Foto: Anna Netrebko © Marco Borrelli
Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus,
31. Juli 2019 und 3. August 2019 (geänderte Besetzung)
Francesco Cilea: ADRIANA LECOUVREUR
Hui He beim Schlussapplaus. Foto: Instagram
von Gottfried Franz Kasparek und Sieglinde Pfabigan (onlinemerker.com)
In der Premiere dieser konzertanten Aufführung am 28. Juli wurde Anna Netrebko in der Titelrolle von Francesco Cileas Oper bejubelt, in der 2. Vorstellung musste sie wegen plötzlicher Erkältung ersetzt werden. Dass etliche Leute wegen der Absage ihres Lieblingsstars ihre Karten verschenkt hatten, kann nur als peinliche Entgleisung offenbar nicht wirklich an der Kunst interessierter Event-Reisender bezeichnet werden. Der so schmerzlich Vermissten, die zweifellos eine der bedeutendsten Singschauspielerinnen der Gegenwart ist, wird es hoffentlich keine wahre Freude machen.
Hui He, gerade in Verona zu „Tosca“-Proben, wurde kurzfristig eingeflogen. Und der Mann der großen Anna, Yusif Eyvazov, wurde als indisponiert angekündigt, was einen gar nicht so kleinen Teil des Publikums zu höchst sonderbaren Missfallenskundgebungen bewog. Gleich vorweg – der stämmige Tenor mit dem breiten Stimmvolumen und der im Glücksfall metallisch glänzenden Höhe wirkte nicht viel anders als sonst und machte sich als zwischen die Frauen geratener Maurizio gar nicht schlecht. Das ein wenig aufgeraute Timbre passt einem Kriegshelden, der dieser historische Moritz von Sachsen ja eigentlich ist, recht gut. Und zwischendurch fand Eyvazov zu erfreulich gefühlvollen Tönen. Am Ende erhielt er den ihm gebührenden Teil des Jubels. Hui He wiederum ist keine Netrebko, aber warum sollte sie dies auch sein? Die chinesische Sopranistin, in Wien und anderen großen Häusern gut bekannt, ist eine anrührende, dramatische Gestalterin. Mit den mehr gesprochenen als gesungenen Passagen der Schauspielerin Adriana vermag sie eigene, zwingende Atmosphäre zu schaffen. Mit nicht ganz so großer, aber technisch gut geführter Stimme findet sie zu hell aufstrahlenden Höhen, in der trotz Notenpults ergreifenden Todesszene zu lyrischer, visionärer Emphase. Jubel war denn auch ihr Lohn.
Francesco Cilea war alles andere als ein Vielschreiber von Verismo-Reißern. Ein feiner, sensibler Musiker mit großer Begabung für instrumentale Klangfarben und eher rezitativische Stimmführung. Irgendwo zwischen Puccini und Debussy hat er einen reizvollen eigenen Stil gefunden. In der politisch unterfutterten Eifersuchtstragödie rund um die barocke Pariser Primadonna Adrienne Lecouvreur kopiert er keine Alte Musik, sondern erfindet phantasievolle Hommagen darauf, bleibt dem Belcanto nichts schuldig und lässt die Leidenschaften nie überkochen. Dem Lyrismus Massenets hat er viel zu verdanken, ohne eklektisch zu wirken. 1902 gelang ihm mit „Adriana Lecouvreur“ sein einziger Welterfolg, der übrigens kein Rührstück ist, dem Tod durch von der Rivalin vergifteten Veilchen zum Trotz. Cileas Musik ist oft reinste tönende Poesie und voll schmelzender, doch nie schmalziger Emotion. Der fabelhafte Opernkapellmeister Marco Armiliato ist ein idealer Anwalt des „Bellinis des Verismo“ und hat es in der Tat geschafft, aus dem Mozarteumorchester Salzburg eine italienische Opernkapelle luxuriöser Art zu machen. Das Orchester spielt so etwas ja nicht alle Tage und wenn, dann oft im akustisch sehr begrenzten Landestheater. Diesmal leuchten die Farben, berühren die Kantilenen, erfreuen die stilvollen Soli und dies alles auf wahrhaft „philharmonischem“ Niveau.
Vor dem Orchester stand das Ensemble nicht bloß herum, sondern spielte in Frack und Abendkleid auswendig Theater. Das Stück ist auch eine Liebeserklärung an dieses und wahrlich ein „Commedia-dramma“. Nicolai Alaimo ist als alternder Spielleiter Michonnet innig resignierend verliebt in seinen Jungstar Adriana und singt mit warm akzentuiertem Bariton. Anita Rachvelishvili, ein Naturereignis aus Georgien, verbindet in ihrem offenbar keine akustischen Grenzen kennenden Mezzosopran rachedurstig klirrende, an Kolleginnen vom Chanson (aber ohne Mikro!) erinnernde Tiefen mit hochdramatischen Höhen, und macht die eifersüchtige Fürstin plausibel. Und, so laut sie werden kann – sie schreit nie. Mika Kares ist ihr nur mehr an Sexabenteuern und Intrige interessierter Gemahl mit virilem Kavaliersbariton, Andrea Giovannini mit durchschlagskräftigem Spieltenor sein skrupelloser Abbé-Gehilfe. Die Schauspieltruppe entstammt dem „Young Singers Project“ der Festspiele und erfreut mit jugendfrischer Stimmkultur und lebhafter Spielfreude – Alina Adamski, Valentina Pluzhnikova, Ricardo Bojórquez, Josh Lovell. Nicht zu vergessen ist der von Walter Zeh prächtig studierte Philharmonia Chor Wien, der selten, aber akkurat zum Einsatz kommt.
Am Ende gab es viel Applaus für alle. Und – wie wär’s einmal mit der zweiten besonders wertvollen Oper Cileas, mit „L’Arlesiana“? In diesem südlichen Bauerndrama ist mehr drin als das wundersame „Lamento des Federico“, das jeder Tenorlyriker irgendwann aufnimmt.
Gottfried Franz Kasparek
Anna Netrebko. Foto: Salzburger Festspiele/ Marco Borrelli
3.8. (nachmittag): In dieser 3. und letzten Aufführung war Anna Netrebko mit einer grandiosen Gestaltung der Titelrolle wieder zur Stelle.
Ich kann in allen Belangen, was die hohe Qualität der gesamten Festspielproduktion betrifft, meinem Salzburger Merker-Kollegen beipflichten. Wer nur wegen der Absage der Diva erst gar nicht hinein ging, ist zu bedauern. Dass es „nur“ eine konzertante Aufführung war, stimmt wahrlich nicht. Wem ein Bühnenbild oder gar ein „Regiekonzept“ gefehlt haben mochte, der hat nie kapiert, worauf es in der Oper ankommt. Die Fracks der Herren und vor allem die prächtigen Kleider der beiden damenhaften Rivalinnen ließen nichts zu wünschen übrig. Und statt eines aufwendigen Szenenaufbaus sah man von allen Plätzen das gesamte Orchester auf der Bühne und dahinter den Chor, der ja in dieser Oper keine übergroße Rolle spielt. Die Solisten agierten vor dem Orchester ganz normal mit- bzw. gegeneinander – einfach das, was Francesco Cileas wunderbar expressive Musik aussagt und von Marco Armiliato und seinem Orchester einfühlsam wiedergegeben wurde.
Allein schon das erste, noch stumme Auftreten der Netrebko suggerierte in Haltung und Gebahren die große, allseits bewunderte Schauspielerin: So sieht eine Bühnen-beherrschende Persönlichkeit aus! Als sie dann ihre herrliche, volle, unbegrenzt tragfähige Stimme erklingen ließ, mit einer Mezzo-Tiefe und -fülle, die einer Erda oder Azucena würdig wären, dann sich aber in leuchtende Sopranhöhen aufschwingt, da war des Staunens und der Freude kein Ende mehr. Jede seelische Regung der Adriana wurde Bild und Klang, jede ihrer Szenen, sei es mit dem ihr väterlich zu Diensten stehenden Michonnet, der ihr seine Liebe verschweigen muss; sei es gegenüber der ihr in unverhehlter Rivalität entgegentretenden und noch viel kraftvoller singenden fürstlichen Rivalin; und natürlich mit dem heißgeliebten und begehrten Maurizio in allen Phasen ihrer Beziehung zu ihm. Und wie diese starke Frau am Ende ihren durch die vergifteten Blumen der Rivalin verursachten Tod annimmt und sich ihm in immer verklärter werdenden piano- und pianissimo-Kantilenen hingibt, gestützt durch die finale Liebesbezeugung des tenoralen Partners, bis sie mit dem Rücken zum Publikum neben dem Dirigenten sachte auf die Knie sinkt und so bis zum letzten gefühlsstarken Ton des Orchesters regungslos verharrt – das ersetzt eine ganze Inszenierung. Was für eine Künstlerin!
Desto wirkungsvoller in solch würdiger Umgebung.
Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand
Sieglinde Pfabigan