Der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg spendet den Kartenerlös und die Kollekte für die Nationale Musikakademie in Kyjiw: 5.915 Euro.
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Der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg ist brillant, lässt Reinheit und Klarheit durchstrahlen. Oft gleiten Moll-Klänge in stimmungsvolle Dur-Akkorde und lassen tröstend das Himmelreich erahnen. Sehr persönlich in der Haltung: Feinheit, Unaufdringlichkeit, Gefühlsreichtum, die ihren Ursprung im Melodischen und Harmonischen haben, lassen das Publikum in einer minutenlangen Stille ruhen.
Hauptkirche St. Trinitatis, Altona, 25. März 2022
Foto: Der Carl-Philipp-Emanuel-Bach Chor Hamburg in der Hauptkirche St. Trinitatis, Hamburg-Altona, (c) privat
Französische Kathedralmusiken
Den Opfern und Leidenden des Krieges in der Ukraine gewidmet
Benefizkonzert für die Nationale Musikakademie in Kyjiw
Louis Vierne: Messe solennelle
César Frank: Choral Nr. 3 –Prélude
Gabriel Fauré: Requiem
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg
Leitung: Hansjörg Albrecht
Joachim Vogelsänger, Orgel
Hyeyoung Kim, Sopran
Sanghun Lee, Bariton
von Elżbieta Rydz
Zugegeben: die Orgel ist nicht mein Instrument. Ich tue mich schwer, einen interpretatorischen Zugang zu finden. Sicherlich ist es auch eine Frage der kindlichen Prägung – die Orgel war und ist in jedem Gottesdienst meines katholischen Geburtslandes Polen mehr als präsent.
Ich bin dennoch sehr gespannt auf diesen Abend, die Akustik der Kirche hat mich schon begeistert, als ich vor einigen Jahren die Petite Messe Solennelle von Rossini hier gesungen habe.
Einkehr, Trauer, Religiosität, Sehnsucht, ewige Ruhe – das kündigt das Programmheft des heutigen Abends an.
Der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg unter der musikalischen Leitung von Hansjörg Albrecht beginnt mit einem mächtigen und feierlichen Kyrie der Messe solennelle von Louis Vierne: einfallsreich, einheitlich in den Stimmgruppen, mit punktgenauen Absprachen, ausdrucksstark in den Tempi und herzzerreißend im Piano. Die geheimnisvollen Wechselgesänge im Benedictus begeistern und lassen das Herz zerfließen, eh sie sich in einem sanften Cis-Dur des Agnus Dei mit der Bitte „Dona nobis pacem“ – gib uns Frieden – auflösen.
Das zweite Stück des Abends in a-Moll war das letzte Musikstück überhaupt, das César Franck (1822-1890) komponiert und in seiner Wohnung zusammen mit seinen drei Studenten Tournemire, Vierne und Lekeu vierhändig am Klavier musiziert hat. Wenige Wochen später verstarb er an den Folgen eines schweren Unfalls durch einen Pferdeomnibus.
Der herrische, sehr willensstarke Vater Nicolas Franck meldete seine Söhne sehr früh in der Musikschule der Stadt Liège (Lüttich) an. Die Erfolge in der Schule brachten den Vater auf den Gedanken, aus César ein Wunderkind zu machen und daraus materiellen Nutzen zu ziehen. 1837, nach der Erlangung der französischen Staatsbürgerschaft durch den Vater, konnte César am Pariser Konservatorium aufgenommen werden. Geprägt von vielen langen Konzertreisen entwickelte er eine Beharrlichkeit, unbedingt komponieren zu wollen. Das Publikum stand seinen Werken oft verständnislos gegenüber, obwohl er stets versuchte, die Sorgen und Nöte der Menschen, deren Schicksal und patriotische Haltung in seinen Werken zu spiegeln.
César Frank – Komponist, Pädagoge, Organist: sein Werk verbindet die deutsche und französische Kunst. Durch die Zusammenarbeit mit dem Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll ist die Orgel zu einem Orchester geworden. Cavaillé-Coll führte neue Windversorgungssysteme und größer mensurierte Pfeifen ein, um die enormen gotischen und neogotischen Kirchenräume füllen zu können. Dadurch war es möglich, dynamische Entwicklungsprozesse zu kreieren.
Joachim Vogelsänger gelingt es an diesem Abend, den Hörer in einen orchestralen Sog aus Werden und Vergehen mitzunehmen. Durch seine dramatisch- erregte Ausdruckskraft, durch Fantasie und Expressivität wird das Werk verdichtet. Ich habe den Eindruck, das Erleben jedes einzelnen Menschen rückt in den Mittelpunkt. Eines jeden Menschen mit seinen inneren Kämpfen, seinen Zweifeln und Schmerzen, aber auch mit den Siegen seines Willens, seiner Würde und seines persönlichen Mutes.
Ich sehe heute noch, wie mein damals 19 Jahre alter Bruder, gerade mal sieben Monate Wehrdienst hinter sich, am Geburtstagstisch meiner Mutter Anfang Februar verkündet, dass er freiwillig in den Kosovo geht. Und meine Mutter, die aufspringt und sagt: „Nein, das machst du nicht. Ich habe dich nicht deswegen 19 Jahre lang groß gekriegt!“
Und heute, fast 30 Jahre später erreicht mich die Tage ein serbisches Sprichwort: „Es ist Krieg: die Politiker geben Waffen, die Reichen Geld und die Armen – segnen und geben ihre Kinder. Und wenn der Krieg vorbei ist werden die Politiker ihre Waffen wieder einsammeln, die Reichen mehr Geld machen und die Armen besuchen das Grab Ihrer Kinder.“
Gabriel Fauré hat in seinem Requiem den Tod als Erlösung und Eintritt ins Paradies thematisiert. Geprägt von der Grundhaltung versöhnlich und optimistisch das Thema Tod zu behandeln und beherrscht von menschlichem Vertrauen in die Ewigkeit hat er das Stück zwischen dem Tod seines Vaters und dem seiner Mutter komponiert.
In der Urfassung, die in der Pariser „La Madeleine“-Kirche am 26. Januar 1888 erklang, waren nur der Chor und tiefe Streicher – ohne Violinen –, eine Harfe, Pauken und die Orgel als Continuo-Instrument beteiligt.
Auch hier ist der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg brillant, lässt Reinheit und Klarheit durchstrahlen. Oft gleiten Moll-Klänge in stimmungsvolle Dur-Akkorde und lassen tröstend das Himmelreich erahnen. Sehr persönlich in der Haltung: Feinheit, Unaufdringlichkeit, Gefühlsreichtum, die ihren Ursprung im Melodischen und Harmonischen haben, lassen das Publikum in einer minutenlangen Stille ruhen.
Elżbieta Rydz, 27. März 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Benefizkonzert für die Ukraine im Michel, St. Michaelis, 19. März 2022