Foto: La Calisto, Christiane Karg, Anna Bonitatitbus © W. Hoesl
Nicht nur Barockfans sollten die Chance nutzen, dieses Barockhighlight live mit außergewöhnlich grandioser Stimmenpracht zu genießen. Eine Wucht. Ein Genuss. Wundervoll. Das meint das Publikum an diesem Abend einhellig. Stürmischer jubelnder Applaus für alle Beteiligten!
La Calisto von Francesco Cavalli
Melodramma tragico in vier Akten Dramma per musica – 1651
Libretto Giovanni Faustini
Neuausgabe für die Bayerische Staatsoper von Álvaro Torrente 2005 In italienischer Sprache
Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, München, 19. März 2023
von Frank Heublein
An diesem Abend wird Francesco Cavallis Oper La Calisto in München aufgeführt. Es ist ein barockes Repertoirestück der Bayerischen Staatsoper der aus Barockfansicht goldenen Ära Sir Peter Jonas’. Francesco Cavalli beginnt seine Karriere als Sopran im Chor der Kirche San Marco in Venedig. Deren Leiter ist Claudio Monteverdi.
An diesem Abend höre ich sechs Stimmen, die am Haus debütieren, drei Gäste, die dem Haus bereits länger verbunden sind und ein Ensemblemitglied. Diese zehn Stimmen machen diesen Abend für mich zu einem barocken Stimmereignis. Jede Stimme hat seine persönliche Nuance, allen gemeinsam ist die präzise stimmliche Klarheit eigen, der mich innerlich jubilieren lässt. Ich mag alle zehn Stimmen gerne wieder und häufiger hören und erleben.
Der Giove des heutigen Abends ist der, der die gegenwärtige Bayerische Staatsoper am besten kennt. Bass Milan Siljanov ist über die Ausbildung am hiesige Opernstudio zum Ensemble gestoßen. Seine Stimme ist durchdringend und satt im Klang. Damit bringt er das Zu-bestimmen-gewohnt-sein und zugleich Lüsterne seiner Figur sehr gut zur Geltung. Er hat eine „hohe“ Herausforderung. Denn in Gestalt der Diana singt er äußerst stabil in eigentlich für einen Bass zu hohen Registern.
Der Götterbote und getreuer Begleiter Gioves ist Mercurio. Bariton Nikolay Borchev singt diese Rolle erfüllungsgehilfen-entschlossen-kräftig. Er ist ebenfalls ein Absolvent des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, doch hat er das Ensemble der Oper mittlerweile verlassen.
Sopran Roberta Mameli singt die Giunone emotional, dynamisch und energiegeladen. Sie zeigt ihr Können erstmals an der Bayerischen Staatsoper. Ihr Götterehegatte Giove betrügt sie mit „der nächsten“ Nymphe. Sie rächt sich, indem sie Calisto in eine Bärin verwandelt. „Putta sfacciata, e rea, credi fuggire / degl’adulteri tuoi sozzi e nefandi / i castighi sovrani, e memorandi? (Schamlose, böse Buhle, glaubst du etwa, dem Strafregister, den Züchtigungen der höchsten Obrigkeit für deine ehebrecherischen Frevel zu entgehen?). Das ist fies, denn Giove verführt Calisto in Form der Diana. Und wer bekommt die Strafe ab? Die arme Calisto!
Die richtige Diana interpretiert Mezzosopranistin Teresa Iervolino mit dem im Vergleich zu allen anderen Frauenstimmen etwas dunklerem Timbre. Das passt gut zu der herben Göttin der Jagd. Erst empört sie sich gegen Calisto und verstößt sie. Unzüchtig? Ich! Niemals! Es war ja auch die falsche Diana, also Giove. Im Herzen tief vergraben sehnt sich die echte aber doch sehr stark nach Liebe und hat bereits ein Auge geworfen auf Endimione. Ihn erwischt sie allein an einem Berganstieg und herzt ihn in seinem Schlaf. Ein mich sehr bewegendes anrührendes Duett.
Linfea ist eine Gefolgsfrau Dianas, entsprechend zur Keuschheit angehalten. Doch auch sie entschließt sich wie ihre Chefin-Göttin, dem inneren Ruf zu folgen, einen Mann zu gewinnen. Na ja, anfangs ist der Satyr Satirno nicht Manns genug für sie. In seinem Hausdebüt singt Tenor Mark Milhofer die drängende Veränderung lasziv und klar im hohen Register. Er singt sich in einen kleinen Östrogenrausch, letzten Endes ist Satirno Manns genug und die beiden finden zueinander.
Den Satyr Satirino legt Counter Dominique Visse keck und komödiantisch an. Stimmlich prägt er die Sopranlage großartig und souverän aus.
Tenor Anthony Gregory als Pane und Bass-Bariton Ashley Riches als Silvano bilden ein Rachepaar. Zwei weitere Hausdebüts am Münchner Haus. Der Satyr Pane ganz besonders, aber auch der Pegasus Silvano fühlen sich von Diana verlassen. Sie befeuern sich gegenseitig, spornen sich stimmlich an. Fest und stabil sind ihre Stimmen. Endimione treiben sie in die Enge und fast bis in den Tod, den (die richtige) Diana gerade noch verhindert.
An diesem Abend überzeugen mich alle Stimmen völlig. Und doch: ich entwickle persönliche Präferenzen. Counter Aryeh Nussbaum Cohen ist als Endimione exzellent. Ich darf sie erstmals hier in München hören und schließe diese Stimme in mein Herz – will sie bald wieder hören! So eine reine, strahlend leichte, unangestrengte und zugleich emotional verzweifelnde Counter Stimme lassen mein Herz und Bauch hüpfen. Endimione ist ordentlich verknallt in (die richtige) Diana. Die Göttin versucht ihre Keuschheit offiziell zu schützen, indem auch sie sich in veränderter Gestalt Endimione
Sopran Mary Bevan als Calisto ist meine zweite stimmliche prima inter pares Favoritin. Bei ihrem strahlend reinen Sopran schmelze ich dahin. Zögerlich verwirrt ob der Begehrlichkeiten Gioves als falsche Diana. Verängstigt wegen Giunone Wut und Rache. Zuletzt in einem intensiven emotional geradezu von mir heiß empfundenen Duett mit Giove, der sie nach dem Lebenswandel als Bärin auf der Erde als Sternbild unsterblich macht. Alles singt sie ausdrucksstark und glasklar, eben genau so wie ich barocken Gesang liebe.
Ich sitze Galerie Mitte, hoch oben im Publikumshalbrund, akustisch für mich mit der beste Platz, den ich in der Bayerischen Staatsoper bekommen kann. Das tolle Spiel Mary Bevans muss ich mir mit dem monokularen Fernglas nah vors Auge holen. Ich hoffe auf die nächste zeitnahe Chance, sie in einer ausführlichen Gesangspartie hören zu dürfen. Eine fantastische Stimmenentdeckung.
Christopher Moulds leitet das kleine, wenn ich richtig zähle, insgesamt fünfzehnköpfige Orchester, dass sich aus Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters und dem MonteverdiContinuo Ensemble zusammensetzt. Moulds formt einen präzisen klaren Klang. Seine konzentrierte Leitung bringt die Stimmen auf der Bühne zum Leuchten.
Die Inszenierung David Aldens ist poppig bunt und verströmt mit den pinkfarbenen hypnotischen Bodenmustern siebziger Jahre Design. Insofern ist an ihr die Zeit von der Premiere 2005 bis ins heutige 2023 spurlos verübergezogen.
Nicht nur Barockfans sollten die Chance nutzen, dieses Barockhighligt live mit außergewöhnlich grandioser Stimmenpracht zu genießen. Eine Wucht. Ein Genuss. Wundervoll. Das meint das Publikum an diesem Abend einhellig. Stürmischer jubelnder Applaus für alle Beteiligten!
Frank Heublein, 21. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung
Musikalische Leitung Christopher Moulds
Inszenierung David Alden
Bühne Paul Steinberg
Kostüme Buki Shiff
Choreographische Mitarbeit Beate Vollack
Licht Pat Collins
La Natura Dominique Visse
L’Eternità Roberta Mameli
Il Destino Teresa Iervolino
Giove Milan Siljanov
Mercurio Nikolay Borchev
Calisto Mary Bevan
Endimione Aryeh Nussbaum Cohen
Diana Teresa Iervolino
Linfea Mark Milhofer
Satirino Dominique Visse
Pane Anthony Gregory
Silvano Ashley Riches
Giunone Roberta Mameli
Le Furie Teresa Iervolino, Dominique Visse
Coro di Menti Celesti Roberta Mameli, Dominique Visse, Mark Milhofer, Ashley Riches
Bayerisches Staatsorchester
MonteverdiContinuo Ensemble
Salome, Musik von Richard Strauss Nationaltheater München, Bayerische Staatsoper, 8. März 2023
Richard Wagner, Lohengrin Bayerische Staatsoper, 7. Dezember 2022
Beckmesser Heublein irrt… Von den 10 Sängerinnen und Sängern haben mitnichten 9 am Haus debütiert. Siljanov ist Mitglied des Ensembles. Korrekt. Borchev ist bereits in zahlreichen Vorstellungen am BSO aufgetreten, u.a. auch schon in La Calisto. Somit ist er kein Debutant. Iervolino hat ihr Debut an der BSO auch schon hinter sich. In der Vergangenheit ist sie in Cenerentola und Lucrezia Borgia aufgetreten. Somit ist auch sie keine Debutantin. Last but not least Dominique Visse. Er war schon in der Premiere dabei und ist somit auch kein Debutant… Somit haben von den 10 Sängerinnen und Sängern nur 6 debütiert.
Ein bisschen mehr Genauigkeit darf schon sein, lieber Herr Heublein.
Der Besserwisser
Vielen Dank fürs aufmerksame Lesen, lieber Besserwisser.
Sie haben recht. Ich bin froh, dass ich durch Ihren Hinweis meinen Fehler korrigieren kann. Die Korrektur wird gerade prozessiert. Genauigkeit hat wie Sie feststellen ihre Berechtigung.
Ich möchte diesen Fehler ins Verhältnis setzen: Essenziell für mich ist die Schönheit und Anmut der Musik und der Aufführung. Daher hoffe ich, diese konnte ich Ihnen im Text näher bringen, Sie gar motivieren, sich eine Vorstellung von la Calisto anzusehen, um die wundervollen Künstler auf Bühne und im Orchestergraben live zu erleben.
Freundliche Grüße
Frank Heublein
Touché !
Eleonore