók-Konzert benötigt man ja ein ausgeprägtes Rhythmus-Gefühl. Wie ist das, bringen Sie sich in eine spezielle Stimmung, um solch ein Stück zu spielen?

Fabiola Kim: Das ist einfach eine Frage von Erfahrung und Spielpraxis. Bartók ist eigentlich Folk und natürlich Tanzmusik. Das ist gar nicht so aggressiv. Ich habe mich viel auch mit seinen anderen Werken befasst und mag Bartók wirklich sehr, und mit zunehmendem Verständnis seiner Tonsprache fiel es mir immer leichter, ihn zu spielen.

„Vibrato ist kein Sound“

Mir hat ja sehr gefallen, wie Sie bei Bartók und vor allem auch bei Walton die Gefahr einer zu „romantischen“ Spielweise vermieden haben …

Fabiola Kim: … Ja, das wird leider oft gemacht – viele Leute mögen einen satten Vibrato-Sound, mögen ein warmes und schönes Klangbild. Aber das würde eben nicht zu diesen Stücken passen. Ich unterrichte ja inzwischen auch, und ich sage meinen Schülerinnen und Schülern immer: Es muss nicht alles schön klingen! Vibrato allein ist kein Sound!

Der zweite Satz in dem Walton-Konzert hat die eigentümliche Spielanweisung „presto capriccioso alla napalotina“. Wie haben Sie das aufgefasst, und ist das vielleicht sogar eine Brücke zu Bartók mit seinen Vorstellungen von Folklore?

Fabiola Kim: Ja, es gibt sehr viel tänzerische Elemente in diesem Satz. Da sind schon einige Ähnlichkeiten zu Bartók.

Wenn Sie die Atmosphäre der drei Konzerte jeweils nur mit einem Wort beschreiben sollten, welches wäre das jeweils?

Fabiola Kim: (überlegt lange): Ich würde sagen, Bartók ist volkstümlich, Walton ist romantisch und Hartmann … das ist wirklich schwer, aber ich würde sagen: am Boden zerstört.

Spielte es für Sie eine Rolle, dass Bartók eigentlich ein viel kürzeres Stück im Sinn hatte, ungefähr wie der zweite Satz allein?

Fabiola Kim: Bartóks erstes Violinkonzert geht in diese Richtung. Das ist eher schöne Musik, und so ist hier im zweiten Konzert auch der zweite Satz. Der erste ist sicherlich charakteristischer für dieses Konzert. Und er ist sehr anspruchsvoll für alle Beteiligten. Ich habe das Konzert mal gespielt, als mein Freund an den Percussions stand. Was der dort allein zu leisten hat, ist unglaublich! Der erste Satz ist einfach richtig harte Arbeit.

„Meisterwerke aus Cremona“

Das klingt jetzt hoffentlich nicht zu esoterisch, aber Sie spielen ja eine Stradivari …

Fabiola Kim: … von 1733, ja …

und sind selbst 1991 geboren. Also, sowohl Sie als auch die Stradivari kommen aus einer ganz anderen Zeit als 1939. Was würden Sie sagen: Spielt es eine Rolle, wenn man auf einem Instrument spielt, das so viel älter ist als die Musik, die auf ihm gespielt wird?

Fabiola Kim: Ich glaube, dass der Geigenbau bzw. die Instrumente sich nicht so stark verändert haben wie die Musik, die auf ihnen gespielt wird. Aber diese alten Violinen aus den Meisterwerkstätten in Cremona sind so grenzenlos einsetzbar, und sie tragen einige Geheimnisse in sich, die sie anscheinend so universell einsetzbar machen. Ich möchte nicht darauf verzichten.

„Alan Gilbert weiß genau, was er will“

Sie haben bereits mit Alan Gilbert zusammengearbeitet, der in der kommenden Spielzeit neuer Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters sein wird. Was dürfen wir von ihm erwarten hier in Hamburg?

Fabiola Kim: Er ist eine sehr starke Persönlichkeit. Ich bin sehr gut mit ihm klargekommen, sowohl als Solistin als auch als Orchestermusikerin. Er hat uns so viel beigebracht – über Schönberg und Mozart und darüber, was sie gemeinsam haben, zum Beispiel. Er konnte uns wirklich die unterschiedlichen Sprachen der Musiker vermitteln. Und er weiß ganz genau, was er will und sagt das sehr direkt. Das mag ich!

Sie haben auch schon in der Berliner Philharmonie gespielt und kennen die Unterschiede zwischen Weinberg- und Schuhschachtel-Konzertsälen. Wie würden Sie diese Unterschiede beschreiben?

Fabiola Kim: Weinberg-Säle sind lebendiger, der Schall wird überall reflektiert und man kann seine Bewegung sehr direkt miterleben. Und vor allem kommt der Sound sozusagen zurück zu dir auf die Bühne, das mag ich sehr.

Als Solo-Violinistin sind Sie ja im Konzertsaal besonders exponiert …

Fabiola Kim: … ja, nur ich und die Violine. Da ist man extrem verletzlich.

„Auf jeden Fall ein Solo-Album“

Welche Pläne haben Sie, welche Projekte kommen als nächstes? Gibt es eine Chance, Sie in Deutschland zu sehen?

Foto: © Christine Schneider

Fabiola Kim: Ich möchte gern ein Album für Violine solo aufnehmen. Vom Repertoire bin ich da sehr offen, von Prä-Bach bis zu zeitgenössischer Musik. Und dann unterrichte ich ja nun auch, das gibt mir sehr viel zurück. Da möchte ich auf jeden Fall die Balance zwischen Unterricht und Auftritten halten, zumal ich einige wirklich sehr, sehr begabte Nachwuchstalente in Los Angeles und auch in Michigan unterrichte.
Im November/Dezember habe ich zwei Auftritte in Berlin und München. Und ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr wieder nach Deutschland komme; ich würde gern das Bartók-Konzert spielen.

Fabiola Kim, ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit „1939“ und alles Gute für die Zukunft. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Fabiola Kim: Vielen Dank, sehr gern!

Fabiola Kims nächste Konzerttermine in Deutschland:

30.11.2019 Klavierwerkstatt, München
01.12.2019 Piano Salon Christophori, Berlin

Das Gespräch zwischen Fabiola Kim und Guido Marquardt fand in englischer Sprache statt. Übersetzung der Fragen und Antworten: Guido Marquardt

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