Und was lernen wir daraus: „Ein alter Mann sollte keine junge Frau heiraten!“

Gaetano Donizetti, Don Pasquale Staatsoper Hamburg, 23. April 2024 
Don Pasquale © 2022 Brinkhoff/Mögenburg


Die 13. Vorstellung? Don Pasquale? Hamburger Staatsoper? Meine Glückszahl! Ich bin ja abergläubisch – also nichts wie hin!

Gaetano Donizetti
Don Pasquale

Staatsoper Hamburg, 23. April 2024 

von Harald Nicolas Stazol

 „Die Kinder! Sehen Sie die Kinder?“, frage ich das ältere Ehepaar nach zwei Akten Donizetti im Foyer – wo die Liebe hinfällt, beide sind etwa 1,70 Meter groß – „Aber natürlich, wir haben auch unsere Freude daran!“ – „Ja herzerfrischend, und dann auch noch eine Opera buffa, wie passend, um der Oper näherzukommen!“ – denn da ist eine Schar von Lausejungs im Anzug und von Backfischen im Kleidchen. Schon vorher ist mir die gar nicht kleine, gutgelaunte Truppe voller Vorfreude auf dem Trottoir vorm Hohen Haus auf das Entzückendste aufgefallen, „Sagt ihr mir nachher, wie ihr’s fandet?“ – „Aber klar!“, sagt mir ein Mädchen, – aber wie könnte es auch nicht?

Denn „Ein schöner Abend im April“ heißt es ja im Text des 3. Aktes, und nur soviel vorweg: Das Ensemble ist in Bestform, und die „Norina“, Norea Son, trillert und brilliert, und ist so schön durchtrieben, dass einem ganz wonnig wird und warm und wundersam – was für ein Können, was für leichteste Höhen in schwierigsten Partien und Lagen – oder versuchen Sie mal in einer aufschäumenden Badewanne eine Arie zu singen, lustig und beschwingt und mitreißend, und ich meine nicht das Singen am Morgen in der eigenen Dusche daheim!

 Da ist ein Safe, groß wie Fort Knox, mit soviel Scheinen drin, dass Donald Trump damit seine Schulden mit Leichtigkeit begleichen könnte, ich schätze den Geldberg auf etwa 200 Millionen Scudi, und Don Pasquale liegt darauf wie Dagobert Duck im Geldspeicher, – wunderbar im Basso Michele Pertusi, komisch und hochkarätig – da wird schon klar im nur zu einem Drittel besuchten Haus, dass dies ein ganz intimer Abend wird, es ist, als hätte man eine Privatvorstellung: Und Don Pasquale will heiraten! Nur wen?

© 2022 Brinkhoff/Mögenburg

Wenn da nicht eben der listige Dottor Malatesta wäre, ganz wunderbar gesungen von Alexey Bogdanchikov, da ist die Laune im Publikum schon ganz zu Anfang wie ein schönes Knistern im Raum zu spüren, „Hört mich mit gespannten Ohren! Eine, die für Euch geboren, nur für Euch, Don Pasquale, ganz allein!“, da nimmt die erheiternde Intrige ihren Anfang.

Ha, der Tenor, der Neffe, der erben will, Ernesto – Filipe Manu – dem man den Geliebten der Norina sofort abnimmt, ist er doch auch der sexy-dynamische Lover samt Gitarre, und nun folgt der Plan: Norina wird zur frommen Sofronia, sich in ihrer keuschen Nonnentracht fortwährend bekreuzigend, da kann Don Pasquale nicht widerstehen, und er ahnt nicht den Betrug, und dass man ihm eigentlich die falsche „Schwester“ des Doktors unterjubeln will, die frech-charmante Norina eben, die nun WIRKLICH große, stimmliche Exzellenz vorlegt! Kein Wunder, dass der alte Millionär bis zur Besinnungslosigkeit verknallt ist?

© 2022 Brinkhoff/Mögenburg

 Ein windiger Anwalt wird zur Eheschließung bestellt – eine riesige Anzeige wird eingeblendet, Call 0800 243 454 – man denkt ein wenig an „Better call Saul“, einer Netflix-Serie – und überhaupt das Bühnenbild! Da hat Patrick Bannwart ja mal so RICHTIG losgelegt, Lacher sind vorprogrammiert – GALA Titel werden projiziert, Mopo-Schlagzeilen, meine coolen Kiddies kichern jedenfalls ohne Unterlass.

Da ist sie doch, die neue Generation von Operngängern, darüber besteht allenthalben Übereinkunft auch mit den Damen hinter mir, „Bei mir war es der Musiklehrer“, sagt die alte Dame, „Bei mir auch!“ stimme ich zu, „Herr Dr. Weiß, summa cum laude Béla Bartók“ – ich sage ja, die Stimmung ist gelöst, denn nun fängt die frischgebackene Braut auf der Bühne an, Geld auszugeben wie eine Oligarchengattin.

Mehr Personal (der Chor ganz wundervoll!), Klamotten von Gucci bis Prada, Hermès Handtaschen, sie lässt sich von Warhol porträtieren, naja, die Mona Lisa zu kaufen ist ein Scherz, jedenfalls ist der Container von einem Safe so ziemlich leer, und an ihn wird das Titelblatt des „Economist“ gestrahlt, „Don Pasquale pleite?“ – wieder so ein Zeitbezug, genau wie die WhatsApp-Verläufe an der Wand.

Und während die Goldjägerin von Sofronia alias Norina den gehörnten Gatten in den Ruin treibt durch ihren Einkaufswahn, regnet es wahrhaftig Geldscheine vom Himmel aus den Rängen, meinen schnappt sich der Herr vor mir aus der Luft, und die Kinder sind begeistert. Ein Kleiner streift sich zur Pause das ungewohnte Sakko über – und ich kann nur sagen, blütenweiße Sneaker allüberall, ein absolutes must, der Trend ist unaufhaltsam!

 Sehr lustig auch das Duett von Dottore und Don Pasquale, da geht es um Rache, zungenbrecherisch schnell, bewundernswert, Zu Recht – „Noch einmal Maestro!“ (Ramón Tebar), und der lässt sich nicht zweimal bitten, das Orchester sattelfest, klar, die 13. Aufführung, ich sage ja, wir haben heute alle Glück!

Und alles löst sich ja dann auf: Don Pasquale lauert dem jungen Liebespaar mit Nachtsichtgerät auf – ich schwöre, vorher hat er noch eine Flinte genau auf mich, Reihe 14, Platz 14 gerichtet – und dann hat er die Erkenntnis, die Lehre ja der ganzen Oper: „Ein alter Mann sollte keine junge Frau heiraten!“ – zum Finale noch einmal alle Stimmen wunderbar vereint und vom einfühlsamen Orchester untermalt.

 „Und hat es euch gefallen?“ frage ich die Jugend im Hinausgehen, „Safe! Toppinger!“

 Das heißt wohl „Ja“.

So cool kann nicht nur eine Aufführung sein – so cool ist das frisch geschlüpfte Publikum!

Ein schöner Abend im April?

Toppinger!

Harald Nicolas Stazol, 25. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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