Tannhäuser 2023, Bayreuther Festspiele © Enrico Nawrath
Viel zu schnell gehen die Bayreuther Festspiele auch 2023 leider schon wieder zu Ende. Zeit, einmal die zahlreichen Stärken und wenigen Schwächen auf dem Grünen Hügel zu reflektieren.
von Peter Walter
Sternstunden gab es letztes Jahr schon viele, dieses Jahr noch mehr:
- Katharina Wagners Nase für Neues
Die Verantwortlichen hatten dieses Jahr auf einige künstlerische Experimente gesetzt. Das gehört absolut dazu und darf auch mal schief gehen. Aber Katharina Wagner scheint ein richtig fein gestimmtes Ohr für neuen KünstlerInnen zu haben: Die Namen Oksana Lyniv, Elisabeth Teige oder nun Nathalie Stutzmann waren vorher – wenn überhaupt – nur in Insider-Kreisen ein Thema, nun halten sie die musikalischen Leuchttürme dieses Hauses fest mit hoch im Himmel. Weiter so!
- Die Umbesetzungen
Ganze 11 Hammerpartien – darunter vier Titelpartien – wurden in den Wochen und Monaten vor der Premiere teilweise sehr kurzfristig umbesetzt. Von Elīna Garančas Kundry bis hin zu Günther Groissböcks Landgraf zeigt sich: In Bayreuth singt selbst die Einspringer-Besetzung alle anderen Häuser in Grund und Boden. Das ist die wahre Klasse dieses Hauses!
- Nathalie Stutzmann
Auch die zweite Dirigentin der Festspielgeschichte, Nathalie Stutzmann, verdient eine eigene Lobeshymne. Einfach unglaublich, was sie aus diesem Tannhäuser rausholt. Ihr Orchester schwebt auf dem Pilgerchor und flirrt im schimmernden Schein des Venusbergs. Das Ganze klingt wahrhaftig nach einer Tannhäuser-Sinfonie, die der beste Tannhäuser der Welt, Klaus Florian Vogt, nun begleiten darf. Und wieder einmal muss sich der Wagner-Gott Christian Thielemann sehr warm anziehen…
- Die Aussichten für die nächsten drei Festspiele
Wo sollen wir anfangen? Vielleicht bei Camilla Nylunds Isolde oder Klaus Florian Vogts Siegfried nächstes Jahr? Bei den neuen Meistersingern mit dem Zeppenfeld als Sachs und dem sich selbst als Baritenor bezeichnenden Michael Spyres als Stolzing ? Spannendere Aussichten hat es wohl kaum je gegeben… Moment, bis auf die Nachrichten bezüglich 2026. Dann werden ALLE 10 Bayreuth-Werke PLUS Rienzi gespielt. Hochspannende Jahre stehen uns auf dem Grünen Hügel bevor.
- Die Diskussionen rund um den Valentin-Schwarz-Ring
Auch im zweiten Jahr ist der Regie-Buh-Orkan für das Valentin-Schwarz-Team zurück. Denn dieser Ring wird auch durch Nachbesserungen nicht schlüssiger. Aber es ist wie der Kratzer-Tannhäuser: Zehnmal lieber so eine strittige, nicht sehr gut rezipierte Inszenierung, über die sich alle furchtbar gerne aufregen, als eine museumswürdige Otto-Schenk-Produktion. Die Pausendiskussionen sind so lebhaft wie schon lange nicht mehr, so lebt die Werkstatt Bayreuth! Könnte Schwarz sich nicht nach jeder Vorstellung dem Publikum stellen? Dann würden die Buh-Rufe einfach Teil der Inszenierung werden…
- Stephen Gould beendet seine Karriere
Jahrelang war der US-Amerikaner Stephen Gould DER Tristan schlechthin, für die musikalische Exzellenz dieses Hauses hat er Einzigartiges geleistet. Der langjährige Weltstar hat nicht nur in Bayreuth Großartiges gesungen.
Ende August hat der erkrankte Tenor Stephen Gould seine Bühnenkarriere für beendet erklärt.
Stephen Gould schreibt in seinem Statement, er habe mit der Offenlegung seiner tödlichen Krankheit bis zum Ende der Bayreuther Festspiele gewartet, um die „enormen und heldenhaften Anstrengungen“ des Bayreuth-Teams nicht zu behindern. Weiters sagt er: „Ich habe nichts als Freude und Bewunderung für das immerwährende Streben der Werkstatt nach Exzellenz.“
Nun gab es leider auch einige Aspekte, die weniger erfreulich liefen:
- Die Sanierungsarbeiten
Schon letztes Jahr hatte ich hier einiges zu bemängeln. Aber ist ja nur ein Aufzug, 2023 wird alles wieder gut werden… denkste. Über einem Jahr nach Beginn der Arbeiten ist der längst überfällige Lift immer noch nicht nutzbar. Die gute Nachricht: Die Galerie rechts ist wieder geöffnet. Aber ganz ehrlich, ich fand die nackt verputzten, nicht gestrichenen Wände im Foyer sind wirklich kein schöner Anblick. Ebenso wenig die überputzt schwebenden Stromleitungen im Aufgang zur Galerie.
- Der Tristan 2023
Die diesjährigen Festspiele wimmelten nur so von herausragender musikalischer Exzellenz. Mit einer Ausnahme: Tristan und Isolde. Clay Hilley scheint den Tristan noch nicht ganz geknackt zu haben, auch Catherine Foster blieb leider weit hinter den Erwartungen zurück. Aber nächstes Jahr steht mit Andreas Schager und Camilla Nylund eine neue Traumbesetzung auf dem Spielplan. Im Januar gibt Klaus Florian Vogt sein Tristan-Debüt, auch ihm steht Camilla Nylund als Isolde zur Seite. Das große Schager-Vogt Fernduell ruft…
- Die Gastronomie
Sorry, aber 3,50€ für eine – naja, ganz akzeptable – Laugenbreze auf die Hand ist einfach zu teuer. Wäre es selbst, wenn man sie in einer vergoldeten Silberschüssel servieren oder mit Kaviar überbacken würde. Abgesehen davon ist das gastronomische Angebot auch qualitativ verbesserungswürdig. Und bei den doch teils sehr lang andauernden Vorstellungen und Pausen ist das Essen hier eher eine Notwendigkeit als alles andere. Das geht in Verona deutlich besser!
- Der Geräuschpegel im Publikum
Nein, hiermit meine ich nicht die Buh-Rufe, ich meine vielmehr die Geräusche während der Vorstellung. Erstens: Es wurde einfach zu oft an den falschen Stellen geklatscht. Sorry, Applaus steht einfach nicht in den Schlussakkorden der Götterdämmerungs-Partitur. Und selbst während der Aufzüge: Es ist einfach dauernd irgendwas los. Mal quatscht jemand hier, mal fällt ein Programmbuch dort krachend zu Boden. Jede Person im Publikum kann da mal ganz tief in sich gehen, ob Michael Volles triumphierender Holländer nun wirklich auch noch mit einem Handy-Duett singen soll.
Und wie war jetzt der Sommer ohne Thielemann? Ganz ehrlich, so viele Sternstunden wie 2023 gab es schon noch lange nicht mehr auf dem Grünen Hügel. Aber man hätte ihn trotzdem gebraucht. Zum Beispiel als Tristan-Dirigent. Aber die bereits bekannten Teile der nächsten drei Spielpläne sind mehr als vielversprechend. Seien wir alle gespannt, was da musikalisch auf uns zukommt!
Peter Walter, 10. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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