Foto: Fabian Müller © Neda Navaee
Ein Hochamt mit den letzten drei Klaviersonaten beim Beethovenfest
Bonn, Beethovenhaus, 9. September 2022
Franz Schubert (1797-1828) – Die letzten drei Klaviersonaten D 958-960
von Brian Cooper, Bonn
Ginge es nach manch altbackenem Kritiker, dürften Spätwerke eines Komponisten – etwa die drei letzten Klaviersonaten Beethovens oder jene Schuberts – erst gespielt werden, wenn der oder die Ausführende, sagen wir, die 60 überschritten hat.
Zum Glück gibt es diesbezüglich keine Gesetze, und hätte Schubert so lange mit dem Komponieren gewartet, gäbe es die Stücke schlichtweg nicht, denn er starb mit 31 Jahren. Unvergessen die Zeile aus Patrick Süskinds Der Kontrabaß: „Als Schubert so alt war wie ich, da war er schon lange tot.“
31 Jahre jung ist auch der Bonner Pianist Fabian Müller, der nun beim Beethovenfest mit einem reinen Schubert-Rezital auftrat, und zwar im herrlich intimen Rahmen des Kammermusiksaals im Beethovenhaus. Das Bonner Publikum kam dabei in der schönsten und akustisch besten Spielstätte der Stadt in den Genuss, die drei letzten Klaviersonaten Franz Schuberts, D 958-960, zu hören.
Noch unter dem Eindruck des tragisch frühen Todes von Lars Vogt in dieser Woche – und am Vorabend des Konzerts auch noch der eigentlich unsterblichen Queen – schien es also mehr als angemessen, sich mit letzten Dingen zu befassen. Und Schubert schrieb die drei ausladenden Sonaten mit ihren unendlichen – und unendlich schönen – Melodien im Angesicht des Todes.
Fabian Müller, 2017 beim ARD-Wettbewerb sehr erfolgreich, hat uns am Klavier sehr viel zu sagen. Dieses besondere Repertoire, ein in höchstem Maße anspruchsvolles Programm, erfordert nicht nur ein gerüttelt Maß an pianistischem Können, sondern vor allem auch ein riesengroßes Herz. Und das hat er: Herz und Seele. Es wurde ein großer Abend, ein intensives und konzentriertes Hochamt.
Fabian Müller nimmt sich agogische Freiheiten, wo immer sie angemessen sind; die so genialen und mitunter überraschenden Modulationen Schuberts klingen unter seinen Händen auch für Menschen, die diese Sonaten ganz gut zu kennen meinen, noch eine Dimension überraschender.
In der Tendenz sind seine Tempi zügig, jedoch ohne jegliche Hast. Spätestens im Scherzo der c-Moll-Sonate waren wir in einem begeisternden Klavierabend angelangt, und schon nachdem Müller vor der Pause den letzten Satz der A-Dur-Sonate beendet hatte, diese herrlichste aller Melodien, diese traurigste A-Dur, was es gibt, und wie nur Schubert es schreiben konnte, wurde er mit sehr herzlichem Applaus bedacht.
Alles war in sich schlüssig, und wenn man Vergleiche anstellen wollte, dann könnte man behaupten, Müllers Schubert gliche vielleicht mehr jenem Friedrich Guldas als dem des vor knapp einem halben Jahr verstorbenen Radu Lupu. Aber man könnte auch einfach sagen: Es ist Müller. Und das ist angesichts der Vielzahl grandioser Einspielungen dieser Werke ein großes Kompliment.
Spätestens nach der Pause begann der Pianist, Geschichten zu erzählen. Das Tablet auf dem Steinway schien nur Gedächtnisstütze zu sein, Müller hatte oft die Augen geschlossen und war erkennbar in der B-Dur-Sonate in einer anderen Welt. Zu Recht gab es Standing Ovations.
Man wünscht diesem Pianisten ein langes Leben jenseits der 60, denn es wird interessant sein, in einigen Jahrzehnten seinen Schubert – und auch seinen Beethoven! – zu hören.
Dr. Brian Cooper, 10. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ludwig van Beethoven, Elisabeth Leonskaja, Klavier Elbphilharmonie Hamburg, 26. Mai 2022
Rudolf Buchbinder: Ludwig van Beethoven – Klaviersonaten, Elbphilharmonie Hamburg, 13. Oktober 2020
CD-Tipp: Franz Schubert, Klaviersonaten D 959, D 960 klassik-begeistert.de