Der religiöse Wahnsinn, wie von Fromental Halévy in seiner Oper “La Juive” gezeichnet, ist auch heute noch immer aktuell

Fromental Halévy (1799-1862) LA JUIVE (DIE JÜDIN)  Oper Frankfurt, 20. Juni 2024
La Juive © Monika Rittershaus

An diesem Donnerstag findet nicht nur der zweite Spieltag der Fußball-EM in Frankfurt statt mit der Begegnung England gegen Dänemark, sondern auch die 2. Aufführung der Oper “La Juive” von Fromental Halévy. Während die Fußballfans beider Nationen gemeinsam dem Fußballgott huldigen, zerstreiten sich in der Oper Christen und Juden darüber, wessen Gott der größte sei. Dabei geht es in Wahrheit um Macht und nur in zweiter Linie um Religion, die nur das “Opium des Volkes” ist, wie schon unser guter alter Trierer Freund Karl Marx richtig bemerkte.

Fromental Halévy (1799-1862)

LA JUIVE (DIE JÜDIN)
Oper in fünf Akten / Text von Eugène Scribe

Musikalische Leitung          Henrik Nánási
Inszenierung                           Tatjana Gürbaca
Bühnenbild                              Klaus Grünberg
Kostüme                                   Silke Willrett

Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Chor und Extrachor der Oper Frankfurt (Leitung: Tilman Michael)

Oper Frankfurt20. Juni 2024

von Jean-Nico Schambourg
Die grausame Auseinandersetzung der Handlung stellt den Rahmen für eine großartige französische “Grand Opéra” mit wunderbaren Arien, Duette, Terzetten, Ensembles und Chorszenen.

Rachel, die Tochter des jüdischen Goldschmieds Eléazar, ist in Samuel verliebt, in Wirklichkeit der christliche Fürst Leopold und mit Prinzessin Eudoxie verheiratet. Als ihre “schändliche” Liebesbeziehung auffliegt, werden Leopold, Rachel und Eléazar zum Tode verurteilt. Rachel rettet Leopolds Leben mit der Aussage, sie hätte gelogen betreffend ihre Liebesverbindung.

Kardinal Brogni, ohne sein Wissen eigentlich der leibliche Vater von Rachel, da Eléazar sie als Kleinkind aus dem brennenden Haus von Brogni gerettet und seither aufgezogen hat, versucht Rachel durch christliche Taufe zu retten. Diese lehnt ab, um mit ihrem Vater Eléazar und ihrem Glauben zu sterben. Erst im Moment ihres Todes gibt Eléazar das Geheimnis von Rachels Abstammung preis und rächt sich damit am Christen Brogni.

La Juive © Monika Rittershaus

Musikalisch ist diese Aufführung ein weiterer Höhepunkt in dieser an solchen reichen Saison 2023/24 der Oper Frankfurt. Im Mittelpunkt leuchten die Stimmen der beiden jüdischen Figuren Rachel und Eléazar. Ambur Braid singt die zwischen der Liebe zu Leopold und der Treue zu ihrem Vater und Glauben hin und her gerissenen Rachel mit großem, klaren Sopran. Sie entspricht total den gewaltigen stimmlichen Anforderungen der Partitur, die bei der Uraufführung im Jahre 1836 von Cornélie Falcon gesungen wurde, die diesem speziellen Stimmtypus ihren Namen verlieh: Sopran Falcon. In den Massenszenen strahlt ihre Stimme über das Ensemble hinweg.

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La Juive © Monika Rittershaus

Der Eléazar von John Osborn bewegt sich auf noch höherem Niveau. Die Rolle des jüdischen Goldschmieds wurde von vielen großen Tenören geliebt, wie zum Beispiel Enrico Caruso, dessen letzte übernommene Rolle es war. Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre setzte sich der amerikanische Tenor Richard Tucker sich verstärkt für die Oper ein. Osborn verfügt zwar nicht wie sein berühmter Landsmann über dessen typische Kantor-Stimmfarbe, dafür singt er die Rolle in bester Bel Canto-Manier. Es darf nicht vergessen werden, dass der erste Interpret des Eléazar, Adolphe Nourrit, einer der größten Bel-Canto-Tenöre seiner Zeit war.

Höhepunkt der Interpretation von Osborn ist natürlich die berühmte Arie “Rachel, quand du Seigneur”, die er mit perfektem Legato und bombensicheren Höhen ausdrucksvoll vorträgt. Die darauffolgenden Cabaletta “Dieu m’éclaire”, von den meisten Tenören transponiert oder sogar gestrichen, singt Osborn mit dem nötigen “Slancio”, um Eléazars religiösen Trancezustand zu interpretieren.

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La Juive © Monika Rittershaus

Der zweite Tenor der Aufführung, Gerard Schneider als Samuel/Leopold, hat es daneben natürlich schwer, singt seine szenisch unsympathische Rolle aber seriös. In den Ensembleszenen fehlt es ihm jedoch ein wenig an Durchschlagskraft. Diese besitzt Monika Buczkowska als Prinzessin Eudoxie zur Genüge. Leichtfüßig singt sie sich durch die Koloraturen ihrer Arie und weiß auch im anschließenden Bolero mit verführerischer Stimme zu überzeugen.

Die Auftrittsarie von Kardinal Brogni “Si la rigueur” singt Simon Lim mit imposantem, kavernösem Bass und verdeutlicht dessen Autorität. In den weiteren Szenen seiner Rolle gibt Lim mit weicher Stimme einen zuerst sorgenvollen, dann verzweifelten Menschen. Sebastian Geyer und Danylo Matviienko vervollständigen mit guten Baritonstimmen die Besetzung.

Den musikalischen Zusammenhalt des ganzen Abend garantiert Henrik Nánási im Orchestergraben, wo er auf unaufdringliche Art und Weise das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zur Hochleistung stimuliert. Den Klang, den das Orchester dabei erzeugt, passt perfekt zu diesem Juwel der Gattung “Grand Opéra”.

La Juive © Monika Rittershaus

Auch wenn die Fußballfans sich den ganzen Tag über als stimmgewaltig zeigen, an die Glanzleistung des Chors und Extrachors der Frankfurter Oper kommen sie nicht heran. Die von Tilman Michael vorbereiteten Chormassen zeigen wiederum eine grandiose stimmliche Leistung. Aber auch szenisch entsprechen sie den hohen schauspielerischen Anforderungen der Regisseurin Tatjana Gürbaca.

Mit derer Inszenierung werde ich persönlich leider nicht total glücklich. Problematisch ist zum Beispiel die Darstellung der Eudoxie, hier in ihrem ersten Auftritt eine ungezogene, verwöhnte Göre. Dass sie ihren Geliebten beim Besuche des Goldschmieds erkennt, wie dargestellt, würde heißen, dass sie ihn absichtlich in den sicheren Tod führt, was der Idee der Oper nicht entspricht. Auch dass sie Rachel auf dem Fest als Dirne erscheinen lässt, ist ein Unding. Der gezeigte Film über Leopolds glorreiche Taten mag eventuell noch amüsant erscheinen. Summum der Lächerlichkeit ist allerdings, dass die Figuren nach Brognis Fluch miteinander zu tanzen anfangen.

Schön dargestellt sind auf der anderen Seite die Begegnungen zwischen Rachel und Brogni, die, obschon sie sich nicht als Vater-Tochter erkennen, eine unbewusste Sympathie für einander empfinden. Auch in die Darstellung der Beziehung Eléazar-Brogni fließen einige gefühlvolle Gesten zwischen den beiden Feinden ein.

La Juive © Monika Rittershaus

Sehr interessant ist die Idee der Regisseurin betreffend die Entwicklung des artig putzenden Volkes hin zum hasserfüllten Mob, der sich am Schluss in fratzenartiger Darstellung an der religiösen Säuberungsaktion ergötzt. Auch die Kostüme (Silke Willrett) folgen dieser Entwicklung, indem sie immer “närrischer” werden.

Das Fußballspiel an diesem Abend in der Frankfurter Arena endet mit einem gerechten Unentschieden. Im Gegensatz dazu zeigt die Inszenierung der Oper “La Juive” von Tatjana Gürbaca, dass es hier nur Verlierer gibt: Die einen verlieren ihr Leben, die anderen ihre Menschlichkeit und Identität.

Jean-Nico Schambourg, 22. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung: 

Rachel   Ambur Braid
Eléazar   John Osborn
Léopold   Gerard Schneider
Eudoxie   Monika Buczkowska
Kardinal Brogni   Simon Lim

Jacques Fromental Halévy, La Juive Grand Théâtre Genf, 15. September 2022

Georg-Friedrich Händel, Giulio Cesare in Egitto Oper Frankfurt, 14. April 2024

Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908), DIE NACHT VOR WEIHNACHTEN Oper Frankfurt, 18. Dezember 2023

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