Fidelio, Staatsoper Hamburg © Arno Declair
FIDELIO
Ludwig van Beethoven
Musikalische Leitung Kent Nagano
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Inszenierung Georges Delnon
Bühne Kaspar Zwimpfer
Kostüme Lydia Kirchleitner
Licht Michael Bauer
Video fettFilm
Dramaturgie Klaus-Peter Kehr, Johannes Blum
Chor Eberhard Friedrich
Don Fernando Han Kim
Don Pizarro Leigh Melrose
Florestan Matthew Polenzani
Leonore Jennifer Holloway
Rocco Franz-Josef Selig
Marzelline Narea Son
Jaquino Daniel Kluge
1. Gefangener Dae Young Kwon
2.Gefangener Christian Bodenburg
Staatsoper Hamburg, Großes Haus, 16. November 2023
von Iris Röckrath
Endlich besuche ich nach längerer Zeit wieder eine Fidelio-Aufführung. Bekannt ist mir das Werk aus vielen Jahren Opernmusik. Als 20-Jährige durfte ich im Orchestergraben „Wer ein holdes Weib errungen“ mit dem damaligen Alsterspatzen-Chor mitsingen. Auf der Bühne sangen René Kollo und Hildegard Behrens und vor mir als Dirigent stand Christoph von Dohnányi.
Als ich 10 Jahre alt war, durfte ich meinen ersten unvergesslichen Fidelio erleben mit Anja Silja als Leonore, Lucia Popp als Marzelline, Theo Adam als Don Fernando und dem damaligen Florestan Richard Cassilly. Dieser Ausnahme-Fidelio wurde damals von Arthaus verfilmt und ist auf YouTube nachzuhören und -sehen.
Die Premiere mit Nikolaus Harnoncourt am Pult 1998 ist auch noch in guter Erinnerung.
Ich war daher sehr gespannt auf den Opernabend vom 18. November 2023. Mein Eindruck von dieser Vorstellung war am Ende ein anderer als bei einem klassik-begeistert-Beitrag. Man könnte meinen, wir hätten in unterschiedlichen Aufführungen gesessen.
Die FAZ schrieb nach der Premiere 2018 als Überschrift: „Dieser Fidelio ist eine Katastrophe. Dass es schiefgehen wird mit Ludwig van Beethovens ‚Fidelio‘ – und zwar restlos –, das kann man schon in der Ouvertüre ahnen, wenn auch nicht gleich am Anfang.“ Dem schließe ich mich nahezu an.
In der gut besuchten interessanten Einführungsveranstaltung im Foyer des zweiten Ranges habe ich mitgenommen, dass es Beethoven im Fidelio um den Freiheitsgedanken, um die Hoffnung auf eine bessere Welt geht. Eine Feieroper soll es sein – eine Revolutionsoper!
Ging es bei dem Gedanken der Freiheit auch um die künstlerische musikalische Freiheit der Aufführung? Es scheint so, allerdings im Sinne von Leidenschaftslosigkeit, Langeweile und Undifferenziertheit zwischen Orchestergraben und Bühne. Die Ausdrucksarmut wurde im großen Finale wieder wettgemacht durch rasante Tempi (Allegro ma non troppo steht in der Partitur), in denen jede/r sang bzw. musizierte wie er oder sie wollte.
Das Orchester eilte voraus, der Chor versuchte im „Wer ein holdes Weib errungen“ sein Bestes, hinterherzukommen und durch zu viel an Lautstärke zu kompensieren. Der arme Florestan stand dazwischen und verlor seine Partie unterwegs, nahm dann aber tapfer einen neuen Anlauf, und beim Schlusston waren alle wieder vereint.
Das Publikum allerdings in dem kaum zur Hälfte gefüllten Zuschauerraum war am Ende begeistert. Meine Begleitung, der der Abend auch gefallen hat, meinte am Ende, vielleicht wäre es besser in eine Oper zu gehen, die man noch nicht kennt, dann merkt man nicht, was alles schiefgegangen ist.
Zu Beginn öffnete sich ein trister grauer Vorhang, zeigte eine Schreibmaschinenschrift: „Ich hatte einen Traum. Es war ein Alptraum“ – um sich nach einigen Sekunden bereits wieder zu schließen. Und nach einer emotionslosen Leonoren-Ouvertüre öffnete er sich wieder und zeigte eine bürgerliche Stube, die in dieser Inszenierung alle Szenen beinhaltet. Stube, Gefängnishof, Kerker und Schlussszene.
Die „humorvolle“ Eifersuchtsszene zu Beginn zwischen Jaquino und Marzelline war in dieser Darbietung eher unangenehm anzusehen, da der Jaquino (mit klarer schöner Stimme) eher böse wirkte – den hätte ich auch nicht heiraten wollen.
Das wunderbare Quartett „Mir ist so wunderbar“ sang jeder vor sich hin ohne jeglichen Spannungsbogen. Es klang etwa so, als wenn die vier Personen vorher nicht mit dem Orchester geprobt hätten. Dabei gab es sehr schöne wohlklingende Einzelstimmen zu hören.
Narea Son ist eine wunderbare leuchtend klar singende Marzelline und der sonore väterlich klingende Bass von Franz Josef Selig rührt und wärmt das Herz.
Der Gefangenenchor sieht nach Tagen oder Wochen das Tageslicht wieder „O welch ein Licht“ singt der Herrenchor mit gesunden Stimmen. Da ist kein Erstaunen, keine Hoffnung, es ist nicht zu spüren, welches Schicksal sich hinter der Szene verbirgt. Die zwei Soli waren hervorragend besetzt. Dae Youn Kwon und Christian Bodenburg sangen mit Textverständlichkeit und Inbrunst ihre kurzen aber prägnanten Partien! Nach dem Auftritt schlendert der Herrenchor gemütlich ab – vielleicht gibt es gleich in der Kantine ein Bierchen? Für mich eine absurde bis keine Personenführung.
Jennifer Holloway debütiert einsam und verlassen vor dem grauen Bühnenvorhang, beleuchtet durch einen Scheinwerfer. Sie darf kurz den unvorteilhaften Mantel, in dem sie wohl männlich aussehen soll, aus- und wieder anziehen. Stimmlich wird sie erst im zweiten Teil richtig warm und singt dann auch sehr leuchtend, überzeugend und kräftig.
Florestan aus der Zinkbadewanne oder sargähnlichem Gefäß dem Tode nah schmettert mit gesunder voller metallischer Stimme sein „Gott“ – „er haut die Arie hin“ würde meine Mutter sagen. Jeder Ton sitzt heldentenoral und makellos, aber die Arie berührt mich nicht.
Und ich bleibe zurück: zutiefst traurig über eine provinzielle Aufführung mit guten bis sehr guten Sängern und Sängerinnen in meiner Hamburger Oper. Von einer Revolutionsoper war die heutige Aufführung weit entfernt.
Iris Röckrath, 19. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ludwig van Beethoven, Fidelio Staatsoper Hamburg, 16. November 2023
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