Der spritzigste und witzigste „Don Pasquale“, den es je gab

Gaetano Donizetti, Don Pasquale,  Kammeroper, Wien

Foto © Herwig Prammer
Ein großer Wurf auf der kleinen Bühne der Wiener Kammeroper

Gaetano Donizetti, Don Pasquale, Kammeroper, Wien, 24. November 2017

von Charles E. Ritterband

So hat man den „Don Pasquale“ noch nie gesehen: auf der winzigen Bühne der Wiener Kammeroper, dem charmanten Ableger des großartigen Theaters an der Wien – ein Begriff, der ja stets für allerhöchste Qualität bürgt. Mit, wie es die räumlichen Verhältnisse erfordern, knappstem Einsatz an Sängern, Musikern und Bühnenbild wurde die originellste, witzigste und spritzigste Version von Gaetano Donizettis „Don Pasquale“ geschaffen, den man sich nur vorzustellen vermag.

Musikalisch war Donizettis himmlische und zugleich humorvolle Musik vom großen Orchester auf eine siebenköpfige Band mit entsprechend ungewohnt-unkonventionellen Instrumenten (Saxofon, Akkordeon, Mundharmonika, Trompete, Streich- und Schlaginstrumente) transponiert worden: Da war alles nur Erdenkliche zu hören, von Belcanto über Jazz bis Schrammel, und nach der Pause trommelte der Dirigent Tscho Theissing auf die eigenen Wangen und schlug aufs Triangel – und es funktionierte. Hatte doch Donizetti selbst schon seinen „Pasquale“ auch musikalisch mit hinreißender Komik angelegt und mittels überraschenden Akzenten mit den musikalischen Konventionen seiner Zeit gebrochen.

Theissig, der selbst über eine Jazz-Ausbildung und über Erfahrungen als Straßenmusikant, E-Gitarrist und Partner von Schauspielern und Kabarettisten verfügt, hat als Arrangeur und Dirigent nur die Ideen Donizettis weitergeführt und gleichsam auf die Spitze getrieben. Dabei herausgekommen ist etwas völlig Neues und doch Stimmiges, ganz im Sinne von Donizetti.

Der Dirigent erinnerte daran, dass Donizettis Melodien seinerzeit echte Gassenhauer waren und auf der Straße gepfiffen wurden. Durch den zeitlichen Abstand und die „Abnutzung“ dieser musikalischen Einfälle sei im Laufe der Zeit viel an Unmittelbarkeit verloren gegangen. Theissig will mit seiner musikalischen Neufassung dem Publikum diese Originalität und Frische zurückbringen – und das ist ihm zweifellos gelungen. Er hat Donizetti aus dem Museum geholt und ihm neues, sprühendes Leben vermittelt.

Natürlich will man Donizetti keinesfalls immer so hören – aber dieser Abend wurde auch musikalisch zu einem umwerfenden Erlebnis. Dass parallel zur revolutionären Anti-Oper in der großen, traditionsreichen Wiener Staatsoper 15 Gehminuten entfernt durch die Innenstadt ebenfalls Don Pasquale gegeben wird, allerdings in der konventionellen Fassung für große Oper, entbehrt nicht der humorvollen Pikanterie.

Durchwegs umwerfend humorvoll waren die Darsteller – allen voran die italienische Sopranistin Carolina Lippo als maliziöse, stinkfreche, ja geradezu bösartige Norina, die sich vom Engel in silberglitzernd-weißem Kostüm und „direkt aus dem Kloster“ kommend zur Teufelin im diabolisch roten Kleid wandelt und dem eitlen Geizhals Don Pasquale (Florian Köfler) den Garaus macht – und den Appetit auf jegliche Verehelichung gründlich verdirbt. Lippo bestritt den ganzen Abend fast eigenhändig mit ihrer fantastischen Bühnenpräsenz und ihrer grotesk-komischen Mimik, vor allem aber mit ihrer virtuosen Belcanto-Leistung. Der Bass Köfler war an diesem Abend zwar indisponiert, glänzte aber ebenfalls mit einer Mimik, die direkt den Stummfilmen der Chaplin-Zeit abgeschaut war. Im Orchestergraben sprang für die Partie der Titelfigur der phänomenale, glatzköpfige Bassbariton Noé Colin ein, von dem nur der Kopf sichtbar war, was aber enorm komisch wirkte. Colin stammt aus Mexiko und ist an vielen europäischen Häusern in großen, unterschiedlichen Rollen aufgetreten – von Giacomo Rossini („La Cenerentola“, „Il barbiere di Siviglia“) über Wolfgang Amadeus Mozart (als Sarastro in der „Zauberflöte“) bis Giuseppe Verdi („Falstaff“), aber auch als Pizarro in Ludwig van Beethovens „Fidelio“. Colins fantastischer Bariton im Orchestergraben und simultan Köflers umwerfende Mimik auf der Bühne – komischer und musikalisch perfekter hätte man es sich nicht wünschen können.

Nur teilweise bemerkenswert der Kolumbianer Julian Henao Gonzales (Ernesto) als schmachtender Tenor, dessen schöne Stimme bisweilen selbst in diesem reduzierten Orchester unterging und dessen berühmte „Serenata“ aus dem dritten Akt eher enttäuschend über die Bühne ging. Der Italiener Matteo Loi hingegen begeisterte als Malatesta mit großer Komik und vollendet schönem Timbre.

Inszenierung und Personenführung (Marcos Darbyshire) geben auf der kleinen Bühne die ganze überschäumende Komik wieder, die Donizetti und sein Librettist Giovanni Ruffini sich ausgedacht hatten. Die Ausstattung (Annemarie Bulla) wirkt durch ihre effektvolle, ja geradezu geniale Einfachheit: Die Bühne ist völlig leer (außer wenn Norina an der kleinen Schreibmaschine sitzt, deren Klingel am Ende jeder Zeile umwerfend komisch zur Musik bimmelt), aber der Bühnenraum wird von weißen Lämpchen im Stil eines altmodischen Provinz-Variétés äußerst wirkungsvoll umkränzt (Licht Franz Tscheck). Ebenso wirkungsvoll die Kostüme (ebenfalls Annemarie Bulla) in grellen Leuchtfarben, insbesondere das Giftgrün, in das sich der Arzt Malatesta mit seinen knallroten, geckenhaft auftoupierten Haaren gestürzt hat und das teuflische Rot der Norina, dass dann plötzlich auch von ihren Spießgesellen Ernesto und Malatesta getragen wird – ein wahrhaft diabolischer Auftritt zu dritt zur göttlichen Musik Donizettis.

Ein weiterer Aspekt: Die auf die vier klassischen Figuren der Commedia dell’Arte – der naive Reiche, der eine junge Frau angeln will, die junge, aber gewiefte Frau, die den Reichen über den Tisch zieht ohne ihn zu erhören, der Dottore und der Liebhaber) reduzierte Produktion bringt überdies die Commedia-Essenz dieser Oper besonders plastisch zum Ausdruck.

Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.

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