Franz Schrekers “Singender Teufel” läßt die Oper Bonn musikalisch erbeben

Franz Schreker (1878-1934), DER SINGENDE TEUFEL  Theater Bonn, Oper, 21. Mai 2023 

Der singende Teufel, Bonn © Thilo Beu

Im Rahmen des Zyklus “FOCUS ’33 (Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben)” spielt das Theater Bonn Franz Schrekers Oper “Der singende Teufel”. Es ist dies die siebte Oper des Komponisten, der als einziger im deutschsprachigen Raum Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit den Aufführungsziffern von Richard Strauss mithalten konnte. Anfang der 1920er Jahre war Schreker auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Einige Jahre später begann sein Ruhm zu bröckeln.

Theater Bonn, Oper, 21. Mai 2023 

Franz Schreker (1878-1934)
DER SINGENDE TEUFEL
Oper in vier Aufzügen (Libretto: Franz Schreker)

Musikalische Leitung   Dirk Kaftan
Inszenierung   Julia Burbach
Ausstattung   Dirk Hofacker

Beethoven Orchester Bonn
Chor und Extrachor des Theater Bonn (Leitung: Marco Medved)

Amandus Herz   Mirko Roschkowski    
Lilian  Anne-Fleur Werner    
Pater Kaleidos   Tobias Schabel   
Alardis   Dshamilja Kaiser      
Ritter Sinbrand von Fraß   Pavel Kudinov
Der maurische Pilger  Carl Rumstadt
Lenzmar   Tae Hwan Yun

von Jean-Nico Schambourg

Andreas K. W. Meyer, der erst kürzlich verstorbene Operndirektor der Oper Bonn, hat sich zeitlebens für die Werke von Franz Schreker eingesetzt, sei es als Dramaturg, sei es als Intendant. Den “Singenden Teufel” aufzuführen ist sicherlich eine große Herausforderung, musikalisch sowie szenisch. Seit 1989 ist er an keiner deutschen Bühne mehr aufgeführt worden.

Allein das Libretto ist schon schwierig, erzählt es doch die mittelalterliche Geschichte des Orgelbauers Amandus Herz, dem von Pater Kaleidos aufgetragen wird, die große Orgel fertigzustellen, die sein Vater einst begonnen hatte zu bauen und an deren Bau er schlussendlich zu Grunde ging. Parallel zu seinen Bemühungen hierzu fühlt sich Amandus hingezogen zu der Heidin Lilian, die versucht, ihn als Führer gegen die Pfaffen zu gewinnen. Beim Sonnwendfest wird Amandus von den Heiden verspottet und Lilian vom Ritter Sinbrand, der als Führer der Heiden auserkoren wird, verschleppt. Amandus zieht sich zurück ins Kloster und vollendet die Riesenorgel. Die Mönche wollen mit Hilfe dieses “singenden Teufels” die Heiden unterwerfen. Allerdings versagen die sanften Register. Beim Sturm auf die Mönche werden die Heiden von diesen brutal niedergeschlagen.

Amandus erholt sich unter Lilians Pflege von den Exzessen des Erlebten. Als ein maurischer Pilger ihn aufsucht, damit er seine kleine Orgel repariert, wachen in Amandus wieder die Erinnerungen an sein Versagen auf. Um ihren Geliebten von seinen Gewissensqualen endgültig zu erlösen, zerstört Lilian das Kloster samt Orgel. Im glühenden Feuer beginnt die Orgel jedoch überirdisch zart zu tönen. Wissend, dass Amandus jetzt endlich vom Zauber erlöst ist, stirbt Lilian.

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© Thilo Beu

In ihrer Inszenierung nimmt Julia Burbach die Handlung des Konfliktes zwischen Christen und Heiden aus dem geschichtlichen Kontext des Mittelalters heraus. Wie sie im Programmheft erklärt, will sie einen abstrakten “Rahmen schaffen, in dem zwei Gewalten gegeneinander anspielen”. Ihre Inszenierung erzählt auch die Geschichte eines Künstler, sein Ringen mit sich selbst und mit äußeren Begebenheiten rund um die Fertigstellung seines Werkes (Schreker schrieb zwischen 1924 und 1928 vier lange Jahre an seiner siebten Oper), die Instrumentalisierung des schlussendlich vollendeten Werkes durch Dritte, bis hin zum Missbrauch der Kunst als Macht- und Kriegsmittel.

Bei Julia Burbach steht Amandus Herz für den Komponisten Franz Schreker selbst, der als Künstler und Mensch die wandelnden Umstände seiner Zeit zu spüren bekam, musikalisch, sowie auch politisch. Wenn seine Oper “Der singende Teufel” keinen Erfolg hatte, lag dies einerseits an der negativen Stimmung, die die aufstrebenden Nationalsozialisten gegen den jüdischen Komponisten machten (ab 1933 waren seine Werke gänzlich verboten).

Andererseits scheiterte Schreker aber auch künstlerisch mit seinem Werk. Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, leitete Schreker seit Anfang der 1920er Jahre die Berliner Hochschule für Musik und band Größen wie Paul Hindemith, Arthur Schnabel, sowie Arnold Schönberg an die Akademie. Unter seinen Schülern befanden sich u.a. Ernst Krenek, Jascha Horenstein, Arthur Rodzinsky. Aber im Laufe des Jahrzehnts entfernten sich seine Studenten immer mehr von seiner Auffassung der Hochromantik. Auch die Kritik war seinem Kompositionsstil mehr und mehr schlecht gesinnt.

Zwei zentrale Bühnenbilder verkörpern die zwei verschiedenen Welten, die in der Oper aufeinander treffen: auf der einen Seite das Kloster, dargestellt durch einen klar strukturierten schwarzen Raum mit Klappstühlen an den Wänden, auf der anderen Seite die heidnische Welt, dargestellt durch eine wilde, ungeordnete Hügellandschaft. Zum Teil gestaltet aus zerknitterten Notenblättern zeigt diese Landschaft die wirren, ungeordneten Gedanken des Komponisten. Die Orgelpfeifen, die an Seilen herabgelassen werden, tragen leere Notensysteme und erinnern auch an Kanonenrohre, wenn sie gegen die Heiden eingesetzt werden.

Uraufgeführt in Berlin an der Staatsoper Unter den Linden am 10. Dezember 1928 unter der Leitung von Erich Kleiber, war die Besetzung gespickt mit Sängergrößen wie Fritz Wolff als Amandus Herz, Delia Reinhardt als Lilian, Friedrich Schorr als Pater Kaleidos, Margarethe Arndt-Ober als Alardis, Emmanuel List als Ritter Sinbrand, Theo Scheidl als maurischer Pilger.

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© Thilo Beu

Die Oper Bonn hat zwar nicht solch eine Starbesetzung aufbieten können, aber die Sänger erledigen ihre Aufgaben am Premierenabend mit Bravour. Allen voran Mirko Roschkowski als Amandus. Nicht nur dass er die Rolle stimmlich hervorragend mit sicherer Tenorstimme meistert, auch schauspielerisch verlangt die Inszenierung ihm einiges ab. Herrlich wie er teilweise tänzelnd sich über die Bühne bewegt, dann wieder den an sich selbst und an seiner Arbeit zweifelnden bzw. verzweifelnden Künstler mimt. Und all diese Gemütsschwankungen weiß er gesanglich brillant auszudrücken. Neben ihm besticht besonders Anne-Fleur Werner mit klarem, verführerischem Sopran. Sie spielt und singt voll überzeugend die Heidin, die zuerst Amandus verführen will, um ihn später durch ihre Rachetat vom Bösen, seinen eigenen Zweifeln, zu befreien.

Tobias Schabel gibt den herrischen, kaltherzigen Pater Kaleidos, Dshamilja Kaiser die heidnische Alardis. Pavel Kudinovs Bass passt wunderbar zu seiner Interpretation des groben, tölpelhaften Ritters Sinbrand vom Fraß. Carl Rumstadt als maurischer Pilger und alle anderen Solisten fügen sich vollends in die großartige Leistung ein.

Dem Chor und Extrachor der Oper Bonn, einstudiert von Marco Medved, gehört ein spezielles Lob. In der Szene des Sonnwendfestes überzeugt der Chor durch festen, homogenen Klang. Das an die Walpurgisnacht erinnernde Fest stellt auch szenisch hohe Ansprüche an den Chor. Später in der Klosterszene erfreut man sich am Gesang der Mönche. Und in der Schlussszene läßt der Chor, wie Engelsstimmen mit schwirrendem, flimmerndem Ton, die Oper ausklingen.

Das ebenbürtige Pendant zu Solisten und Chor auf der Bühne stellt im Graben das Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Dirk Kaftan. Überzeugender kann man diese Musik nicht spielen. Was da aus dem Orchestergraben hervorquillt ist überwältigend, berauschend. Wie ein instrumentaler Vulkanausbruch strömt der Orchesterklang durch den Zuschauersaal und verhilft dem Theater Bonn zu einem weiteren Höhepunkt einer fulminanten Opernsaison.

Mit ihren Entdeckungsreisen in die unbekannte(re)n Musiksphären von Alberto Franchetti mit seiner Oper “Asrael”, von Umberto Giordano mit seiner Oper “Siberia”, sowie nun von Franz Schreker mit seinem “Singenden Teufel”, ist die Oper Bonn in der Opernsaison 2022/2023 für mich persönlich sicherlich das Opernhaus des Jahres. Seinem viel zu früh verstorbenen Operndirektor Andreas K. W. Meyer gebührt deshalb großes Lob und Dank.

Jean-Nico Schambourg, 23. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Franz Schreker, Der Schatzgräber, Deutsche Oper Berlin, 1. Mai 2022 PREMIERE

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