Duncan Ward © Oliver Killig; Martin Helmchen © Peter Rigaud
Wer dabei war, hat einen prägnante Abend erlebt – nicht wegen seiner Lautstärke oder seines Spektakels, sondern wegen jener inneren Wahrheit, die nur dann hörbar wird, wenn alle Beteiligten einander wirklich zuhören.
Joseph Haydn
Sinfonie Nr. 88 G-Dur
Richard Strauss
Burleske d-moll für Klavier und Orchester
Johannes Brahms
Serenade Nr. 1 D-Dur op. 11
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Duncan Ward, musikalische Leitung
Martin Helmchen, Klavier
Alte Oper Frankfurt, 26. Mai 2025
von Dirk Schauß
Das neunte Sinfoniekonzert der Frankfurter Museums-Gesellschaft am 26. Mai versprach nicht nur ein Wiedersehen mit dem diesjährigen Museumssolisten Martin Helmchen, sondern auch eine fein ausgewählte Reise durch die orchestralen Welten dreier Generationen: Haydn, Strauss, Brahms. Was das Publikum erlebte, war weit mehr als ein klug zusammengestelltes Programm – es war ein über drei Werke hinweg atmender Klangbogen, getragen vom emphatischen, hellwachen Dirigat Duncan Wards und einem Orchester, das unter seiner Leitung zu einer außergewöhnlichen Geschlossenheit fand.
Bereits in Joseph Haydns Sinfonie Nr. 88 G-Dur offenbarte sich Wards besondere Fähigkeit zur strukturellen Transparenz. Er führte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit analytischer Präzision und tänzerischer Eleganz, die Haydns heitere Komplexität nicht glättete, sondern vielmehr in ihren feinen Brüchen offenlegte.
Der erste Satz pulsierte mit federnder Vitalität, rhythmisch geschmeidig und zugleich kontrolliert. Die Phrasierung war subtil ausgearbeitet – nichts geriet ins Mechanische, jede Wiederholung gewann an Farbnuance und Bedeutung. Besonders eindrucksvoll gelang der Largo-Satz: Die Streicher entfalteten ein wechselvolles Klangbild von tiefer Leuchtkraft, in dem die Holzbläser wie poetische Gegenlichter aufleuchteten. Urplötzlich setzten die beiden Trompeten und die an diesem Abend vielfach geforderte Pauke ein – prägnant und doch organisch eingebettet. Im Menuett herrschte eine behutsam gesetzte Rustikalität; das Finale schließlich glitzerte in seinem burlesken Gestus, ohne je ins Klamaukhafte abzugleiten – ein Triumph der Balance zwischen Spielfreude und kontrollierter Virtuosität. Duncan Ward und das fabelhaft aufspielende Frankfurter Opern- und Museumsorchester blieben dieser vielschichtigen Musik keine Nuance schuldig.
Was dann folgte, war kein bloßer Programmpunkt, sondern eine szenische Miniatur in Tönen: Richard Strauss’ „Burleske“ in d-Moll, ein Werk von jugendlicher Kühnheit, das bereits mit den ersten Paukenschlägen seine ironische Selbstgewissheit ins Publikum schleudert.
Martin Helmchen trat an den Flügel wie ein Erzähler, der keine Heldengeschichte, sondern eine kluge Parabel mit rasenden Läufen, wehmütigen Seitengängen und eruptiven Pointen zu erzählen wusste. Sein Spiel war von intellektueller Hellsichtigkeit durchdrungen, die jeder Note Richtung verlieh, ohne jemals an Körperlichkeit zu verlieren. Helmchens Artikulation war gestochen scharf, seine Dynamik fein nuanciert – von silbrigen Pianissimi bis zu donnernden Fortissimi, die dennoch nie die klangliche Balance mit dem Orchester gefährdeten. Was ihn jedoch über bloße Virtuosität hinaushebt, ist seine Fähigkeit, das Perkussive des Klaviers in ein kantables Spiel zu verwandeln.

Im Mittelteil, wo Strauss sich in romantische Träumereien verliert, ließ Helmchen die Phrasen singen – der Ton glühte, ohne zu brennen, und wurde von den Streichern getragen wie ein Blatt auf stillem Wasser. Ward war hier nicht bloß Begleiter, sondern ein subtiler Dialogpartner, der das Orchester zu einem atmenden Gegenüber formte. Die Pauke – mit ihrem markanten, thematisch bedeutsamen Einsatz – war kein bloßer Effekt, sondern eine ironische Stimme im Spiel der Perspektiven. Die „Burleske“ wurde in dieser Lesart zum Spiegelkabinett musikalischer Identitäten – scharf gezeichnet und voll hintersinnigem Witz. An dieser Stelle verdient der einmal mehr vorzügliche Mann an der Pauke besondere Erwähnung:
Der überaus aufmerksame und passioniert agierende Tobias Kästle nutzte die Gunst dieser Rarität, um seinem Instrument jenen notwendigen Mittelpunkt zu geben – virtuos und mit spielerischem Aplomb. Das Publikum war begeistert, und so schenkte Martin Helmchen als Zugabe eine wunderbar poetische Version von Robert Schumanns „Der Vogel als Prophet“.
Nach der Pause öffnete sich mit Johannes Brahms’ Serenade Nr. 1 D-Dur op. 11 ein klanglich ganz eigener Kosmos: ein sonnenwarmer Spätnachmittagston, getragen von jenem orchestralen Atem, der dieses Frühwerk wie eine stille Vorahnung späterer Symphonik durchzieht. Ward ließ das Werk nicht einfach geschehen, sondern formte es mit klarer dramaturgischer Linie – vom anmutig schreitenden ersten Satz über das zart wiegende Scherzo bis hin zum ergreifenden Adagio, in dem das Orchester zu meditativer Ruhe fand. Die Violinen schwebten mit silbriger Leichtigkeit, Bratschen und Celli gaben der Musik ihren warmen Grund, und über allem lag eine atmende Kantabilität, die fast an ein Lied ohne Worte erinnerte – maßgeblich geprägt vom hingebungsvollen Solo-Horn.
In den Variationen der letzten Sätze ließ Ward die Struktur deutlich hervortreten, ohne sie zu zergliedern: Es war, als erzähle das Orchester eine Geschichte, deren einzelne Kapitel in immer neuen Lichtfarben schimmerten. Die Bläser – allen voran die Hörner – trugen mit einer Noblesse bei, die Brahms’ Naturtonidee spürbar werden ließ, ohne je ins Pastorale zu kippen. Die Musik wirkte nie nostalgisch, sondern unmittelbar gegenwärtig – ein Fluss, getragen von innerer Bewegung und leuchtender Klangrede.
Was bleibt, ist der Eindruck eines Abends von großer innerer Geschlossenheit. Duncan Ward erwies sich als Gestalter im besten Sinne: kein Dirigent, der Klang lediglich verwaltet, sondern einer, der ihn atmen, leuchten, sprechen lässt.
Martin Helmchen brillierte nicht durch äußere Effekte, sondern durch jene seltene Kombination aus technischer Brillanz und intellektueller Durchdringung.
Und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester war an diesem Abend weit mehr als ein begleitendes Ensemble – es war ein Kollektiv atmender Stimmen, ein musikalischer Organismus von leuchtender Klarheit und Empfindungstiefe.
Wer dabei war, hat einen prägnante Abend erlebt – nicht wegen seiner Lautstärke oder seines Spektakels, sondern wegen jener inneren Wahrheit, die nur dann hörbar wird, wenn alle Beteiligten einander wirklich zuhören.
Dirk Schauß, 27. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
hr-Sinfonieorchester, Alain Altinoglu, Sebastian Berner, Trompete Alte Oper Frankfurt, 22. Mai 2025
DKPB Paavo Järvi/Janine Jansen Alte Oper Frankfurt, 16. Mai 2025